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Gelassenheit mit Terminen
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Gelassenheit mit Terminen

Sebastian Pilz
Ein Beitrag von Sebastian Pilz, Katholischer Referatsleiter Diakonische Pastoral/Seelsorge in besonderen gesellschaftlichen Herausforderungen
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Das neue Schuljahr hat in Hessen begonnen und auch an der Arbeit geht es jetzt wieder richtig los. Die meisten sind aus dem Urlaub zurück. Und so freue ich mich auf dem Flur meinen Kollegen aus einem anderen Fachbereich wiederzusehen. Bei dem spontanen Gespräch erzählen wir uns ein paar Erlebnisse aus dem Urlaub. Dann kommen wir auf ein dienstliches Thema und von meinem Gegenüber fällt der Satz: „Da müssen wir mal einen Termin machen.“ Ich stimme dem zu und wir verabschieden uns. Doch auf dem Weg in mein Büro merke ich, welche unterschiedlichen Emotionen dieser Satz „… nach dem Termin“ bei mir auslöst.

Da ist ganz klar die Vorfreude. Da will sich jemand mit mir treffen und hat Lust, gemeinsam an einer Lösung weiterzuarbeiten. Das ist gut und gefällt mir. Der Satz könnte natürlich auch noch ganz anders gemeint sein, eben als eine Art Floskel: „Da müssen wir mal einen Termin machen.“ Die Aussage ist dann eher abwehrend gemeint, im Sinne: Das Thema ist jetzt nicht wichtig. Im betreffenden Fall ist das sicher nicht so gemeint gewesen.

Die größte Emotion, die der Satz nach dem Termin aber bei mir auslöst, ist Unruhe oder sogar etwas Panik. Da kommt mein Blutdruck in Fahrt, denn ich frage mich: Wie um Himmelswillen soll ich denn zeitnah in meinem Kalender noch irgendwo einen Termin finden? Die Ursache dafür kann an meinem ungenügenden Zeitmanagement liegen. Aber dieses Phänomen begegnet mir in meinem Umfeld häufig: ob bei Kolleginnen und Kollegen an der Arbeit, in der eigenen Familie mit meiner Frau und den drei Kindern oder bei Kameradinnen und Kameraden der Freiwilligen Feuerwehr. Überall sind die Kalender voll. Eine Terminsuche unter mehreren Personen ist oft ein komplexes und mehrtägiges Unterfangen in zwei oder drei Schleifen. Eine erfolgreiche Terminvereinbarung gelingt meist nur mit mehreren Monaten Vorlauf.

Hatte Jesus Termine? Vielleicht eine Art Sprechstunde?

Nun suche ich im christlichen Glauben nach Antworten für dieses Problem. Das ist gar nicht so leicht, weil in der Bibel nirgends steht, dass Jesus einen Kalender hatte oder irgendwer von den Jüngern seine Termine koordiniert hat. Klar wäre es jetzt leicht, auf die damals herrschenden Umstände zu verweisen. Jesus wanderte mit seinen Jüngern umher. Er hatte also mit Personen, die er in Dörfern traf, keine Termine gemacht. Zudem waren seine Jünger gelernte Fischer. Sie mussten also mit Wind und Wetter umgehen, die so manche Terminplanung sogar noch heute durcheinanderwirbeln. Doch diese Erklärungen helfen mir jetzt nicht. Wenn Glauben heute aktuell ist, wovon ich überzeugt bin, dann wird sich auch auf die Terminproblematik eine Anregung finden. In dieser Zuversicht lese ich jene Passage aus dem Matthäusevangelium, die heute im katholischen Sonntagsgottesdienst vorgetragen wird1.

Musik

Der Text im Matthäusevangelium handelt von der brüderlichen Zurechtweisung eines Sünders. Das ist zugegebenermaßen sehr weit von meiner Fragestellung entfernt, doch ich will mich überraschen lassen. Vielleicht entdecke ich in einem ganz anderen Zusammenhang Antworten auf meine Frage: Wie mit dem Termindruck umgehen?

Im Bibeltext geht also darum, wie eine Gemeinde mit einer Person verfahren soll, die etwas falsch gemacht hat. Es soll zunächst kein großes Gerede entstehen, was vielleicht damals und auch heute ganz ähnlich vorkommt. Das mag zwar menschlich verstehbar, aber meistens nicht der Sache dienlich sein. Denn ist jemand erst einmal blamiert, macht die Person meistens „die Schotten dicht“, will heißen: Er oder sie schaltet auf stur und ist für konstruktive Kritik nicht mehr empfänglich. Stattdessen schlägt Jesus in der Bibel eine dreistufige Skala vor, die für ihn eine angemessene Reaktion darstellt. Die erste Stufe ist das Gespräch unter vier Augen. Wenn dieses nicht hilft, sollen zwei oder drei Personen dazu treten, die das Gesagte bezeugen. Erst im dritten Schritt, im Sinne einer Ultima Ratio, soll die gesamte Gemeindeversammlung zu der Sache sich äußern.

Konfliktlösung und zu volle Terminkalender – was wir da für uns mitnehmen können

Mir gefällt, wie behutsam mit der betroffenen Person im ersten und im zweiten Schritt umgegangen wird. Jesus will eben, dass diese Person mit einem liebenden Blick betrachtet wird und dann durch den Rat einer anderen ihr Verhalten ändert. Es soll eben niemand sein Ansehen verlieren, denn Fehler sind zutiefst menschlich und kommen nun mal einfach vor.  Außerdem - und jetzt kommt der Punkt, der mir in meiner Frage nach dem Termindruck weiterhelfen könnte - soll die Sache nicht groß aufgeblasen werden. Jesus vertraut darauf, dass die beiden Personen schon in der ersten Stufe diese heikle Thematik zufriedenstellend lösen. Und sollte das nicht gelingen, gibt die zweite Stufe mit maximal fünf Personen einen guten Rahmen in der Spannung zwischen Vertrautheit und Öffentlichkeit. Erst wenn das alles nichts bringt, gibt er der gesamten Gemeinde die Lösungsbefugnis. Auffällig ist: An keiner Stelle ist eine Leitungsperson erwähnt, die etwa mit einem besonderen Amt ausgestattet ist. Stattdessen soll die gesamte Gemeinde den Konflikt lösen.

Dass kleine Gruppen besonders wirkmächtig sind, kommt in der gleichen Bibelstelle zwei Verse später in einem anderen Zusammenhang noch einmal zum Ausdruck. Da heißt es wörtlich: „Denn wo zwei oder drei in meinem Namen versammelt sind, da bin ich mitten unter ihnen."2 In diesem Fall geht es um das einmütige Gebet. Aber auch hier genügen zwei oder drei Personen, um eine Wirkung miteinander und mit Gott zu erzielen.

Ganz geräuschlos aber effektiv

Für meine eigentliche Frage, nämlich danach, wie ich mit Terminen umgehe, entdecke ich: Lösungen passieren ohne großes Aufsehen und auch ohne eine Leitungsebene. Stattdessen schätzt Jesus kleine Personenkreise hoch ein und traut jeder und jedem Großes zu.

Musik

Was mache ich nun konkret anders, wenn es um die nächsten Terminvereinbarungen geht? Im beruflichen Kontext fallen mir schnell Dinge ein. Da ist zunächst, mehr, wie Jesus, in die einzelnen Personen und ihre Fähigkeiten zu vertrauen. Dazu müssen vielleicht manche mehr ermutigt werden. Klappt das, ergeben sich so schon etwas weniger Termine.

Und wenn dann doch ein vermeintlich wichtiger Termin unabdingbar scheint, frage ich, ob ich für die Lösung zu den richtigen Personen gehöre. Da kann es auch mal gut sein, das Problem beim Gegenüber zu belassen und nicht – um im Bild von Jesus zu bleiben – die gesamte Gemeindeversammlung damit zu betrauen. Dann überlege ich mit meinem Gegenüber, welchen Kreis aus maximal fünf Personen es zu einer Lösung braucht. Die wirklich große Runde wäre dann nur bei ganz wichtigen Themen dran, eben im Sinne der Reaktionsskala Jesu erst an dritter Stelle.

Im familiären Bereich kann und will ich terminlich weniger beeinflussen. Da ist zum einen der Dienstplan meiner Frau, die im Schichtbetrieb in einem Krankenhaus arbeitet. Da gibt es immer wieder viele Veränderungen, was das Planen in der Familie echt anstrengend macht. Die schöne Seite der schwierigeren Terminplanung entdecke ich bei meinen Kindern. Zwei von ihnen sind fast volljährig. Sie helfen in der Landwirtschaft oder haben einen Schülerjob in einer Bäckerei. Sie gehen also nach und nach ihre eigenen Wege und das ist gut so. Der Bibeltext inspiriert mich dazu, die Terminplanung daheim gelassener zu sehen: Wenn nun schon laut Bibel, Jesus mitten unter zwei oder drei Personen ist, dann sollte ich doch nun auch damit zufrieden sein, wenn aus meiner Familie nur zwei oder drei anwesend sind. Gleiches gilt ja auch, wenn meine Frau unerwartet an der Arbeit einspringt oder ich nicht im Kreis der Familie sitzen kann, weil ich zu einem Feuerwehreinsatz muss. Auch dann sollen die anderen daheim nicht trübe jenen hinterher trauern, die nicht da sind, sondern sich an und mit den Anwesenden freuen.

Bei allem Nachdenken über Termindruck und Kalenderplanung fällt mir auf: Es braucht unbedingt auch freie Zeit, die ungeplant bleibt. Zeit, in der ich mir Freiräume schaffe, weil ich mir eben darüber bewusst bin, dass ich nicht jeden Termin wahrnehmen kann. Und selbst wenn sich zwei oder drei treffen, dann bin ich halt mal nicht dabei. Und am Beispiel Jesu habe ich ja gesehen: Es gilt auf die Stärken der anderen zu vertrauen. Es wird klappen, auch ohne mich und in dieser Zuversicht brauche ich auch keine Angst haben, mal etwas zu verpassen.

Diesen Freiraum kenne ich sonst nur aus dem Urlaub. Da lebe ich nämlich im guten Sinn, einfach in den Tag hinein. Nach dem Frühstück wird, mit denen, die gerade da sind, überlegt, was wir am anstehenden Tag machen. Das bringt dann oft ganz neue und geisterfüllte Erfahrungen hervor. Es wäre gut, wenn ich das mehr in den Alltag integriere. Ganz in der Zuversicht: Da, wo ich – ob geplant oder ungeplant – zwei oder drei Menschen mit Gottes Augen in Liebe begegne, ist er mitten unter uns – und das genügt.

 

1Matthäusevangelium Kapitel 18, Verse 15 bis 20

2Mt 18,20

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