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Weihnachten ist mehr als eine Familienfeier
GettyImages/Vladimir Vladimirov

Weihnachten ist mehr als eine Familienfeier

Pia Baumann
Ein Beitrag von Pia Baumann, Evangelische Pfarrerin, Frankfurt
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„Schatz, das wird heute nichts. Ihr könnt nicht kommen. Wir sind krank. Magen-Darm. Es tut uns leid. Trotzdem: Frohe Weihnachten.“ Sagte meine Mutter am Telefon. Mit diesen Worten begann vor einigen Jahren der Heilige Abend. Eigentlich wollten mein Mann und ich gerade ins Auto steigen. Um über die Feiertage zu meinen Eltern zu fahren. Ein anstrengender Tag lag hinter mir.

Absage einer Tradition

Jetzt freute ich mich auf einen besinnlichen Abend. Weihnachtsbaum, Lieder singen, Bescherung, Würstchen und Kartoffelsalat. Genau in dieser Reihenfolge. Wie jedes Jahr. Und am ersten Weihnachtstag dann Gänsebraten. Unser eigener Kühlschrank war leer. Der Brotkorb auch. Wir hatten nicht eingekauft. Warum auch, wir wollten schließlich erst zwischen den Jahren wiederkommen. Ich weiß noch, wie ratlos wir waren. Wir haben uns gefragt: Wie sollen wir jetzt Weihnachten feiern?

Wie jetzt Weihnachten feiern?

Weihnachten feiern. Das hat viel mit Erwartungen zu tun. Mit Wunschbildern. Die Familie kommt zusammen von nah und fern. Driving home for christmas. Es gibt Geschenke und strahlende Gesichter. Weihnachten im Kreis der Familie, das wünschen sich sehr viele. Es ist schön, wenn es so ist.

Manchmal werden nicht alle Erwartungen erfüllt: Es gibt Streitereien, schlechte Laune und enttäuschte Gesichter. Im besten Fall geht es nur um ein paar geplatzte Würstchen, die zu lange auf dem Herd waren. Oder um Jugendliche, die lieber zu ihren Freundinnen und Freunden wollen, als mit Oma Weihnachtslieder singen.

Weihnachten fällt nicht aus

Viele können an Weihnachten gar nicht zuhause bei der Familie sein. Sie arbeiten. Sie versorgen Kranke. Fahren den Linien-Bus. Oder sitzen am Notfalltelefon.
Andere haben kein Zuhause oder keine Familie. Sie wohnen im Flüchtlingsheim. Oder leben auf der Straße. Manche sind allein, weil die Kinder weggezogen sind.

Doch auch, wenn nicht alle Erwartungen und Wünsche erfüllt werden, bedeutet das nicht: Weihnachten fällt aus. Denn Weihnachten ist mehr als eine Familienfeier.

Musik

Weihnachten ist mehr als eine Familienfeier

Weihnachten ist mehr als eine Familienfeier – zum Glück. Das haben mein Mann und ich vor Jahren erlebt, als meine Eltern uns kurzfristig absagten, weil sie krank waren. Wir begannen zu improvisieren: Der Adventsstrauch mit Strohsternen würde unser Christbaum sein. Und eine Kerze fand sich auch noch.

Die Weihnachtsgeschichte nach Lukas - auch heute noch aktuell

Mir ging die Weihnachtsgeschichte (Lukas 2) durch den Kopf – und sie kam mir auf einmal ganz aktuell vor: Die Geschichte von Maria und Joseph und ihrem Kind. Maria und Josef waren an Weihnachten auch nicht im Kreise ihrer Familie. Sondern alleine in Bethlehem. Der römische Kaiser hatte entschieden, dass sich alle, die in seinem Reich leben, in Steuerlisten eintragen müssen. Und zwar in der Stadt, in der sie geboren wurden. Josef macht sich also auf den Weg. In seine Geburtsstadt Bethlehem. Maria kommt mit. Obwohl sie schwanger ist. Als sie ankommen, suchen sie eine Unterkunft. Irgendwas, wo man schlafen und essen und sich ausruhen kann. Doch die Stadt ist voll. Kein Zimmer ist mehr frei. Am Ende bietet ihnen jemand einen Stall an. Hier kommen sie unter. Und ihr Sohn, Jesus, wird geboren.

Auch Maria und Josef hätten gerne ihre Familie dabeigehabt

Ich kann mir vorstellen, dass Maria und Josef zur Geburt gerne ihre Familie um sich gehabt hätten. Menschen, die sie kennen. Die sich kümmern. Mit denen sie das freudige Ereignis feiern können. Aber die Familie ist weit weg. Auf Besuch müssen die Beiden trotzdem nicht verzichten. Es kommen überraschend Hirten und Engel und etwas später drei Männern aus dem Nahen Osten. Alle bringen mit, was sie haben. Die Engel ihren Glanz und Lobgesang. Die Hirten ihr Staunen. Und die Männer aus dem Nahen Osten bringen Kostbarkeiten: Gold, Weihrauch und Myrre.

Es ist eine bunt zusammen gewürfelte Festgesellschaft. An diesem allerersten Weihnachtsfest in Bethlehem ist nichts so, wie alle es erwartet haben. Doch genau in dieser Situation kommt das Jesuskind zur Welt.

Auf der Suche nach einem offenen Restaurant

So erzählt, klingt das richtig schön. Doch es bleiben ungelöste Fragen. Das habe ich selbst erlebt, als wir an Weihnachten unverhofft alleine dasaßen. Denn irgendwann wurden wir hungrig und der Kühlschrank war leer. Wir zogen Jacken und Stiefel an und machten uns auf die Suche. Irgendein Restaurant in der Nähe würde doch wohl offen haben. Aber egal wo wir hinkamen, alles war zu. Der Grieche, das kleine vietnamesische Lokal, sogar der Döner-Laden hatte geschlossen. Feiertag! Also wieder zurück nach Hause. Irgendwo im Schrank gab es sicher noch Nudeln mit Tomatensoße.

Ein gelungenes Fest in der Eckkneipe

Kurz bevor mein Mann und ich wieder daheim ankamen, hörten wir Musik. Eine kleine Eckkneipe hatte offen. Vorsichtig steckten wir den Kopf durch die Tür. Am Tresen saßen zwei etwas traurig aussehende Männer vor ihren halbvollen Biergläsern. Und da war die Wirtin. Sie strahlte uns an, als hätte sie nur auf uns gewartet: „Frohe Weinachten, möchten sie was essen? Ich habe gekocht. Klöße, Rotkohl und Rouladen. Und Tiramisu gibt es zum Nachtisch.“ Ich weiß noch, dass ich dachte: „Hosianna! Diese Frau schickt der Himmel.“ Am Ende haben alle zusammen gegessen. Die Wirtin, mein Mann, ich und die Zwei vom Tresen, die übrigens kein bisschen traurig waren. Es war ein wunderbarer Weihnachtsabend. Mit Menschen, die ich noch nie zuvor gesehen hatte.

Ich glaube, manchmal braucht es nicht mehr für ein gelungenes Fest. Es braucht einen Ort, es braucht jemanden, der oder die Türen öffnet und etwas anbietet. Und es braucht Menschen, die nicht allein sein wollen. Und Gott, der im Geiste dazukommt.

Was für mich eine Ausnahmeerfahrung war, passiert übrigens jedes Jahr an Weihnachten in der Diakoniekirche Weißfrauen in Frankfurt.

Musik

Die "Lange Nacht an Heiligabend" in der Diakoniekirche Frankfurt

Die Diakoniekirche Weißfrauen liegt im Bahnhofsviertel von Frankfurt. Darin findet die „Lange Nacht an Heiligabend“ statt. Markus Eisele ist dort Pfarrer. Er sagt: „Wenn sich an diesem Abend die Türen öffnen, dann strömen die Menschen herein. Es ist eine vielfältige Gemeinde, die hier zusammenkommt. Es sind Menschen, die auf der Straße leben. Nachbarinnen aus den umliegenden Häusern. Einige kommen extra aus dem Umland. Es gibt viele, die sich engagieren. Ohne sie wäre diese Nacht nicht möglich. Darunter Fluglotsen, Mitarbeiterinnen der Europäischen Zentralbank, Menschen aus dem Eventbereich, aus Freikirchen und Konfessionslose. Und ganz viele, die sich „einfach so“ einbringen.“

Ein Fest für alle

In der Diakoniekirche ist es warm in dieser Nacht. Die Atmosphäre ist festlich. Auch Maria, Josef und ein Engel sind dabei. Auf einem Gemälde. Ein Fernseher am Altar zeigt Bilder von Hirten und Schafen. Und über allen leuchtet ein Stern.

Zur Begrüßung gibt es Tee. Und dann beginnt der Gottesdienst. Die Lieder und Texte sind so vielsprachig wie die Feiernden. Deutsch, Englisch, Rumänisch, Arabisch, Spanisch und Polnisch. Nach dem Segen wird gegessen. Wenn alle satt sind, geht das Fest weiter. Es werden Filme gezeigt. Musikerinnen und Künstler treten auf. Irgendwann im Lauf der Nacht rollen manche ihre Isomatten und Schlafsäcke aus. Wer nicht nach Hause kann oder will, schläft in der Kirche. „Mit diesem Gottesdienst“ sagt Pfarrer Eisele, „beginnt für mich Weihnachten. Hier mit den Menschen, deren Herz voller Sehnsucht ist. Und die gemeinsam erleben: Gott hat Zeit.“

"Für einen Abend haben wir in Gottes Reich geschaut"

Die Probleme der Menschen aus dem Bahnhofsviertel sind am Morgen nicht weg. Die Welt ist durch diese Nacht nicht heil und friedlich geworden. „Aber“, so Pfarrer Eisele, „für einen Abend haben wir in Gottes Reich geschaut. Dort werden sich alle wiederfinden: Arme und Reiche, Glückliche und Unglückliche, Gesunde und Kranke, Einsame und Menschen in Beziehungen.“ So wird es sein. Daran glaube ich auch.

Im Bahnhofsviertel sitzen die Menschen jetzt gerade beim Frühstück. Um 10 Uhr endet die „Lange Nacht“ in der Diakoniekirche. Irgendwann will ich da auch mal hin. Heute aber werde ich mit meiner Familie feiern. Doch ich weiß: Weihnachten ist mehr als eine Familienfeier. Es ist Gottes Ankunft in der Welt. Und die kann sich auf vielfältige Weise ereignen – auch ganz unerwartet.

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