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Keine offenen Rechnungen
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Keine offenen Rechnungen

Hannah Woernle
Ein Beitrag von Hannah Woernle, Evangelische Pfarrerin in Alsbach/Bergstraße
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Mein Mann und ich hatten vor Kurzem Besuch. Ein Paar, mit dem wir uns neu angefreundet haben, war das erste Mal zu Gast bei uns. Wir haben miteinander gegessen und getrunken, erzählt und viel gelacht. Am nächsten Tag bekomme ich eine Nachricht: „Vielen Dank für den schönen Abend gestern! Jetzt sind wir euch aber auch eine Einladung schuldig!“

Als ich die Nachricht von unserem Freund lese, bin ich verunsichert. Natürlich freue ich mich, wenn wir uns bald wiedersehen. Aber die beiden schulden uns doch nichts, wir haben uns ja genauso über den Besuch gefreut.

Das Gefühl: Ich muss mich revanchieren

Dabei kenne ich das Gefühl auf der anderen Seite auch: Andere haben mich eingeladen oder mir sogar einen größeren Gefallen getan. Anstatt mich einfach darüber zu freuen, denke ich: Ich muss mich revanchieren.

Aber was, wenn mir das nicht gelingt? Wenn meine beste Freundin sich ein paar Mal zu oft am Telefon anhören muss, wie gestresst ich gerade bin, mir aber die Zeit fehlt, mich im Gegenzug mal wieder in Ruhe mit ihr zu treffen. Es kommt mir manchmal vor, als würde unsere Freundschaft dadurch in eine Schieflage kommen.

Es ist dann schwer auszuhalten, wenn das Gefühl bleibt: Andere tun mir Gutes und ich kann nichts zurückgeben.

Wie soll ich das wiedergutmachen?

Das habe ich auch in einem Gespräch mit einer älteren Dame erfahren. Sie bräuchte eigentlich Unterstützung beim Einkauf. Die schweren Taschen zu tragen, macht ihr zunehmend Mühe. Und der Weg vom Supermarkt nach Hause fühlt sich immer weiter an.

Sie erzählt mir, dass die junge Nachbarsfamilie ihr schon Hilfe angeboten hat. Aber die kann sie nicht annehmen. Sie sagt: „Wie soll ich das denn wiedergutmachen? Die haben doch selbst genug zu tun mit den Kindern. Und die Zeiten sind vorbei, in denen ich im Gegenzug auf die Kleinen aufpassen könnte.“ Also müht sie sich weiter mit den schweren Einkaufstaschen ab. Nur nicht zur Last fallen. Erst recht nicht, wenn die Schuld nicht beglichen werden kann.

Gott rechnet nicht auf

Für Menschen wie sie und mich, die häufig aufrechnen, gibt es einen guten Hinweis in der Bibel. Da sagt Jesus nämlich: „Gott ist barmherzig. Also seid auch ihr barmherzig.“ (Lk 6,36) Ich verstehe das so: Gott rechnet nicht auf, was ihr euch zu Schulden kommen lasst. Also seid auch ihr gnädig miteinander. Und mit euch selbst. Niemand kann alle Fehler wiedergutmachen. Und niemand kann alles Gute, das er bekommen hat, wieder zurückgeben. So funktioniert das Leben in einer Gemeinschaft nicht.

Das nehme ich mir mit: Gott hat keine offenen Rechnungen mit mir. Und genauso versuche ich das auch mit den Menschen, die mir wichtig sind: Nicht aufrechnen, was wir füreinander tun, sondern sich einfach daran freuen. Unserem Freund antworte ich auf seine Nachricht: „Lass uns bitte nicht anfangen zu zählen, wer wem was schuldet. Wir haben den Abend mit euch genossen. Das zählt.“
 

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