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Fronleichnam: Gott mittendrin
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Fronleichnam: Gott mittendrin

Stephanie Rieth
Ein Beitrag von Stephanie Rieth, Bevollmächtigte des Generalvikars und Dezernentin im Bistum Mainz
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„Mach den Hessentag zu deinem Tag!“ - damit werden die Hessinnen und Hessen seit einigen Wochen auf den Hessentag eingeladen. Seit dem 2. Juni und noch bis zum Sonntag findet er in Pfungstadt statt. Viele kommen von weit her, manche extra nach Hause, um Hessen zu feiern. 

Und heute feiert die Kirche mit - mittendrin.  Auf der Bühne im Hessenforum, der zentralen Bühne im Hessentagsgeschehen, feiern katholische Christinnen und Christen zusammen mit Weihbischof Bentz einen Gottesdienst zum Fronleichnamsfest.

Ganz schön schwierig zu erklären

Ich finde, das Fronleichnamsfest passt wunderbar zum Hessentag, mitten dort hinein, wo viele Menschen sind und feiern. Ich glaube, dass Gott auch einer ist, der mittendrin ist, auch wenn das nicht immer sichtbar ist. 

Seine Wurzeln hat das Fronleichnamsfest im Hochmittelalter. Der Name kommt aus dem Mittelhochdeutschen und bedeutet so viel wie „des Herrn Leib“, er hat also gerade nichts mit Tod und Leichnam zu tun, so wie wir den Begriff heute verwenden. Fronleichnam hat einen ganz engen Bezug zum letzten Abendmahl, das Jesus mit seinen Jüngern gefeiert hat. Darin hat er Brot und Wein, das in der Gemeinschaft von Glaubenden gegessen und getrunken wird, eine besondere Bedeutung gegeben: „Dies ist mein Leib, dies ist mein Blut.“ In Brot und Wein will Jesus lebendig mitten unter den Menschen bleiben, mittendrin, auch wenn er nicht mehr da ist. Ganz schön schwierig zu erklären. Mit Worten kommt man da eigentlich nicht wirklich weiter.

Gott ist mittendrin - das muss man erleben. 

Menschen zum Sehen verhelfen

Ich vermute, das ist auch eine Spur, die zu diesem Fest geführt hat.

Das Fest geht unter anderem auf eine Vision der Heiligen Juliana von Lüttich zurück. In der Vision sieht sie den vollen Mond mit einem dunklen Fleck. Der dunkle Fleck sagt ihr: Da fehlt etwas im Jahreskreis der Kirche - ein Fest, das in den Mittelpunkt stellt, was den Gläubigen wichtig ist: das Brot, von dem sie glauben, es ist Jesus Christus selbst. Die Vision ist sehr anschaulich, und so ist es auch die Deutung. Es geht darum, das, was die Menschen glauben, erfahrbar zu machen oder auch anders formuliert: Menschen zum Sehen zu verhelfen. 

Einige Jahre später entstehen die ersten Prozessionen, bei denen das Brot durch die Straßen getragen wird - sichtbar für die Menschen. Das Brot, von dem die Menschen glauben, es ist Jesus Christus selbst, wird hineingetragen in die Lebenswirklichkeit der Menschen. 

Auch wenn sich vieles verändert hat an der Art und Weise, wie der Glaube gelebt wird: Diese Prozessionen gibt es bis heute an vielen Orten. Die Häuser am Prozessionsweg und die Wege selbst werden mit Fahnen und bunten Blumenteppichen geschmückt. Blaskapellen begleiten vielerorts die Gemeinden, die mit dem Brot auf den Straßen unterwegs sind. 

In ihrem Wesen verwandelt

Heute beim Fronleichnamsgottesdienst auf dem Hessentag gibt es auch eine Prozession. Sie geht mitten über das Festgelände und zeigt so: Gott ist mittendrin.

Interessanterweise entsteht dieses anschauliche Fest für die Sinne in einer Zeit, in der sich die Kirchenmänner und Theologen mit hochkomplizierten Theorien und Zusammenhängen beschäftigen. Wie soll das gehen, mit dem Brot und dem Wein, die in den Leib und das Blut Jesu verwandelt werden? Man redet sich die Köpfe heiß, man streitet darüber. 1215 schließlich gibt es ein Konzil, eine Kirchenversammlung, das die sogenannte Transsubstantiationslehre zum Dogma, zur Lehrmeinung erhebt. Ein Dogma, das sagt: Brot und Wein werden in der Messe in ihrem Wesen verwandelt, sie werden durch die Wandlungsworte, die der Priester spricht, zum Leib und zum Blut Christi. 

Hmm, das klingt nach komplizierter Theologie, aber mit der allein hätte der christliche Glaube wohl nicht bis heute überlebt, denn Glaube entsteht nicht nur im Kopf. Ich erlebe: Mein Glaube hat etwas mit meiner Sehnsucht zu tun und mit Erfahrungen, die ich auf meinem Glaubensweg und in meinem Leben mache. 

Das verbindet Jung und Alt

Glaube entsteht durch Sehnsucht und durch die Erfahrungen, die ich mache. Zumindest erlebe ich das immer wieder - beruflich und privat. 

Über mehrere Jahre war ich für die Erstkommunionvorbereitung in meiner Pfarrei zuständig. Kinder merken es ganz schnell, wenn etwas nur in der Theorie existiert. Die Erzählungen über Jesus werden dann glaubhaft und bekommen dann eine Relevanz, wenn Kinder zum Beispiel erleben: Sie gehören zu einer Gemeinschaft dazu, die niemanden ausschließt. Glaube wird dann erfahrbar, wenn man miteinander lernt, auch mit den Schwächen anderer gut umzugehen. Im Übrigen gilt das auch für Erwachsene.

Die Sehnsucht, dazu zu gehören, nicht alleine zu stehen, verbindet Jung und Alt.

Und wenn ich meinen Glauben als sinn- und gemeinschaftsstiftend erfahre, dann ist da Gott mittendrin. 

Sie wird offener und vielfältiger

Gott ist mittendrin, das zeigt sich für mich auch dann, wenn sich etwas bewegt, wenn sich etwas verändert, ohne den Bezug zum Vertrauten zu verlieren. Diese Erfahrung darf ich auch in der Kirche zum Glück immer wieder machen, und das gibt mir Hoffnung. 

In der katholischen Kirche gibt es zum Beispiel ein eigenes Arbeitsrecht, das noch einmal zusätzlich zum weltlichen Arbeitsrecht bestimmte Dinge regelt: Dazu gehört auch die sogenannte Grundordnung. Und diese Grundordnung hat immer wieder für Unverständnis und vor allem auch für viel Leid gesorgt, weil zum Beispiel homosexuelle Menschen über viele Jahre ihre Partnerschaften verheimlichen mussten. Im letzten Jahr nun wurde diese Grundordnung ganz grundlegend überarbeitet. Sexuelle Orientierung und wie ich sie lebe, sind nicht mehr ausschlaggebend dafür, ob ich bei der katholischen Kirche arbeiten darf oder nicht. Und auch Geschiedene mit neuer Partnerin oder neuem Partner dürfen künftig ohne Angst oder Versteckspielen in der katholischen Kirche arbeiten. Die katholische Kirche wird offener und vielfältiger durch diese neue Grundordnung und bleibt gerade so ihrem eigentlichen Auftrag treu – und darüber bin ich sehr froh. 

Nicht nur, wenn Gottesdienst gefeiert wird

Gott ist mittendrin: Ich glaube, das gilt vor allem da, wo ich in Beziehung lebe, wo meine Sehnsucht nach Liebe und Gemeinschaft sich erfüllt. Wo ich angenommen, akzeptiert, gesehen bin. „Wo die Liebe ist, da ist Gott“, so heißt es ganz einfach in einem Satz aus dem Gottesdienst, der an die Bibel angelehnt ist.

Gott kann auf vielerlei Weise und an vielerlei Orten mittendrin sein. Und eben auch nicht nur in der Kirche, sondern auch draußen auf den Plätzen und in den Straßen, an Fronleichnam und am Hessentag. 

Gott ist mittendrin. Beim Hessentag in Pfungstadt kann man das erleben - und zwar nicht nur, wenn Gottesdienst gefeiert wird.

„Ein Zug, der niemanden bedroht"

Eben auf vielerlei Weise und an vielerlei Orten ist Gott mittendrin, wenn es im Programm heißt: „weiblich.hessisch.katholisch“ oder „Leben mit Handicaps“, „Pilgern“ oder „queer in church“. Es gibt Mitmachaktionen und Spiele für Familien mit Kindern, eine Ruheoase in der Katholischen Kirche St. Antonius und eine Ansprech-Bar, in der Seelsorgerinnen und Seelsorger für andere da sind, ein offenes Ohr haben. Viele Gruppen, Verbände und Gemeinschaften zeigen, wie bunt und vielfältig Kirche sein kann. 

Gott ist mittendrin, das zeigt die Kirche in besonderer Weise auch heute, wenn sie auf dem Hessentag das Fronleichnamsfest feiert, mit Prozession und allem, was dazu gehört. Für den großen Theologen Karl Rahner ist die Fronleichnamsprozession „ein Zug, der niemanden bedroht, keinen ausschließt und der selbst die noch segnet, die verwundert am Rande stehen.“ Segen und Gutes sollen ausgehen von diesem ziemlich katholischen Fest – für alle. Dass dies lebendig erfahrbar wird, das wünsche ich mir und ich bin zutiefst überzeugt davon: Gottes Segen ist weit und vielfältig, und Gottes Liebe ist mittendrin bei den Menschen, vor allem da, wo sie einander lieben und miteinander feiern.

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