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Krug mit Rissen
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Krug mit Rissen

Ingo Schütz
Ein Beitrag von Ingo Schütz, Evangelischer Pfarrer, Oberursel-Bommersheim
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Was wird aus meinen Kindern, und was wird aus den Kindern meiner Freunde? Eltern und Bekannte begleiten die Kleinen und Heranwachsenden oft mit Sorge. Gerade dann, wenn etwas nicht so funktioniert, wie geplant. Bei der jungen Floor Rieder haben sich die Eltern große Sorgen gemacht. Sie hat im Unterricht lieber geträumt und gemalt, und die Noten sahen entsprechend aus.

Die Geschichte von den zwei Krügen

Wenn mich selbst die Sorge packt, erinnere ich mich an eine Geschichte. Sie erzählt von zwei Krügen und spielt in einem heißen Land. Ein Mädchen trägt die Krüge an einer Stange über die Schultern jeden Tag vom Brunnen nach Hause. Sie braucht das Wasser zum Kochen, zum Waschen, zum Trinken. Der eine Krug ist immer voll. Er hält dich und tut damit, was er soll. Der andere Krug hat einen feinen Riss. Durch ihn tropft unterwegs Wasser auf den Boden. Wenn das Mädchen zu Hause ankommt, ist er nur noch halb gefüllt.

Defekt und doch nicht gescheitert

Als das dem zweiten Krug klar wird, ist er verzweifelt: Ich bin ja kaputt! Ich funktioniere nicht so, wie ich soll! Ich scheitere bei meiner Aufgabe, das Wasser zu transportieren! Und augenscheinlich stimmt das auch.

Das Mädchen nimmt den Krug in die Hand und hört sich sein Klagen an. Dann geht sie mit ihm den Weg zum Brunnen und zeigt ihm: Entlang des Weges wachsen bunte Blumen, weil immer etwas Wasser aus dem Krug getropft ist. Der Krug hat eine wundervolle Aufgabe erfüllt, wenn auch eine ganz andere, als er dachte. Von Scheitern keine Spur. Dass er anders ist, als er sein sollte, ist in gewisser Weise ein großer Gewinn.

Aus Scheitern wächst Neues

Von Gott heißt es, dass er das Herz anschaut, während ein Mensch nur sieht, was vor Augen steht. Ich wünsche mir, bei aller Sorge auch einen solchen tiefgehenden Blick zu haben. Wenn Menschen anders sind, als ich sie gerne hätte. Nicht nur in der Schule, sondern überall. Nicht nur bei anderen, sondern auch bei mir selbst. Ganz oft bringt ja gerade das, was anders ist, wunderschöne, unerwartete Dinge hervor.

So kam es auch bei der Schülerin Floor Rieder. Angesichts schlechter Schulnoten dachte sie immer: Ich bin nicht so, wie ich sein sollte. Aber gleichzeitig geschah unbemerkt etwas anderes. Sie entwickelte ein großes Zeichentalent. Heute ist die Niederländerin eine bekannte Illustratorin, die vor wenigen Jahren „Alice im Wunderland“ neu bebildert hat. Statt gescheitert zu sein, hat sie die Welt gerade dadurch ein wunderbares Stückchen bunter gemacht.

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