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Es rührte sie so sehre der Sonnenuntergang
Bild: Jäger

Es rührte sie so sehre der Sonnenuntergang

Maike Westhelle
Ein Beitrag von Maike Westhelle, Evangelische Pfarrerin, Studienleiterin, Hofgeismar
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„Das Fräulein stand am Meere /
und seufzte lang und bang /
es rührte sie so sehre /
der Sonnenuntergang.

Mein Fräulein, sei’n sie munter /
das ist ein altes Stück. /
Dahinten geht sie unter /
und kehrt von vorn zurück.“
(Heinrich Heine)

Heinrich Heines Gedicht - in unserer Familie ein Klassiker

Dieses kurze Gedicht von Heinrich Heine ist in unserer Familie ein Klassiker. Weil mein Onkel Sven bei jedem Sonnenuntergang abwechselnd verzückt und gerührt ist. Für einen erwachsenen Mann ist das eher ungewöhnlich und deshalb ziehen ihn die anderen mit diesem ironischen Gedicht auf. 

Romantische Gefühle angesichts des Sonnenuntergangs

Als Jugendliche habe ich gern mitgespottet über Onkel Svens romantische Gefühle angesichts des Sonnenuntergangs. Inzwischen hat sich das aber verändert. Dieses Jahr im Sommerurlaub war der Sonnenuntergang jeden Tag ein fester Termin: Zu sehen, wie die Sonne hinterm Horizont verschwindet, wie sich das Licht und die Farbe des Himmels verändert. Immer wieder neu ein wunderbares Naturschauspiel.

Ein Sonnenuntergang - Zeit zum Innehalten

Natürlich habe ich grundlegende astronomische Kenntnisse und weiß auch, dass der Lauf der Sonne zu einem erneuten Aufgehen und Versinken führen wird. Aber unabhängig davon, hat mir unsere halbe Stunde Sundowner im Urlaub gutgetan. Für mich ist das eine Pause, ein Innehalten. Eine Erinnerung daran, dass alles, was ich diesen Tag gemacht habe, umfasst ist von einem größeren Ganzen: Dem Weltenlauf. Der Geschichte. Ein Moment der Ewigkeit – es gibt so viel mehr als mich und meine Belange. Es gibt Vieles, was mein Leben überdauern wird.

Was mir das Farbenspiel am Himmel zeigt

Deshalb verstehe ich heutzutage das Fräulein am Meer und Onkel Sven: Angesichts des Sonnenuntergangs fühle ich mich zugleich klein und geborgen. Jeden Tag geschieht dieses Naturschauspiel. Der Übergang vom Tageslicht zur Dunkelheit. Dann spüre ich: Ich bin es nicht, die die Welt und das Leben in Händen hält. Das wunderbare Farbspiel am Himmel ist für mich aber ein Hinweis darauf, dass alles gehalten wird. Gott sei Dank!
 

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