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Der goldene Faden
Bild:Pixabay

Der goldene Faden

Dr. Annette Wiesheu
Ein Beitrag von Dr. Annette Wiesheu, Theologische Referentin des Bischofs von Mainz
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„Der goldene Faden“: Das ist der Titel einer Ausstellung, die derzeit im Bischöflichen Dom- und Diözesanmuseum in Mainz gezeigt wird. Es geht um Kirche und Gewänder, aber nicht im herkömmlichen Sinn, um liturgische Kleidung, wie sie von Priestern in den Gottesdiensten getragen werden. Die Ausstellung ist ein Kooperationsprojekt des Museums mit der Akademie Mode & Design Wiesbaden. Studierende der Akademie haben sich von den liturgischen Gewändern in der Sammlung des Museums inspirieren lassen, von alten, traditionsreichen, oftmals aufwendig gestalteten Textilien für den Gebrauch im Gottesdienst. Und sie haben eigene Kollektionen entworfen, die die Gewänder und Textilien neu interpretieren – und in Verbindung bringen mit Fragen des Menschseins und mit aktuellen theologischen und kirchlichen Themen. 

"Schönheit und Vergänglichkeit"

Zum Beispiel: Da ist ein Kleid aus wunderbarer schwarzer Spitze gearbeitet, oben mit schönen, sorgfältig genähten und drapierten Blumen – und nach unten hin geht das Kleid in gerissene, angeschnittene Stoffe über. Schönheit und Vergänglichkeit ist das Thema dieser Arbeit. Der Designerin ging es darum zu zeigen: Schönheit und Vergänglichkeit stehen nicht gegeneinander, es gibt eine Schönheit auch in der Vergänglichkeit. Alle Arbeiten der jungen Designerinnen sind in die Schausammlung des Museums integriert und stehen in Bezug zu einem Ausstellungsstück des Museums. Das schwarze Kleid steht neben einem monumentalen Sarkophag aus Stein, in dem ein Mainzer Erzbischof des Mittelalters im Westchor des Dom beigesetzt worden war. 

Outfits für starke Frauen

Andere Arbeiten thematisieren Geschlechterrollen und das Frauenbild in der katholischen Kirche und in der christlichen Tradition. Eine junge Künstlerin hat Outfits für die starken Frauen des Alten Testaments entworfen: Sportliche Kleidung für Judit, Esther und Miriam, geeignet für dynamische Frauen, die sich nicht mit einer passiven Rolle begnügten, sondern aktiv ihr eigenes Schicksal und das Schicksal ihres Volks in die Hand genommen haben. Ein reizvoller Kontrast zur Männerrunde der zwölf Apostel in schweren, kunstvollen, in Stein gehauenen Gewändern. 

Es lastet schwer auf den Schultern

Besonders eindrucksvoll ist eine Kollektion liturgischer Gewänder, die sich mit dem Thema „Sexueller Missbrauch in der katholischen Kirche“ auseinandersetzt. Sie ist unter einer Kreuzigungsdarstellung ausgestellt und thematisiert das Leid der Betroffenen. Das Hauptstück ist ein liturgisches Obergewand, eine Kasel, bestickt mit 3677 tränenförmigen Glasperlen. 3677 – das ist die Zahl der Opfer, die die MHG-Studie nennt, die den „Sexuellen Missbrauch an Minderjährigen durch katholische Priester, Diakone und männliche Ordensangehörige im Bereich der Deutschen Bischofkonferenz“ untersucht hat. Die Kasel ist nur oben bestickt, weil die offizielle Zahl nur die Spitze des Eisbergs ist. Die wahre Zahl der Betroffenen ist unbekannt. Das Gewand vermittelt: Die Tränen der Betroffenen wird die Kirche nicht mehr los, sie sind ihr quasi auf die Seele genäht; und das Gewand wiegt schwer, es lastet schwer auf den Schultern – wie die Schuld.  

Ernsthaft und respektvoll

Was man den Stücken in dieser Ausstellung im Mainzer Diözesanmuseum ansieht: Hier sind junge Menschen am Werk, die nicht mit einer religiösen oder kirchlichen Brille auf die alten Gewänder blicken. Vielmehr schauen sie kritisch und kreativ auf die Tradition, fragen sie an, setzen sie in Beziehung zu ihren eigenen Themen, zu den Themen der Gegenwart. Überhaupt nicht plakativ oder oberflächlich, sondern ernsthaft und respektvoll. Ich finde: Es ist ein inspirierender Blick, und ich glaube, er tut der katholischen Kirche, er tut Christinnen und Christen gut.

 

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