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Genauer Blick
Pixabay/Ria Sopala

Genauer Blick

Andrea Seeger
Ein Beitrag von Andrea Seeger, Evangelische Theologin, Oberursel
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Die Zeiten, als meine Eltern mir Adleraugen bescheinigten, sind lange vorbei. Mir geht es wie den meisten Menschen: Mein Sehvermögen verändert sich. Als ich für mein Abschlussexamen viel lesen musste, bekam ich Kopfschmerzen.

Brille mit Mitte 20 - irgendwie peinlich

Der Arzt empfahl eine Lesebrille. Noch nicht Mitte 20 und schon eine Sehhilfe – irgendwie war mir das peinlich. Nach den Prüfungen verschwand das Ding in den Tiefen einer Schublade. Mit Mitte 40 kniff ich die Augen zusammen, um Kleingedrucktes entziffern zu können, auch bei der Zeitungslektüre bekam ich einen schmalen Blick.

Durch die neue Gleitsichtbrille rückt alles ein bisschen näher

Nach zwei Jahrzehnten also ab zur Augenärztin. „Das ist eine typische Alterserscheinung“, befand die Expertin. Ein bisschen beleidigt war ich schon. Aber seitdem ich die Gleitsichtbrille trage, sehe ich die Lachfältchen der Nachrichtensprecherin und den kleinen Bauchansatz des Schauspielers. Das gefällt mir! Es lässt die Hochglanz-Menschen natürlicher wirken, rückt sie ein bisschen näher heran.

Verschiedene Durch-Blicke für unterschiedliche Lebenslagen

Wenn ich es in einen philosophischen Zusammenhang bringe, stelle ich fest: Es gibt verschiedene Durch-Blicke für unterschiedliche Lebenslagen, Anforderungen, Bedürfnisse und Altersklassen. Manchmal ist es wichtig, genau hinzuschauen, unter die Oberfläche. Manchmal ist es besser, den Blick in die Weite zu lenken, Dinge in einem größeren Zusammenhang zu sehen. Manchmal ist es weise, ein Auge zuzudrücken, etwas absichtlich zu übersehen.

Die Gleitsichtbrille führt mich auch zu der Frage: Mit welcher Brille schaue ich auf die Welt, auf einen anderen Menschen, auf ein Ereignis, auf mich selbst?

Gott braucht keine Brille

Eines weiß ich sicher: Gott braucht keine Brille. „Du bist ein Gott, der mich sieht“ (1. Mose 16,13) heißt es in der Bibel. Irgendwie beruhigend, dass da jemand ist, der mich im Blick hat, ganzheitlich. Nicht als der große Aufpasser, als der übermächtige Kontrolleur oder als unheimlicher Überwacher. Nein, als einer, der nach mir schaut, der meine Geschichte kennt, meine Hoffnungen und Ängste, meine Nöte, der da ist, wenn ich ihn brauche.

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