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Ich glaube an die Freundschaft
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Ich glaube an die Freundschaft

Charlotte von Winterfeld
Ein Beitrag von Charlotte von Winterfeld, Evangelische Pfarrerin, Frankfurt
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Vor einigen Jahren noch ging Trude Simonsohn mit ihren Gehstöcken jeden Tag durch den Grüneburgpark in Frankfurt. Dann konnte sie sich nur noch im Rollstuhl fortbewegen, drehte aber gern zu fröhlicher Tanzmusik ein paar Runden auf dem Parkett im Altersheim. Vor wenigen Wochen am 6. Januar starb sie im Alter von 100 Jahren: Trude Simonsohn, Frankfurter Ehrenbürgerin und Zeitzeugin der Nazizeit.

Trude Simonsohn, eine Frau mit unglaublich positiver Ausstrahlung trotz aller Gräuel, die sie erlebt hat

Wer sie erlebt hat, persönlich oder im Radio oder im Fernsehen, hat es erfahren: Diese Frau hat eine unglaublich positive Ausstrahlung trotz aller Gräuel, die sie erlebt hat: Einzelhaft in Tschechien, KZ Theresienstadt und KZ Auschwitz, Ermordung der Eltern. Jahrzehntelang hat sie vor Schulklassen und Gruppen erzählt, was sie erlebt hat, und ihren gelben Judenstern von damals gezeigt. Das kostet Kraft. Sie hat erklärt, warum sie das macht und kämpft dabei mit den Tränen: „Man hat die Pflicht für alle, die nicht mehr reden können.“

„Auschwitz haben die Menschen gemacht, nicht Gott."

Viele ihrer jüdischen Zeitgenossen haben den Glauben an Gott verloren, angesichts dessen, was sie damals erlebt haben. Trude Simonsohn sagt: „Auschwitz haben die Menschen gemacht, nicht Gott. Das soll man Gott nicht in die Schuhe schieben.“ Trotzdem weiß sie manchmal nicht, ob sie glaubt.

„Ich glaube an die Freundschaft"

Sie beschreibt das so: „Ich glaube eigentlich nicht an Gott, aber ich bete jeden Abend zu Gott.“ Und: „Wenn ich etwas unwahrscheinlich Schönes sehe, dann denke ich: Es gibt Gott.“ Und: „Ich glaube an die Freundschaft. Es gibt immer Leute, die für einen da sind, die einem gut zureden, die zu einem stehen. Es gibt Menschen die Briefmarken sammeln. Ich sammele Freunde.“

Die Mutmachsätze eines Maurers helfen Trude Simonsohn zu überleben

Sie erzählt davon, wie sie als 20-Jährige in Einzelhaft war, wie sie dabei verzweifelt und keinen Sinn mehr sieht, weiterzuleben. Ein Maurer hilft ihr damals. Jeden Tag, während er die Wohnung gegenüber der Zelle renoviert, sagt er Mutmachsätze zu ihr: „Gib nicht auf. Der Hitler wird draufgehen, und du wirst leben.“ Trude Simonsohn kennt nicht einmal den Namen dieses Mannes. Trotzdem behauptet sie: „Ohne diesen Maurer hätte ich nicht überlebt.“

Freundschaft meint auch das Gute im Menschen und die Mitmenschlichkeit

„Ich glaube an die Freundschaft.“ Was für ein starker Satz! Trude Simonsohn meint wahrscheinlich noch viel mehr damit. Sie meint mit Freundschaft auch das Gute im Menschen und die Mitmenschlichkeit. Mitten im Leid und in der Unmenschlichkeit der Welt ist sie Menschen begegnet, die Zeichen dagegengesetzt haben, die es anders gemacht haben, die ihr nah sind. Ich spüre hinter ihren Worten ihre Dankbarkeit.

Und ich bin wie sie dankbar für meine Freundinnen und Freunde. Und für Menschen wie Trude Simonsohn. Für mich sind sie Geschenke Gottes.

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