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Tina Turner, außergewöhnlich als Mensch und Künstlerin
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Tina Turner, außergewöhnlich als Mensch und Künstlerin

Helmut Schlegel
Ein Beitrag von Helmut Schlegel, Franziskanerpater, Exerzitienbegleiter und Geistlicher Begleiter, Frankfurt
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Im Grunde bin ich kein Fan lauter Rockmusik, bei Tina Turner ist das anders. Zwei ihrer Konzerte habe ich besucht, in München und in Frankfurt. Zusammen mit tausenden ihrer Fans habe ich eine Frau voll sprühender Energie erlebt. Noch mit siebzig tourte sie als Solokünstlerin rund um die Welt. Tina Turner ist für mich weder ein Idol noch eine Heilige. Aber ich finde, sie war ein ganz besonderer Mensch. Darum möchte ich in dieser Morgenfeier davon erzählen, was mich an Tina Turner und ihrer Musik fasziniert. Am 24. Mai 2023 ist sie im schweizerischen Küssnacht gestorben. 

Vierzig Jahre lang meditiert

Gefallen hat mir an ihr die unerschütterliche Lebensfreude, die aus ihren Augen blitzte. Gefallen hat mir, wie sie nach schwersten Schicksalsschlägen aufgestanden und aufgebrochen ist. Und nicht zuletzt, wie sie offen zu ihren spirituellen Wurzeln gestanden hat. Vierzig Jahre hat sie täglich meditiert, manchmal mehrere Stunden lang. Gewiss, die buddhistische Lehre, nach der sie ihr Leben gestaltete und meditierte, sind mir als Christ weitgehend fremd. Ich vermisse darin vor allem das persönliche Du des lebendigen Gottes. Trotzdem finde ich da auch vieles, was mich anspricht. Auf die Frage, ob sie Gemeinsamkeiten zwischen Christentum und Buddhismus sehe, antwortete Tina Turner in einem Interview: 

Sie überschneiden sich auf wunderbare Weise

Auf jeden Fall. Religionen hängen zusammen. Die christliche Lehre der Liebe und die buddhistische Lehre des Mitgefühls überschneiden sich auf wunderbare Weise. Beide weisen uns an, dem Guten durch gütige Handlungen zum Durchbruch zu verhelfen. Die Förderung der interreligiösen und interkulturellen Einheit liegt mir sehr am Herzen.

Hören wir das Lied „Great spirits“, in dem Tina Turner die universelle Verbundenheit aller Wesen besingt. 

Musik 1: Great spirits 0:00 – 1:20 (fade out)

Tina Turner wurde als Anna Mae Bullock im Jahr 1939 in Brownsville geboren. In ihrer Autobiographie schreibt sie, ihre Mutter habe im Keller eines Krankenhauses entbunden - so war es für afroamerikanische Mütter vorgesehen. Schon hier zeichnet sich eine schwere Kindheit ab. 

„Von Anfang an musste ich kämpfen. Wie fühlt es sich an, ein ungewolltes Kind zu sein? ... Über meinen ersten Lebensjahren lag ein Schatten. Die Person, die ihn warf, war mehr abwesend als anwesend. Gemeint ist meinen Mutter Zelma“ (Autobiographie S. 36 f.) 

Keine guten Voraussetzungen

Die Eltern stritten ständig. Dabei gab es Schläge, auch für die Kinder. Als Anna elf Jahre alt war, verließ die Mutter ihre Familie, und zwei Jahre später ging auch der Vater. Anna und ihre Schwester wurden hin- und hergeschoben, zuerst zu entfernten Verwandten, dann zur Großmutter und schließlich zu einer weißen Familie. Alles keine guten Voraussetzungen für eine glückliche Kindheit.

Annas Vater war Baumwollpflücker und im Nebenberuf Diakon der Baptistenkirche. Hier hat sie als Kind auch angefangen zu singen. 

„Ich wuchs in einem baptistischen Umfeld auf, praktisch jeder dort war Baptist. Obwohl ich als Erwachsene den Buddhismus angenommen habe, habe ich das baptistische Erbe stets respektiert. Als Kind sang ich im Kirchenchor mit. Und viele Jahre später nahm ich einige meiner liebsten Spirituals für die interreligiösen ,Beyond’-Alben auf.“

In ihrem Glauben Trost finden

Gospels und Spirituals sind die bewegenden Gesänge der afroamerikanischen Gemeinden. Hier bringen sie ihren Glauben und ihr Lebensgefühl zum Ausdruck. Ihre Vorfahren waren als Sklaven aus Afrika deportiert worden. Überleben konnten sie nur, weil sie zusammenhielten und in ihrem Glauben Trost fanden. In den Gospels und Spirituals werden die traurigen Erfahrungen des Volkes Israel in der Sklaverei besungen, aber auch die Hoffnung auf das Gelobte Land. Besungen wird Jesus als der Retter, der sich besonders den Entrechteten und Gedemütigten zugewandt hat.

Die Gospels, die Tina Turner noch mit Ike Turner in den 70er Jahren aufgenommen hat, sind leider nicht digital verfügbar. Hören wir stattdessen ein Lied, dass der Gospel-Tradition sehr ähnlich ist: Proud Mary.

Musik 2: Proud Mary (0:47 fade in – 2:33 fade out)

Als Afroamerikanerin war auch Tina Turner ständigen Demütigungen ausgesetzt. Einige Jahre war sie mit ihrem Mann Ike Turner und seiner Rhythm-and-Blues-Gruppe fast täglich auf Konzerttournee. In ihrer Autobiographie schreibt sie: 

„In den 60er Jahren waren Fahrten in den tiefsten Süden der Vereinigten Staaten schwierig für uns, denn es bestand die Gefahr, in gefährliche Situationen zu geraten. Wie oft uns ein weißer Polizist auf den Straßen Mississippis herauswinkte, nachdem er unsere schwarzen Gesichter gesehen hatte, weiß ich nicht mehr.“ (AB S. 75) 

Woher nahm sie die Kraft?

Viel schlimmer hat Tina Turner die Demütigungen in der Beziehung zu Ike Turner erlebt. Er hatte ihr nicht nur seinen Namen Turner aufgezwungen, er verhielt sich als Ehemann extrem gewalttätig. Ständig kontrollierte, beschimpfte und misshandelte er seine Frau. Erst Mitte der siebziger Jahre hat es Tina Turner geschafft, aus dieser Hölle zu fliehen. Es gab eine Zeit, in der sie diese seelischen Grausamkeiten - wie viele andere Frauen - ertragen und ausgehalten hat. Dann aber hat sie dagegen rebelliert und ist ausgestiegen. Ganz ohne Gewalt und ohne Racheabsichten. Woher nur nahm sie die Kraft dazu? Sie selbst spricht immer wieder von der Kraft ihres Geistes, der ihr das Leben gerettet habe. 

"Würde und gegenseitiger Respekt"

„Das Thema meines Lebens könnte man so zusammenfassen: Gift in Medizin verwandeln. Das ist ein uraltes Konzept, vereinfacht bedeutet es: Wenn etwas Negatives auftaucht, Gift eben, haben wir die Kraft, darin den verborgenen Wert zu finden und ihn in etwas Gutes zu verwandeln, in Medizin. In jeder Krise, jeder Frustration, jeder Katastrophe steckt das Potenzial, daraus zu lernen, zu wachsen und uns zu größerer Weisheit und Erfüllung anzutreiben.“ 

Würde und gegenseitiger Respekt in Beziehungen – dies war immer wieder auch Thema der Songs, die Tina Turner gesungen hat. So zum Beispiel in „Better be good to me“. 

Musik 3: Better be good to me  0:13 (fade in) – 2:16  (fade out) 

„Gift in Medizin verwandeln“ – Tina Turner nennt das ihr Lebensthema. Sie meint das, was im Buddhismus „Geistes-Gifte“ genannt wird. Sie meint toxische Kräfte wie Aggressivität, Racheabsichten, Eifersucht, Gewalttätigkeit. „Gift in Medizin verwandeln“ – in Buddhas Lehrreden lese ich: 

„Besiege Zorn durch Liebe. Besiege Böses durch Gutes. Besiege Festhalten durch Geben. Besiege Lügen durch die Wahrheit.“(Dhammapada aus dem Palikanon, Vers 223, zitiert nach Nyanatiloka: Dhammapada und Kommentar. Jhana Verlag, Uttenbühl 1992, ISBN 3-928396-01-3

Viele Gemeinsamkeiten zwischen beiden

Buddha und Jesus sind grundverschieden. Aber ich sehe viel Gemeinsames zwischen beiden. Ganz ähnlich wie die eben zitierten Worte von Buddha klingen Sätze aus der Bergpredigt, wie sie im Matthäus-Evangelium stehen. 

„Ihr habt gehört, dass gesagt worden ist: Du sollst deinen Nächsten lieben und deinen Feind hassen. Ich aber sage euch: Liebt eure Feinde und betet für die, die euch verfolgen, damit ihr Kinder eures Vaters im Himmel werdet; denn er lässt seine Sonne aufgehen über Bösen und Guten und er lässt regnen über Gerechte und Ungerechte. Wenn ihr nämlich nur die liebt, die euch lieben, welchen Lohn könnt ihr dafür erwarten? Tun das nicht auch die Zöllner? Und wenn ihr nur eure Brüder grüßt, was tut ihr damit Besonderes? Tun das nicht auch die Heiden? Seid also vollkommen, wie euer himmlischer Vater vollkommen ist!“ (Matthäus-Evangelium 5, 43-48) 

Nur gewaltfrei geht es!

Oft wurde die Ethik der Gewaltfreiheit als naiv und nicht alltagstauglich angesehen. „Mit der Bergpredigt kann man keine Politik machen!“ hat der frühere Bundeskanzler Helmut Schmidt einmal gesagt. Aber ich finde: Die Bergpredigt gilt eben nicht nur für das private Verhalten und den innerreligiösen Raum. Jesus wusste: Nur gewaltfrei können wir das menschliche Miteinander gestalten. Das gilt für Ehe und Nachbarschaft ebenso wie für Kommunalpolitik und internationale Beziehungen. 

Sie hat Zeichen gesetzt

Tina Turner mit ihrer Option, „Gift in Medizin verwandeln“, ist für mich ein Beispiel dafür, dass gewaltfreier Widerstand ein Weg ist. Es ist bekannt, dass unter ihren weiblichen Fans viele waren, die ähnliches erlebt haben wie sie: Gewalt in Beziehungen, Demütigungen, Benutzt-werden, Herabsetzungen. Tina war und ist für viele von ihnen Leuchtturm und Vorbild: Sie hat Zeichen gesetzt.

„Ich habe manches erlebt und erlitten, was mich hätte zerstören können. Stattdessen wurden diese Erfahrungen zu Sprungbrettern, sie trieben mich nach oben. (...) Nach und nach begann ich, an mich zu glauben, heute tue ich es felsenfest. Spirituelle Entwicklung und, ganz altmodisch, harte Arbeit haben mich befähigt, die Herausforderungen zu meistern und meine Träume zu verwirklichen, beruflich als auch privat.“ 

Ihre Erfahrungen im Leben und in der Liebe spiegeln sich auch im nächsten Lied, On Silent Wings. 

Musik 4: On Silent Wings   0:00 – 1:45 fade out 

Sie füllte Stadien in aller Welt

1984 – Tina Turner war bereits 45 Jahre alt – kam der Durchbruch für die begabte Künstlerin. Mit ihrem Album "Private Dancer" gewann sie als Solo-Sängerin vier Grammys. Eine Tournee durch Europa folgte. Nun füllte sie Stadien und Musikbühnen in aller Welt. 

Ihr Song „We don’t need another Hero“ landete 1985 auf der Nummer Eins der Charts in vielen Ländern, auch in Deutschland. Bis heute gehört dieses Lied zu den größten Hymnen der Filmgeschichte. Der dazugehörige Film „Mad Max - Jenseits der Donnerkuppel“ strotzt vor Gewalt und Brutalität. Das Ende jedoch hebt sich davon ab. Das getragene „We don’t need another Hero“ lässt Kinder zu Wort kommen. 

Wir brauchen nicht noch einen Helden
Alles, was wir wollen, ist das Leben jenseits der Donnerkuppel

Wir suchen etwas, auf das wir uns verlassen können
Da draußen muss doch ein besserer Ort existieren
Für Liebe und Mitleid wird der Tag kommen
Alles andere sind bloß Schlösser in den Wolken

Also was machen wir aus unserem Leben?
Wir lassen nur eine Spur
Wird unsere Geschichte strahlen wie ein Licht
Oder im Dunkeln enden?  

 

Jenseits der Donnerkuppel

Der Text ist nicht von Tina Turner, aber er spiegelt wider, was sie in ihrer Seele wohl empfunden hat. Nach den Erfahrungen des Verlassenwerdens, nach den furchtbaren Gewaltexzessen ihres ersten Mannes, nach den inneren und äußeren Kämpfen war es das: „Wir brauchen nicht noch einen Helden ... Für Liebe und Mitleid wird der Tag kommen, alles andere sind bloß Schlösser in den Wolken.“ Die Donnerkuppel, von der das Lied spricht, ist das Symbol von Macht und Gewalt. Alles, was Kinder suchen, ist jenseits der Donnerkuppel zu leben. Da draußen muss doch ein besserer Ort existieren. Aber wo und was ist „da draußen“? Die Antwort bleibt offen. Sie ist unserer Nachdenklichkeit überlassen. 

 Musik 5: „We Don't Need Another Hero (Thunderdome)“ 0:00 – 1:32 (fade out) 

Immer wieder heftige Schicksalsschläge

Auch nach ihrem künstlerischen Comeback hatte Tina Turner keineswegs ein ruhiges, sorgenfreies Leben. In Erwin Bach fand sie die Liebe ihres Lebens, im schweizerischen Küssnacht eine neue Heimat. Sie erzählt in ihrer Autobiographie von lieben Nachbarn, von einer wunderbaren spirituellen Begleiterin und davon, wie sehr sie den Ruhestand nach ihrer Abschiedstournee genossen hat. Und doch gab es da immer wieder heftige Schicksalsschläge: 2018 nahm sich ihr ältester Sohn Craig das Leben, Ronnie, der jüngere Sohn, starb 2022 im Alter von 62 Jahren nach schwerer Krankheit. Bei ihr selbst wurde Darmkrebs diagnostiziert. Dazu kam ein Nierenversagen. Ihrem Mann Erwin Bach, der ihr 2017 eine Niere spendete, verdankte sie noch gute Jahre. Sie schreibt, dass sie sich sehr offen mit dem Sterben auseinandergesetzt hat. 

"Ich bin bereit, wenn die Tür sich öffnet. Unsere Haltung zum Tod hat großen Einfluss auf unsere Einstellung zum Leben. Der buddhistische Weg besteht darin, den Tod nicht zu fürchten, sondern ihn als natürlichen Teil des Lebenskreises zu sehen. Mit diesem Verständnis von Tod können wir das Leben noch mehr wertschätzen. Es führt uns die Kostbarkeit jedes Augenblicks vor Augen.“ 

„Gerade jetzt brauche ich deine Liebe"

Tina Turner starb am 24. Mai 2023. Sie hinterlässt nicht nur ein beachtliches Lebenswerk, sie hinterlässt uns ein Beispiel, wie menschliches Leben gelingen kann. Für viele ist sie in ihrer Menschlichkeit und in ihrem geistigen Tiefgang ein Vorbild. Der Refrain des letzten Liedes, das wir einspielen, könnte ein Gebet sein. Der Text lautet auf deutsch: „Gerade jetzt brauche ich deine Liebe. Gerade jetzt gib sie mir. Gerade jetzt suche ich deine Liebe. Gerade jetzt.“ Hören Sie „Paradise is here“. 

Musik 6: Paradise is here 0:25 (fade in) – 2:13 (fade out)

Musikauswahl: Ricarda Moufang, Frankfurt

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