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Adventszeit - eine Zeit der Engel und der Träume
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Adventszeit - eine Zeit der Engel und der Träume

Anna Maria Niem
Ein Beitrag von Anna Maria Niem, Mentorin für geistliche Ausbildung an der katholischen Hochschule Sankt Georgen in Frankfurt
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In der Advents- und Weihnachtszeit höre ich in den Gottesdiensten einiges von Engeln und Träumen. Allen voran begegnet mir der Engel Gabriel. Er sagt zu Maria: Du wirst Jesus, Gottes Sohn, zur Welt bringen. Gott soll in ihr heranwachsen und Mensch werden. Und er wird Frieden bringen. Er wird seine Welt und seine Menschen heilen. Wird alles zum Guten wenden. Das klingt für Maria wie ein Traum und zunächst ziemlich unwahrscheinlich. Aber es wird wahr.

Der Engel kommt unerwartet

Der Engel kommt zu Maria in einem Moment, in dem sie nichts in der Richtung erwartet. Und ist genauso schnell wieder verschwunden, wie er gekommen ist. In der Bibel steht am Ende der Erzählung nur ganz kurz und lapidar der Satz: Dann verließ sie der Engel. (vgl. Lk 1,26-38)

Sieh es aus einer neuen Perspektive

Dann ist da Josef. Er ist mit Maria verlobt, hat sie noch nicht angerührt, und plötzlich ist sie schwanger. Für ihn bricht eine Welt zusammen. Er will sich von ihr trennen. Und wieder ein Engel. Im Traum. Der Engel sagt ihm: Es ist alles anders, als du denkst. Sieh es aus einer neuen Perspektive. Von Gott her. Hab Vertrauen! Und auch dieser Engel verschwindet mit dem Traum. Aber etwas bleibt in Josef. Sein Gefühl gegenüber Maria und gegenüber Gottes Fügungen hat sich verändert. Traum und Engel lassen tatsächlich ein Gefühl von Vertrauen zurück. Ein Gefühl von „alles wird gut, gib sie nicht auf!“ Und Josef bleibt an Marias Seite, weil ein Engel im Traum alles verändert hat. (vgl. Mt 1,18-25)

Ein Engel wirft seine Pläne um

Josef träumt noch einmal. Und wieder erscheint ihm ein Engel (Mt 2,13-15). Auch die heiligen drei Könige träumen (Mt 2,12). Diese Träume warnen vor Gefahr. Die Könige spüren es im Traum: Sie dürfen Herodes nicht vertrauen. Josef spürt: Er muss fliehen mit Frau und Kind – um ihr Leben zu retten. Wieder ist es ein Engel, der seine Pläne verändert.

Engel verändern meinen Blick und machen mir Hoffnung

Und so begegnen mir in der Bibel immer wieder Engel. Sie können mich auch heute warnen: Sei wachsam, traue nicht jedem! Sie verändern meinen Blick, wenn ich auf festgefahrene Situationen schaue. Sie halten große Sehnsüchte in mir wach und machen mir Hoffnung, dass die sich tatsächlich erfüllen wollen. Die biblischen Engel kommen und gehen wie im Traum. Sie haben etwas Unwirkliches an sich. Und doch haben sie die Kraft zu verändern – vieles oder gar alles.

Gibt es diese Engel wirklich?

Aber dann frage ich mich wieder: Gibt es diese Engel wirklich? Begegnen die biblischen Engel wirklich auch mir? Was hat mein Leben, was hat mein Alltag mit diesen wunderlichen alten Erzählungen zu tun? Es wäre ja toll, würde mir ein Engel im Traum erscheinen und mir sagen, was ich tun soll. Aber so etwas geschieht eben doch nur in wunderlichen alten Erzählungen. Oder…?

Ich führe euch nach Hause

Ich habe als Kind tatsächlich einmal geträumt, dass ich mich mit meiner Großmutter im Wald verirrt hätte. Und dann erschien nicht ein Engel, aber eine Fee. Sie tauchte den ganzen Himmel in ein warmes helles Licht und versprach: „Ich führ euch nach Hause!“

Manche Träume vergisst man nie

Vielleicht kennen Sie das auch – manche Träume hinterlassen einen so starken Eindruck, dass man sie das ganze Leben lang nicht vergisst. Ich bin aus diesem Traum mit einem guten Gefühl aufgewacht und sehe das Bild bis heute vor mir. Noch immer hält der Traum in mir eine ganz tiefe und große Sehnsucht wach. Nämlich, dass Gott mir in verworrenen und schwierigen Situationen meines Lebens tatsächlich einen Engel sendet. Und dass da grundsätzlich jemand an meiner Seite ist, der mich heimführt. Heim zu mir in mein innerstes Selbst. Das mir auch dann Heimat und Verbindung zum Himmel schenkt, wenn um mich herum alles durcheinandergerät.

Träume gibt es in meiner Realität. Aber Engel…? – Ich glaube wirklich: Auch die gibt es.

Wie aus dem Nichts taucht plötzlich ein Engel auf

In der zerstörten ukrainischen Stadt Borodjanka tauchte Anfang November ein Graffito auf. An einem Haus, das von einer Bombe völlig zerstört war, rußgeschwärzt, unbewohnbar. Einem Ort, an dem nichts mehr ist, wie es einmal war. An dem nur noch Verlorenheit und Schwärze zu leben scheinen. Und plötzlich wie aus dem Nichts dieses Bild. Ein Bild, das den schrecklichen Ort unvermittelt in ein ganz neues, überraschendes Licht taucht.

Inmitten der Trümmer, strahlt ein schönes Licht

Das Graffito zeigt eine junge Frau, vielleicht eine Tänzerin. In graziler Bewegung ist sie dabei, einen Handstand zu vollführen. Auf einem kleinen Berg gesprengter Steine. Die Figur strahlt Licht aus. Eine Figur, die sich inmitten einer völlig konträren Umgebung auf ihre Kunst konzentriert, auf das Schöne, auf das Leben.

Vermutlich wird sie jedem, der an ihr vorbeikommt, ein kleines Lächeln auf die Lippen zaubern.

Der unsichtbare Künstler lässt die Orte in ganz neuem Licht erscheinen

Das Graffito mit dem grazilen Handstand kommt von dem geheimnisvollen britischen Streetart-Künstler Banksy. Gesehen hat ihn noch niemand. Seine Kunstwerke tauchen einfach auf. Das Besondere sind die Orte, an denen sie entstehen. Die mit den Bildern plötzlich in ganz neuem Licht erscheinen.

Wie die Engel verschwindet er völlig hinter seinem Werk

Für mich hat dieser Künstler einiges mit den biblischen Engeln gemeinsam. Er bringt neue Dynamik, neuen Wind. Er taucht scheinbar hoffnungslose Situationen in neues Licht. Er hält die Sehnsucht wach, dass das Gute am Ende siegen wird. Und er stellt nicht sich selbst ins Rampenlicht. Wie die Engel verschwindet er völlig hinter seinem Werk. Damit verleiht er seinen Bildern an den ungewohnten Orten etwas Traumhaftes. Etwas Traumhaft-Unwirkliches mit bleibendem Eindruck. Denn wer seine Bilder gesehen hat, geht verändert weiter.

Banksy - der moderne Engel

Insofern ist Banksy für mich so etwas wie ein moderner Engel, der mit seinen wohltuenden Überraschungen viele Menschen erreicht.

Glaube ist nicht starr, er ist ein Weg

Aber auch in meinem Alltag gibt es sie, diese modernen Engel. Ich hatte mit Anfang 20 eine Phase, da habe ich viel nachgedacht. Ich kannte so viele Menschen, die irgendwie ganz fest in ihrem christlichen Glauben standen. Und habe mich gefragt, woran glauben die genau? Ich konnte das für mich gar nicht beantworten. Und dann bin ich eines Sonntags aus ganz anderen Gründen in einem Gottesdienst gelandet. Der Pfarrer hat über den Glauben gepredigt. Glaube ist ein Weg, sagte er. Ich muss nicht von Anfang an genau wissen, was ich glaube. Muss nicht einfach zu allem Ja und Amen sagen können. Sondern ich kann mich auf diesen Weg machen. Und werde hinter jeder Biegung etwas Neues entdecken. Dieser Pfarrer ist für mich sowas wie ein Engel gewesen. Ich bin von da an jeden Sonntag wiedergekommen und habe mich einfach mal auf diesen Glaubensweg gemacht. Dieser Mensch hat, ohne es zu wissen, mein Leben total verändert, und ich bin ihm bis heute dankbar. Auch wenn er dann später ganz aus meinem Leben verschwunden ist.

Als hätte Gott mir einen Engel gesandt

So können mir auch heute Engel begegnen. Manchmal ganz unscheinbar. Z. B. als es mir einmal überhaupt nicht gut ging und mir ein wildfremder Mensch ganz aufmunternd zugelächelt hat. Wenn ich im Nachhinein über solche Situationen nachdenke, dann ist es, als hätte Gott mir einen Engel gesandt. Und ich könnte noch viele solcher Beispiele finden.

Augen und Ohren offen halten und die Engel erkennen

Ich glaube, ich werde diese besondere Zeit von Advent und Weihnachten nutzen. Diese Zeit, in der ich aus der Bibel immer wieder von Träumen und von Engeln höre. Ich mache mich bewusst in meinem eigenen Leben auf die Suche: Ich achte auf meine Träume und auf das, was sie mir vielleicht sagen wollen. Und halte Augen und Ohren offen, wo Gott mir in meinem Alltag Engel schickt. Am besten erkenne ich sie im Nachhinein, wenn ich noch einmal liebevoll auf meinen Tag zurückschaue.

Vielleicht werde ich selbst für jemanden zum Engel

Die Engel sind zwar schnell wieder verschwunden. Aber sie können meinen Blick auf die Welt verändern. Und wer weiß, vielleicht werde sogar ich selbst irgendwo für jemanden zum Engel.

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