Ihr Suchbegriff
Beitrag anhören:
Der reiche Bettler an der Krippe
Bildquelle: pixabay

Der reiche Bettler an der Krippe

Stefan Herok
Ein Beitrag von Stefan Herok, katholischer Pastoralreferent i.R. in der Pfarrei St. Bonifatius, Wiesbaden
Beitrag anhören:

Wie wir die Bibel um- und weiterschreiben

Wir feiern den Geburtstag Jesu. Herzliche Glückwünsche, ihm und uns!

Mit seiner Geburt ist es so eine Sache…

Unsere eigenen lebensweltlichen Erfahrungen haben die Geschichte der Geburt Jesu immer beeinflusst, sogar verwandelt – zumindest in unserem Bewusstsein. Wir stellen ihn uns als Baby vor, so wie wir halt Babys kennen. „Holder Knabe mit lockigem Haar“! Den sieht unser inneres Auge schnell „mitteleuropäisch blond“. Weniger als eher schwarzgelocktes, dunkelhäutiges arabisches Kind des Nahen Ostens.

Hören und lesen wir biblisch - eher wortkarg und detailarm - von seiner Geburt im „Stall“, dann assoziieren wir bildreich all die Motive, die uns vom abendländischen Bauernhof vertraut sind. Als bisweilen naturferne Menschen mit mehr städtischen Lebensbedingungen denken wir uns das vielleicht als ländliche Idylle. Mehr vom „Urlaub auf dem Bauernhof“ geprägt, als von der harten Wirklichkeit, die diejenigen erleben, die dort dauerhaft leben und arbeiten. Und das noch unter den Bedingungen vor 2000 Jahren und im 4000 km entfernten Israel…

Wäre Jesus in einem Stall mit Tieren geboren…

Wäre Jesus dort damals tatsächlich in einem Stall mit Tieren geboren, hätte dies faktisch bedeutet, er hätte doch Herberge mitten unter den Menschen gefunden, denn Mensch und Tier lebten quasi unter einem Dach. Die Tiere waren die Heizung für die gesamte Großfamilie, weil es im Winter nachts auch in Israel empfindlich kalt wird. Die Bibel schildert Jesu Geburt aber herbergslos und gerade ausgestoßen aus menschlicher Gemeinschaft.

Da darf uns auch nicht irritieren, dass auf vielen Gemälden und an unseren Krippen daheim wie in der Kirche meist Ochs und Esel zu finden sind! In den biblischen GeburtsTexten steht davon kein Wort. Ochs und Esel kommen tatsächlich nicht aus landwirtschaftlichen Gründen, sozusagen als selbstverständliche Stallbewohner an die Krippe, was sie im alten Israel nie waren, sondern ausschließlich – man höre und staune! - aus theologischen Motiven.

Beim Propheten Jesaja stehen die Worte: „Der Ochse kennt seinen Besitzer und der Esel die Krippe seines Herrn; Israel aber hat keine Erkenntnis, mein Volk hat keine Einsicht.“ (Jesaja 1,3) Sehr starke und kritische Bilder! Und wie ich finde, heilsam und spannend. Wir, die wir „Hornochse“ und „Esel“ gerne als Schimpfworte für Menschen verwenden, die uns durch manche Dummheit aufregen, wir kriegen genau diese Tiere als Sinnbilder für Klugheit, Erkenntnis und für Treue vor Augen geführt: Wissen, wohin man gehört und wem man so lebenswichtige Dinge wie die Nahrung verdankt, das könnten wir Menschen von Ochs und Esel lernen. Mit dieser ganz und gar „nicht bäuerlichen“ Botschaft sind sie in der Weihnachtsgeschichte unterwegs…

Momente der inneren Aneignung

Ich finde das überhaupt nicht schlimm, dass unsere eigene Lebenswirklichkeit zurückwirkt auf die Geschichten der Bibel. Sie sogar verändert. Es sind Momente der inneren Aneignung. Es hilft uns, der „alten Botschaft“ aktuelle und persönliche Lebensbedeutung zu verleihen, wenn sich unsere Bilder und Erfahrungen von heute mit den Erzählungen der Bibel von damals verbinden.

Gleichzeitig tut es mir aber gut, ein Gespür dafür zu entwickeln, wie unser Denk-, Sprach- und LebensdeutungsHorizont die BibelBotschaft beeinflusst. Ja, mein Herz und mein Geist, sie gestalten also heute die JesusErzählungen von damals mit; sie schreiben sozusagen die Bibel lebendig fort.

Seit ich mir darüber mehr bewusst werde, passieren zwei Dinge. Das eine: Ich versuche immer wieder einmal, die biblische Botschaft möglichst unverstellt zu lesen. Ich befreie sie dann so gut wie möglich von den Übermalungen und Beeinflussungen meiner Welt und aller Zeiten. Darunter kommt manchmal eine überraschende Erkenntnis zum Vorschein; so wie eben gerade die Treue- und KlugheitsBotschaft von Ochs und Esel.

Der Hahn an der Krippe

Das andere: Ich schreibe den biblischen Stoff ganz bewusst weiter und erzähle den Inhalt fort. So steht schon seit Jahren an meiner Krippe daheim zum Beispiel ein kleiner Hahn. Wir kennen ihn biblisch ja nur vom irdischen Ende der JesusGeschichte, als er dreimal kräht. Petrus hatte seinen verhafteten Freund Jesus mehrfach verleugnet. Und der Hahn hatte die Aufgabe, ihm dieses persönliche Scheitern schmerzhaft ins Gewissen zu schreien. Keine schöne Rolle auf der biblischen WeltBühne. Im Seelenbild meines Glaubens, da flattert der Hahn auch über die gottverlassen wirkende und menschenferne Geburtsstätte Jesu. Er steht darum auch daheim an meiner WeihnachtsKrippe. Und er kräht das JesusEreignis so freudig in die Welt hinaus, wie er nur kann. Leider hat er mit seiner wenig begnadeten Stimme natürlich keine Chance gegen den jubilierenden Lobgesang der himmlischen Heerscharen. Und darum war er noch kaum jemandem aufgefallen an der Krippe des JesusKindes, der arme Hahn...

Hirten und die Weisen aus dem Morgenland

Schauen wir noch etwas auf den Stall und seine „klassische Belegschaft“. Manche kenntnisreichen Leute schlagen vor, man solle sich den Stall vielleicht eher wie eine Felsengrotte vorstellen, als WetterUnterstand für Feldtiere. Jedenfalls weitab von allem, was damals als Zivilisation und etablierte Menschenwelt galt. Zur Belegschaft gehören noch ein paar Hirten, längst nicht alle, die in der Gegend unterwegs waren. Und dann später noch die Weisen aus dem Morgenland. Ob es wirklich drei waren, weiß keiner. Aber es wird schon eine kleine Karawane gewesen sein, die Expedition in Sachen „Stern“. Jedenfalls keine Könige. Auch die sind (wie Ochs und Esel) wieder spätere theologische Inszenierung aus anderweitigem Bibelmaterial, das auf die Geburtsgeschichte angewendet wird.

Sie sind trotzdem neugierig und offen geblieben

Auch im Blick auf die Hirten ist es gut, das Bild von unseren zeitgenössischen Eindrücken zu bereinigen. Wenn sich auf eine heutige Schäferstelle in der Lüneburger Heide 5000 Leute bewerben, darunter Professorinnen und Großverdiener, dann ist das Lichtjahre entfernt von der Wirklichkeit damaliger Hirten. Sie waren eher zwielichtige Gestalten, und was ihrer Lebensrealität entspräche, würden wir heute bei uns unter Obdachlosen und Nichtsesshaften finden, die für ein paar Cent ab und zu einen Aushilfsjob machen. Was sie auszeichnet und wahrscheinlich auch von manchen unserer Randexistenzen unterscheidet, ist: Sie sind trotz allem neugierig geblieben, voller Sehnsucht nach einem anderen Leben, darum bereit zum Aufbruch. Und sie haben das Herz irgendwie am rechten Fleck. Nur darum waren sie für die Engelsbotschaft vom Frieden auf Erden ansprechbar, die ja wohl mehr „innere Stimme“ in ihren Herzen gewesen sein mag als äußerlich posaunendes HimmelsGetöse.

Der reiche Bettler an der Krippe

In diesem Jahr sieht mein SeelenAuge noch eine weitere Person zur Krippe hinzutreten, einen reichen Bettler. Nicht ganz einfach, ihn zu beschreiben. Man könnte ja denken, vielleicht materiell reich, aber im Herzen arm. Das gilt wohl für nicht wenige Menschen heute. Die Einsamkeit – als eine Art HerzensArmut unglücklicher Beziehungen - scheint selbst innerhalb von Familien beträchtlich. Und großzügige Geschenke helfen kaum über seelisches Leid hinweg. Andererseits ist heute ja Nichtschenken in Mode. Als wäre es etwas Kindisch-Naives, andere zu erfreuen. Das kommt mir arm vor.

Nun, unser reicher Bettler hier hat weder viel noch wenig Geld. Sein Herz ist nicht traurig und er schenkt auch gerne. Er ist gut ausgebildet, gesellschaftlich anerkannt. Er hat reiches Wissen, manches Talent und ist auch nicht arm an Erfahrung. Dass all sein Reichtum hier aber wenig gilt, gar als Armut erscheint und ihn zum Bittsteller macht, das liegt überhaupt nicht an ihm und dem, was er mitbringt…

Es liegt ganz und gar an seinem Gegenüber, das der reiche Bettler hier besuchen kommt:

„Nur“ ein Kind und doch von unermesslicher Größe

Es ist „nur“ ein Kind und doch von unermesslicher menschlicher wie himmlischer Größe. Es liegt als armes Bündel in der Kälte und Dunkelheit der Nacht, und doch kommt alles Licht und alles Strahlen, das die Welt braucht, um hell und warm zu werden, von seinem Gesicht. Es wirkt ohnmächtig und ins gesellschaftliche Abseits hinausgedrängt und doch geht alle Kraft, die die Welt braucht, um ein besserer Ort zu werden, vom Herzen dieses Kindes aus. Es ist nur ein kleiner Mensch und doch hat sich Gott selbst hier in die Welt hineingeboren.

Um vom Kind im Stall etwas von dieser großen, lichten Kraft zu erbitten, sich damit beschenken zu lassen, und diese LichtKraft dann hinauszutragen in die Welt, dazu tritt der reiche Bettler heute an die Krippe heran.

Der reiche Bettler, das bin ich.

Weitere ThemenDas könnte Sie auch interessieren