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Kleidung für jede Lebenslage
Bild: StockSnap/Pixabay

Kleidung für jede Lebenslage

Tanja Griesel
Ein Beitrag von Tanja Griesel, Evangelische Pfarrerin, Fritzlar
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Januar. Die Luft ist klar. Die Sonne scheint. Der Wind pfeift mir um die Ohren. Es ist kalt, sehr kalt sogar. Der Blick geht weit übers Meer bis zum Horizont. Die Gischt schlägt hoch, spült Steine, Muscheln und Schlick an den Sandstrand und zieht sich wieder zurück.

Zwei Menschen in Neoprenanzügen trotzen Kälte und Wind

Zwei Menschen in Neoprenanzügen trotzen Kälte und Wind. Unbeirrt von der rauen Witterung stehen sie in den Wellen - und lachen. Man könnte meinen, es sei Sommer oder zumindest ein schöner Herbsttag. Fasziniert beobachte ich die beiden, ein Mann und eine Frau, sie scheinen ganz in ihrem Element zu sein. Und dann sehe ich auch ihre Surfbretter.

Surfen im Winter?

Surfen im Winter? Die Nordsee hat im Januar etwas unter 6 Grad. Der Neoprenanzug der beiden Surfer reicht deshalb von den Füßen bis zum Kopf, auch die Hände sind bedeckt. Ohne diesen Schutz würden sie vermutlich ziemlich schnell erfrieren. Mir flößt das Meer Respekt ein, vor allem bei dieser Jahreszeit. Und so denke ich: Wer tut sich das an und geht bei diesen Temperaturen ins Meer? Ich bin neugierig. Als die beiden aus dem Wasser kommen, frage ich nach.
"Es ist ein Abenteuer", sagt der Mann, "im Winter haben die Wellen eine besondere Kraft.
Adrenalin und Endorphine schießen durch den Körper. Das ist das pure Glücksgefühl."
"Es ist hart, sich am Ende wieder aus dem Neoprenanzug zu schälen", sagt die Frau, "aber der Körper fühlt sich wohlig warm an – wie neugeboren."

Besondere Gelegenheiten brauchen besondere Kleidung

Besondere Gelegenheiten brauchen besondere Kleidung. Wenn ich auf der Kanzel stehe, habe ich einen Talar an. Wenn ich mit dem Hund im Wald unterwegs bin, trage ich Wanderschuhe und wind- und wasserfeste Outdoor-Kleidung. Fürs Theater ziehe ich ein Kleid an. Im Alltag dürfen es Turnschuhe und Jeans sein. Ich besitze viele Kleidungsstücke. Nur eins, das besitze ich nicht: einen Neoprenanzug. Aber jetzt weiß ich: Sollte ich jemals auf die Idee kommen, im Winter Wassersport zu betreiben, ich müsste mir einen zulegen. Mit der richtigen Kleidung ist man für jede Lebenslage gewappnet.

Kleidung ist auch eine Frage des christlichen Glaubens

Mit der richtigen Kleidung ist man für jede Lebenslage gewappnet. Kleidung ist eben nicht nur eine Frage der Mode oder der Wetterlage. Kleidung ist auch eine Frage des christlichen Glaubens. Zumindest kennt die Bibel ein Kleidungsstück, das für Christinnen und Christen ebenso wichtig ist, wie der Neoprenanzug für die Wintersurfer. Paulus schreibt: "Denn ihr alle, die ihr auf Christus getauft seid, habt Christus angezogen (Galater 3,27)".
"Christus anziehen" ist ein Bild für das, was in der Taufe symbolisch mit uns passiert: Wir legen unsere alten Kleider ab und ziehen ein neues Kleid an. Das ist wie eine Verwandlung: Ich bin neu. Ich gehöre zu Gott. Ich reihe mich ein in die Schar der Christinnen und Christen.

"Christus anziehen" – aus diesem Gedanken heraus hat sich die Tradition des Taufkleides entwickelt. In der Regel war es ein weißes Kleid, das zeigen sollte: Getaufte gehören zu Christus. Auch in meiner Familie gibt es ein Taufkleid, das von Generation zu Generation weitergeben wird. Für mich ist das Taufkleid eng mit meiner Oma verbunden. Sie stammte aus dem Rheinland. Sie war eine gläubige Frau und wurde streng katholisch erzogen. Wenn in unserer großen Familie ein Kind geboren wurde, stand außer Frage, das Kind taufen zu lassen. Vor allem, wenn es zu früh, zu kränklich oder zu schmächtig war, riet sie zur Eile. Ich war wohl so ein schmächtiger Säugling. Nur Haut und Knochen, erzählt man sich. Meine Oma hat sich Sorgen gemacht. Lasst es schnell taufen, hat sie geraten. Dann steht das Kind unter Gottes Segen und unter seinem Schutz. Und so wurde ich wenige Wochen nach meiner Geburt getauft. Als meine Kinder geboren worden, hat unsere Oma wieder gesagt: "Wartet nicht zu lange, lasst das Kind bald taufen!" Neben dem Schutz, den sie sich durch die Taufe erhoffte, galt ihre Sorge stets dem Taufkleid. Nicht auszudenken, wenn das Taufkleid nicht mehr passen würde. Das Kleid war ihr ebenso wichtig wie die Taufe selbst. Dabei ist es nicht besonders prunkvoll oder ausgefallen. Ganz im Gegenteil. Es ist schlicht und an manchen Stellen vom Waschen und Plätten ganz dünn, fast durchsichtig. Meinem Sohn hat es kaum noch gepasst. Er war ein halbes Jahr alt und recht propper. Das Taufkleid ließ sich im Rücken nicht mehr schließen. Dafür reichte es ihm in der Länge weit über die kurzen Beine. Wenn meine Kinder alte Tauffotos sehen, wundern sie sich. Das Kleid passt gar nicht. Warum zieht man es dann aber an? Es stimmt. Ein Taufkleid ist nicht maßgeschneidert. Ganz im Gegenteil. Es ist riesig, mehr ein Überwurf, der – zumindest in der Länge – viel Platz lässt, um hineinzuwachsen. Das ist gut so. Denn mit der Taufe ist der Wunsch verbunden, der Täufling möge in den Glauben hineinwachsen. So ist das Taufkleid viel mehr als ein Kleidungsstück. Es ist ein Symbol. Wer sich taufen lässt, hat Christus wie ein Kleidungsstück angezogen. Er oder sie gehört zu ihm, und möchte in seinem Geist leben und in seinen Spuren wandeln.

Bei manchen Menschen verknüpfen sich mit der Taufe noch andere Hoffnungen. Wie meine Oma hoffen sie darauf, die Taufe möge das Kind vor Unheil und Schaden bewahren. Ich kann das gut verstehen, aber die Taufe ist kein magisches Ritual. Und das Taufkleid kein Neoprenanzug als Schutz gegen Leid. Christinnen und Christen gehen nicht unbeschadet durchs Leben. Unser Leben ist und bleibt gefährdet. Auch getaufte Menschen können krank werden, Not erleiden, Gewalt ausgesetzt sein oder viel zu früh sterben. Daran ändert auch die Taufe nichts. Dennoch weiß ich: durch die Taufe bin ich sichtbar mit Gott verbunden worden. Ich vertraue auf Gott. Er ist in Zeiten der Not bei mir. Er schenkt mir Kraft, um schwierigen Situationen durchzustehen oder auch Leid anzunehmen.

"Und Ihr habt keine Angst vorm Kentern?"

Ich denke an die Begegnung mit den beiden Wintersurfern und an unser Gespräch. Kostet es nicht – Neoprenanzug hin oder her – große Überwindung, ins eiskalte Meer zu gehen? "Die ersten Schritte sind hart", antworten die beiden, „und es ist ja nicht nur das Wasser. Die kalte Luft schmerzt in den Lungen. Aber davon darfst du dich nicht abschrecken lassen. Nach ein paar Metern steigst du aufs Brett, richtest dich auf, tarierst deinen Körper aus und findest dein Gleichgewicht. Dann beginnt das Vergnügen.“
"Und Ihr habt keine Angst vorm Kentern?", frage ich. Die beiden sehen sich kurz an, dann schütteln sie den Kopf und lachen. Die beiden Sportler vertrauen auf ihre Fähigkeiten und ihre Ausrüstung.

Wie wird 2022 werden

Das neue Jahr hat gerade erst begonnen. Wie wird es werden, das Jahr 2022? Was möchte ich wagen? Wo möchte ich mehr vertrauen? Wie kann ich Zukunftsängste und Sorgen überwinden? Wie wappne ich mich für das, was kommt? – Vielleicht mit der richtigen Kleidung. "Ihr alle, die ihr auf Christus getauft seid, habt Christus angezogen." 

Christus umgibt mich wie ein Kleid

Christus umgibt mich wie ein Kleid – wie eine Hülle. Mein Christuskleid ist kein Schutzanzug, an dem alles abperlt. Ziel ist nicht, unverwundbar zu sein. Ich möchte durchlässig bleiben und mich anrühren lassen.

 Gottvertrauen-als Haltung

Ich möchte das Leben spüren, alles wahrnehmen, und trotzdem nicht verzagen. Von meinen Sorgen und Ängsten lasse ich mich nicht in die Knie zwingen. Ich lasse mich nicht davon abhalten, mit dem Guten zu rechnen. Ich frage mich: Welche Möglichkeiten und Chancen bringt das Jahr mit sich – und was kann ich dazu beitragen, damit es ein gutes Jahr wird?

Mein Christuskleid ist dabei die innere Haltung, aus der heraus ich lebe. Eine Haltung von Gottvertrauen. Und so gehe ich mutig voran in das neue Jahr und setze einen Schritt vor den nächsten – vielleicht sogar auf ein schaukelndes Surfbrett, wer weiß.

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