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Jetzt ist die Zeit
Bild: medio.tv

Jetzt ist die Zeit

Hermann Trusheim
Ein Beitrag von Hermann Trusheim, Evangelischer Schulpfarrer, Hanau
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Es ist Donnerstagmittag vor zwei Wochen. 5. und 6. Stunde. Die Zeit nahe am biologischen Tagestief. Und der Lehrplan der Oberstufe schreibt dieses Thema vor: ‚Jesu Verkündigung des Reiches Gottes‘. Kein leichter Stoff.

Ich habe eine Idee. Ich bitte die SchülerInnen: ‚Stellen Sie die Tische zu einer langen Tafel zusammen, setzen Sie sich außen herum.‘ Dann stelle ich eine Kiste mit Wachsmalstiften hin und verteile leere Blätter.

‚Wird das jetzt eine Malstunde wie in der Grundschule?‘ kommt der erste Kommentar. Ich sage: ‚Ja, Sie sollen sich was ausmalen. Ihr Bild vom Reich Gottes. Ins Bild setzen, wie Sie sich das Reich Gottes vorstellen.

Erst Zögern, kann auch Nachdenken sein, dann werden die ersten Stifte in die Hand genommen. Nach und nach beginnen alle zu zeichnen. Einige sind schon eifrig beim Malen, manche schauen erstmal, was die NachbarInnen aufs Papier bringen. Es wird gelacht, man ist kreativ. Nach einer Weile stellt jede und jeder das eigene Bild vor. Es gibt viele Bilder, die Ähnlichkeiten aufweisen – nicht nur, weil Ideen übernommen wurden.

Dann wird überlegt: Wo kommen unsere Bilder her – geprägt aus der Kindheit, aus der Kinderbibel, häufig aus Filmen.

Ich nehme die Bilder in Empfang und ordne sie an der Tafel. Ganz rechts kommen die Bilder hin, die als Motiv Wolken, ein Tor oder eine Treppe haben. Ganz links die Bilder, die Urlaubsinseln zeigen, Berge, idyllische Landschaften, junge Menschen, die Party machen – eine Welt, in der alles schön ist. Dazwischen kommen andere Bilder: ein Regenbogen, Menschen, die sich die Hände reichen, das Friedenssymbol.

Meine SchülerInnen wollen wissen, warum ich ihre Bilder so arrangiert habe. Nach einigen Überlegungen wird klar: Die Bilder mit Wolken und Treppen zeigen ein Reich Gottes, das in der Zukunft liegt. Die Heile-Welt-Bilder lassen sich einer Vorstellung zuordnen, die das Reich Gottes in der Gegenwart sieht. Und dann gibt es noch die dazwischen.

Klar gibt es Überschneidungen. Manches könnte auch anders interpretiert werden. Aber im Großen Ganzen sind alle mit der Sicht einverstanden: Das Reich Gottes kann als zukünftige und als gegenwärtige Größe aufgefasst werden – und eben dazwischen.

‚Ich denke, das ist schon immer so‘ setze ich an, ‚zur Zeit Jesu und heute gab und gibt es Menschen, die Gottes Reich auf Erden erwarten. Ein Reich, in dem alle liebevoll miteinander umgehen, wo es gerecht und friedlich zugeht. Manche versuchen das durch moralisch richtiges Verhalten herbeizuführen, andere denken, das geht nur politisch mit einer Revolution. Und dann gab und gibt es die, die alles in der Zukunft erwarten. Das kann hoffnungsvoll sein aber auch angstbesetzt apokalyptisch.

Jesus ist mitten dazwischen. Wenn er das Reich Gottes verkündet, ist sein Grundgedanke: ‚Das Reich Gottes hat schon begonnen. Es ist da. Es ist aber noch nicht vollendet. Das erwartet Jesus von Gott.‘

Dann ist erst mal Pause.

Nach der Pause frage ich meine SchülerInnen: ‚Fährt eigentlich jemand von Ihnen zum Kirchentag?´ Etliche kennen den Kirchentag, waren schon da, manche fahren dieses Jahr nach Nürnberg.

Und was hat der Kirchentag mit dem Reich Gottes zu tun?

Heute geht der 38. Evangelischer Kirchentag 2023 in Nürnberg zu Ende. Seine Losung heißt: ‚Jetzt ist die Zeit‘. Das steht im Markus-Evangelium im 1.Kapitel in Vers 15. Das sind die ersten Worte, die Jesus im selbst Markusevangelium sagt. Jesu vollständige Aussage lautet: ‚Jetzt ist die Zeit. Gottes Reich ist da. Kehrt um und glaubt die frohe Botschaft.‘

Das ist das Grundsatzprogramm von Jesus. Das setzt er um in Wort und Tat. Gottes Reich ist da. Das könnt ihr glauben.‘

Mit seinen Worten und Taten will Jesus die Augen für Gottes Reich öffnen. Damit sie sich Gott zuwenden, vielleicht wieder, vielleicht ganz neu.

Kehrt um: darum geht es Jesus. Reich Gottes entdecken. Die Wirklichkeit Gottes in meiner Wirklichkeit zu erfahren. Für manche ist das Reich Gottes eine unglaubliche Sache. Für Jesus ist Gottes Reich selbstverständlich. So, wie er es in Gleichnissen verdeutlichen will: Da geschieht etwas selbstverständliches – Saat geht ganz automatisch auf, das wissen doch alle. So ist das auch mit Gottes Reich, mit seiner Gegenwart. Er ist da. Wirklich. Das ist die Basis für’s Leben, die Jesus anbietet. Und wie aus Samen Halme werden und Ähren wachsen, so wird sich Gottes Wirklichkeit durchsetzen.

Und ich? Ich bin eingeladen, dabei zu sein. In meiner Wirklichkeit Gottes Liebe und Gegenwart umsetzen. Davon spricht Jesus in seinen Beispielerzählungen: Ich kann wie der barmherzige Samariter anderen zum Nächsten werden in ihrer Not – Eingreifen in Situationen, in denen Gottes Wille missachtet wird durch Ungerechtigkeit und Gewalt. Ich brauche mich dabei nicht zu überfordern, ich muss nicht die ganze Welt retten – der Samariter tut, was er kann, wie er kann und wann er kann. Das kann ich auch. Das genügt.

Die Vollendung von Gottes Reich liegt bei Gott. Für mich sind auch Jesu Wunder ein Hinweis darauf. Von Jesus wird erzählt, dass er in das Leid und die Not der Welt auf wundersame Weise eingreift: er heilt, er hilft, so, wie ich das nie könnte. Aber das kann mich inspirieren – selbst mit Hoffnung zu handeln, auch wenn keine Erfolge garantiert sind.

Jesus ist streitbar – das gehört für mich zum Reich Gottes dazu. Wenn es sein muss, scheute er Auseinandersetzungen nicht. Es kann sein, dass das nicht immer nett bleibt. Aber Reden statt zu Schweigen hilft. Probleme und Ärgernisse offenlegen. Und genauso: loben und würdigen, was gut ist.

Jetzt ist die Zeit – Gottes Reich ist schon da. Ich bin eingeladen dabei zu sein. Gott wird dafür sorgen, dass sein Reich kommt. In jedem Vater Unser bitten wir: ‚Dein Reich komme.‘

Jetzt ist die Zeit – Kirchentage sind Zeitansagen: Zeit sich Gedanken zu machen, miteinander zu beraten, Entscheidungen zu treffen. Wege zu bedenken und hoffnungsvoll anzugehen. In der Kirche, in Wirtschaft, Politik und Gesellschaft. Gottes Wirklichkeit ein Stück weit wirklich werden lassen. Das ist angesichts unserer Lebenswirklichkeit echt nötig.

Die Zeitansage Jesu macht mir dafür Mut und Hoffnung.

Meinen SchülerInnen sage ich: ‚ Der Kirchentagsschal dieses Jahr ist smaragdgrün. Das ist eine besondere und inspirierende Farbe. Irgendwie eine ‚Dazwischen-Farbe‘. Passt zu Jesu Aussage zum Reich Gottes: Es ist da. Das kannst Du glauben und feiern. Da kannst du mitmachen, so wie du kannst. Das wird Gott zu einem guten Ende bringen.‘

So ganz zu Ende war die Stunde vor zwei Wochen dann noch nicht. Es fehlte noch eine Probe auf’s Exempel, oder wie es im Schuldeutsch heißt: Eine Evaluation – die Frage, ob die SchülerInnen mit dem Erarbeiteten auch was in ihrem eigenen Leben anfangen können.

Und so fragte ich: ‚Gottes Reich ist da. Es entwickelt sich, ich kann dabei sein, was davon erleben – können Sie das mit ihrem Leben in Verbindung bringen? Gibt es bei Ihnen Erfahrungen oder Bilder davon? Ich bin gespannt ….

Zwei lächeln sich an. Die brauche ich nicht weiter zu fragen. Die haben ihr Stück Himmel schon entdeckt oder sind gerade dabei. Einer berichtet von seinem Einsatz als Teamer im Konfirmandenunterricht, das macht Spaß. Einer ist aktiv in der Umweltgruppe vor Ort, das macht für ihn Sinn. Eine will Ärztin werden, um Menschen zu helfen. Eine organisiert Betreuungsangebote für Geflüchtete. Und für mich gehört Musikmachen dazu, Gottes Reich zu erfahren, zu teilen und weiterzugeben.

Klar singen wir jetzt zum Ende den Kirchentagsschlager ‚Laudato si‘ – und ich bin gespannt, was die TeilnehmerInnen vom Kirchentag mitbringen und weitergeben, an Erfahrungen und Inspiration. Dafür ist nächste Woche Zeit.

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