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Bild: Gerd_Altmann_pixabay

Udo Lindenberg: Wir ziehen in den Frieden

Stefan Herok
Ein Beitrag von Stefan Herok, katholischer Pastoralreferent i.R. in der Pfarrei St. Bonifatius, Wiesbaden
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Das hätte ich nie gedacht, dass die Rezitation unseres Grundgesetzes einmal „Musik werden würde“ in meinen Ohren. Dass es voll Widerhall in mir zu klingen beginnt, Herz und Sinne in Schwingung versetzt. Auch meinen Verstand sofort anzuknipsen vermag, selbst am frühen Sonntagmorgen… Natürlich tragen die sanften Klavierakkorde und die anrührenden Kinderstimmen dazu bei, aber tatsächlich ist es das Menschrechtsbekenntnis aus dem bundesdeutschen Grundgesetz, das mich besonders berührt und bewegt in dem FreiheitsPopsong, den ich heute Morgen mit Ihnen anhören möchte…

Jeder Mensch ist frei

Kein Mensch darf – aus welchen Gründen auch immer – benachteiligt oder bevorzugt werden! Und dann hebt der „alte Träumer“ zu singen an, von Liebe und Frieden und dass - jeder Mensch frei ist. Kein Konjunktiv, kein vielleicht: „Und jeder Mensch ist frei.“ Punkt. Danach kommt schon noch der Konjunktiv einer offenbleibenden Frage, die auch ein gutes Stück Appell ist…

Er sucht Leute, die sich für den Frieden stark machen

77 Jahre ist er jetzt, Udo Lindenberg, deutsche Rocklegende, PopPoet, der seine Kunst immer auch höchst politisch verstanden hat. Diesen Song hat er erst 2018 geschrieben, mit Blick auf die Kriege in der „weiten Welt“, Syrien, Sudan oder dem Jemen. Damals war – trotz Angriff auf die Krim 2014 - noch niemandem wirklich klar, dass uns heute Krieg auch in der „nahen Welt“, in Europa bedrohen würde. Schon immer friedensbewegt, sucht Lindenberg Leute, die sich stark machen und aufstehen. Er organisiert für Unicef Aktionen mit Kindern und Jugendlichen, um sie für eine neue Friedensbewegung zu werben. Und er wendet dazu die alte, vaterländisch-unheilvolle Parole: „Auf, Patrioten, wir ziehen in den Krieg“, ins Positive:

In einer moralischen Zwickmühle

Warum ich mir für unsere Popsongsommerreihe ein Friedenslied ausgesucht habe? Weil es mir ein Stück weiterhilft in einem ethischen Dilemma, das z.Zt. wohl viele Menschen empfinden. Es hilft mir besser zu verstehen, wie untrennbar eng, geradezu symbiotisch Frieden und Freiheit zusammengehören! Mit manchen christlichen und auch vielen linken Pazifist*innen befinde ich mich nun schon fast eineinhalb Jahre, seit dem Überfall Russlands auf die Ukraine in einer moralischen Zwickmühle, in der man nur – wie man so sagt - „zwischen Pest und Cholera“ wählen kann. Also wie man es dreht und wendet, beides ist so nötig wie furchtbar: Waffen liefern in die Ukraine oder nicht? Da hilft mir die Erkenntnis: Kein wirklicher Friede ohne Freiheit, sonst bleiben Krieg und Gewalt unvermindert an der Macht, selbst wenn die Waffen irgendwann schweigen. Lindenbergs Song bestärkt in mir diesen Zusammenhang:

Frieden und Freiheit sind untrennbar

Was aber, wenn der „Geist der Geschwisterlichkeit“ durch den aggressiven Gewaltakt eines der „Brüder“ gestört ist und der zu Unrecht angegriffene Bruder mich um Hilfe bittet? Stehe ich ihm dann zur Seite oder halte ich mich raus? Schwere Frage! Was aber für mich gar nicht geht, ist, ihn zu bevormunden, für ihn zu entscheiden, ob er sich verteidigen darf oder nicht. Da würde ich meinerseits in seine Freiheit eingreifen. Sicher nicht so heftig wie der, der ihm nach Land und Leben trachtet. Aber trotzdem wäre mein Gefühl, ihm, der von vorne angegriffen wird, dann auch noch in den Rücken zu fallen. Kein Frieden ohne Freiheit.

Auffällig zurückhaltend zur Fragen nach Waffenlieferungen

Udo Lindenberg hält sich in der Frage nach den Waffenlieferungen insgesamt übrigens auffällig zurück. Nicht nur hier im Song, sondern überhaupt. Er ist sehr aktiv mit Posts auf Sozialmedia. Macht immer wieder große Aktionen zur UkraineHilfe. Aber zur heiß diskutierten WaffenFrage, da muss man lange suchen. Und dann findet man ein kleines Interview mit der „Welt“, in dem er sich zwar für Waffen an die Ukraine ausspricht, gleichzeitig spürt man aber, wie schwer ihm das fällt.

Immer wieder wird deutlich, dass er sich ein anderes Deutschland wünscht. Im Song direkt ausgesprochen: Ein Deutschland, das seine Wirtschaftsmacht weniger auf Waffengeschäfte stützt. Aber das ist eine andere Frage…

Das Weltgewissen wecken

In erster Linie versteht sich Udo Lindenberg als „leise bis laut rappelnder Wecker“! Aufwachen und aufstehen, das will er bewirken. Und dabei denkt er nicht kleinklein, sondern ganz hübsch groß: „Schlafende Riesen“ will er wecken und mit Hilfe einer „Stimme aus dem All“ sogar das „Weltgewissen“. Das klingt fast religiös und könnte Gott meinen. Tatsächlich geht es aber „knapp darunter“ um den FriedensMartyrer und BeatleSänger John Lennon:

Menschen wecken, die nicht glauben, etwas bewirken zu können

„Schlafende Riesen“ wecken. Damit meint er wohl auch mich und viele Menschen hier in Deutschland, die noch nicht glauben, dass sie etwas bewirken könnten für Frieden und Freiheit:

Kommt mir gerade die Vision der Gewaltlosigkeit abhanden?

Mein persönlicher Pazifismus, für mich verwurzelt im Wunsch als Christ zu leben, der Ernst macht mit Gewaltlosigkeit und Feindesliebe, dieser Pazifismus durchläuft zurzeit eine schmerzhafte Veränderung. Ich weiß noch nicht: Ist es ein Wachstumsschmerz von Reifung, fast wie eine Pubertät, die vielleicht naive Friedensvorstellungen hinter sich lässt. Oder ist es ein Schmerz der Zerstörung, weil mir angesichts unglaublicher Aggression gerade die Vision der Gewaltlosigkeit abhandenkommt.

Die Freiheit als Voraussetzung für die Menschenwürde

Und da tut mir Lindenbergs Song richtig gut. Gerade auch, weil er nicht als wild-bewegtes Kampflied für den Frieden daherkommt, sondern eher melancholisch, im leisen VorwärtsSwing. Und es hilft mir, dass mich jemand in Zeiten, in denen immer mehr Menschen bei uns das Grundgesetz offensichtlich geringschätzen, an die Menschenwürde erinnert und an die Freiheit als ihre tiefste Voraussetzung.

Lindenberg will auch in mir ihre Vision wachhalten. Schön, wie er dazu schließlich auch einen alten Slogan von Bertolt Brecht aufgreift und sogar den positiv überbietet:

„Stell dir vor, es ist Frieden, und jeder, jeder geht hin“.

 

Songtext:

Udo Lindenberg – „Wir ziehen in den Frieden“

Artikel drei
Niemand darf wegen seines Geschlechts
Seiner Abstammung, seiner Rasse
Seiner Sprache, seiner Heimat und Herkunft
Seines Glaubens, seiner religiösen oder politischen Anschauungen
Oder seiner sexuellen Orientierung
Benachteiligt oder bevorzugt werden

Ich steh' vor euch mit meinen alten Träumen
Von Love und Peace und jeder Mensch ist frei
Wenn wir zusammen aufstehen könnte es wahr sein
Es ist soweit, ich frag': Bist du dabei?

Wir ham doch nicht die Mauer eingerissen
Damit die jetzt schon wieder neue bauen
Komm lass uns jetzt die Friedensflaggen hissen
Wir werden den Kriegen nicht länger tatenlos zuschauen

Komm wir ziehen in den Frieden
Wir sind mehr als du glaubst
Wir sind schlafende Riesen
Aber jetzt stehen wir auf
Lass sie ruhig sagen, dass wir Träumer sind
Am Ende werden wir gewinnen
Wir lassen diese Welt nicht untergehen
Komm wir ziehen in den Frieden

Artikel eins
Alle Menschen sind frei und gleich an Würde und Recht geboren
Sie sollen einander im Geiste der Brüderlichkeit begegnen

Wir sind doch alle Blutschwestern und Brüder
Wir sind 'ne große Menschenfamiliy
Wir brauchen keine machtgeilen Idioten
Mit ihrem Schmiergeld von der Waffenindustrie

Ich hör' John Lennon singen "give peace a chance"
Und es klingt wie 'n Vermächtnis aus dem All
Damit das Weltgewissen endlich aufhört
Denn es ist fünf Sekunden vor dem großen Knall
Aber wir sind überall

Komm wir ziehen in den Frieden
Wir sind mehr als du glaubst
Wir sind schlafende Riesen
Aber jetzt stehen wir auf
Lass sie ruhig sagen, dass wir Träumer sind
Am Ende werden wir gewinnen
Wir lassen diese Welt nicht unter gehen

Komm wir ziehen in den Frieden
Komm wir ziehen in den Frieden

Komm wir ziehen in den Frieden
Wir sind mehr als du glaubst
Wir sind schlafende Riesen
Aber jetzt stehen wir auf

Und die Mission ist erst erfüllt
Wenn keiner mehr den anderen killt
Wir lassen diese Welt nicht untergehen
Komm wir ziehen in den Frieden

Überall diese Kriege
Da kann niemand gewinnen
Stell dir vor es ist Frieden
Und jeder, jeder geht hin

Kids on Stage

Quelle: Musixmatch

Songwriter: Alexander Zuckowski / Robin Grubert / Udo Lindenberg / Beatrice Reszat / Simon Mueller-Lerch / Fabian Wege

Songtext von „Wir ziehen in den Frieden“ © Regenmacher Musikverlag Gmbh, Porn & Poetry Publishing Robin Grubert, Songreiter Musikverlag Alexander Zuckowski, Budde Music Publishing Gmbh, Dolcerita Publishing E. Kfr.

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