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Von der Macht der "Influencer" und der Kraft der Unabhängigkeit
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Von der Macht der "Influencer" und der Kraft der Unabhängigkeit

Stefan Herok
Ein Beitrag von Stefan Herok, Katholischer Pastoralreferent i.R. in der Pfarrei St. Bonifatius, Wiesbaden
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Guten Morgen und einen schönen Sonntag, liebe Hörerinnen und Hörer, in diesem wunderbar altmodischen „Sozial-Medium“: Radio - oder Rundfunk!

Weil es versucht, mit gut ausgewähltem Programm Menschen zu erreichen und zu verbinden, darum ist das Radio für mich wirklich ein „soziales Medium“, mit kulturellem und gesellschaftspolitischem Anspruch. Manchmal sogar mit religiösem Zuspruch. Radio gehört allerdings offiziell gerade nicht zu den „social media“. „Social media“ – bewusst als Plural formuliert - sind internetgestützte Verbindungskanäle, die eine gegenseitigeKommunikation ermöglichen. Und weil das Radio zwar ein Massenmedium, aber eben kein „social media“ ist, darum bin ich als Autor und Sprecher auch kein „Influencer“. Wie bedauerlich!

Lichtjahre entfernt vom Status eines mäßigen Influencers

Influencer ist ein neues Zauberwort der Medienwelt. Wir kirchlichen Kommunikatoren haben durch die Distanzzwänge der Pandemie durchaus verstärkt die Möglichkeiten neuer Medien entdeckt: Wir twittern, streamen Gottesdienste und stellen meditative Videos auf Facebook oder unseren nagelneuen You-Tube-Kanal. Richtig stolz war ich, als eins dieser Videos 478 Aufrufe erreicht hatte. Das ist für kirchliche Verhältnisse gut, aber Lichtjahre entfernt vom Status eines mäßigen Influencers. „Mega-Influencerinnen“, wie die deutschen Zwillinge ‚Lisa und Lena‘ haben über eine Million Follower.

Weltverbesserer, Werbeträger, Geschichtenerzähler oder Selbstdarsteller

Nach Untersuchungen eines Wissenschaftlers, auf den auch der Gebrauch des Begriffs „Influencer“ zurückgeht, sind die Eigenschaften, die man dafür braucht: soziale Autorität, Vertrauenswürdigkeit, Hingabe und konsistentes, also stimmiges Verhalten[1]. In einer anderen Studie fand ich eine Unterscheidung von Influencer-Typen nach ihren Motiven: Da gibt es tatsächlich „Weltverbesserer“, aber auch simple „Werbeträger und Vermarkter“, es gibt „Geschichtenerzähler“, und Influencer, „Beeinflusser“, die primär auf „persönliche Anerkennung“ aus sind…

Seelen berühren, nicht manipulieren

Beeinflussen, ja, das möchte ich als Kirchenmensch hier im Radio auch schon gerne! Nicht manipulieren, aber doch Wirkung erzeugen: Seelen berühren, Herzen stärken, vielleicht zu Haltungen motivieren oder zu einem Moment Nachdenklichkeit anregen.

Marktwert schlecht – Vertrauen verspielt

Aber ich weiß natürlich, dass mein „Marktwert“ als Kirchenvertreter – gerade auch katholisch – zurzeit denkbar schlecht ist. Wie war das noch mit den Eigenschaften, die ein erfolgreicher Influencer braucht: soziale Autorität, Vertrauenswürdigkeit, Hingabe und konsequentes Verhalten. Davon haben wir in der Vergangenheit leider eine Menge verspielt, besonders durch die Missbrauchs-Skandale und ihre mangelhafte Aufarbeitung…

Kann ich von Top-Influencern lernen?

Ich habe mich mal bei ein paar Top-Influencern durchgeklickt, ob ich bei ihnen vielleicht etwas für meine Art, Botschaften zu versenden, lernen kann. Und ob ich wirklich so ein Influencer sein möchte…

Wollen sie die Welt verbessern?

Beim InfluencerTyp „Weltverbesserer“, der mich besonders interessiert, stieß ich auf Klima-Aktivistinnen wie Greta Thunberg oder die indonesischen Schwestern Melati und Isabel Wijsen. Sehr beeindruckende Internetpräsenz erreicht die Wissenschafts-Journalistin Mai Thi Nguyen-Kim. Und ‚Lisa und Lena‘, die deutschen Mega-Influencerinnen, traten immerhin wiederholt bei „Ein Herz für Kinder“ auf. Da gibt’s schon viel auf social media, was ich klasse finde. Sehr viel Influencer-Geschehen ist nach meinem Eindruck aber doch „Werbung“, die den Verkauf von Marken und Produkten fördern will.

Oder doch nur Produktverkauf fördern?

So stellt sich mir die Frage: Wie entstehen heute gesellschaftsrelevante Meinungen und soziale Haltungen? Wer erreicht heute wen, und beeinflusst andere in welche Richtung?

Dass man bei dieser Frage am Internet nicht vorbeikommt, ist mir schon klar.

Die „klassischen“ Autoritäten haben scheinbar ihren Einfluss verloren

Alle „Autoritäten“ und die sogenannten „Honoratioren“, die gestern noch Macht und Einfluss hatten, sehe ich irgendwie am Ende: Politik, Schule, Wirtschaft, Presse, Vereine, Verbände und uns Kirchen. Ja, selbst die lange Zeit fast wie eine Religion verehrte Wissenschaft verliert im Zeitalter sogenannter „alternativer Fakten“ ihren orientierenden Einfluss. Das sieht man am Zuwachs z.B. bei den Leugnern des Klimawandels oder der Corona-Pandemie, genauso wie bei den Anhängern von Verschwörungs-Erzählungen und sogenannten Querdenkern, bei den „Reichsbürgern“ und Rechtsextremen, leider auch bei der Polizei.

Durch Skandale und Krisen die Glaubwürdigkeit verspielt

Natürlich haben viele dieser „alten“ Autoritäten einiges an Machtverlust selbst zu verantworten. Allen voran meine Kirche, wie eben schon angedeutet. Aber auch Politik, Wirtschaft und Sozialverbände haben mit ihren 1000 Krisen vom Masken- und Abgas-Skandal bis zum Betrug bei der Arbeiterwohlfahrt in Frankfurt viel Vertrauen verspielt.

Der im Selbstgefühl beschädigte Mensch dreht sich nur um sich selbst

Und doch ist durch das Versagen bisheriger Autoritäten der starke Verfall sozialer Haltungen und besonders das enorme Anwachsen von Hass und Gewalt allein nicht zu erklären.Wir befinden uns nach meinem Eindruck in einer „narzisstischen Krise“. Es herrscht ein zugespitzter, ungesunder Egoismus, bei dem viele Menschen die soziale Orientierung verloren haben. Siehe z.B. Autobahn-Raser und Unfall-Gaffer. Der in seinem Selbstgefühl beschädigte Mensch dreht sich nur um sich selbst, versteht sich als „Maß aller Dinge“: seine Interessen rechtfertigen alles, auch Lüge und Betrug. Fühlt er sich verletzt, ist er nicht zu trösten, findet, dass immer „die anderen“ schuld sind und er schlägt wie wild um sich. Als Vorbildern kann er wiederum nur Narzissten folgen. Darum haben die „alten Autoritäten“ bei ihm keine Chance – selbst, wenn sie fehlerlos wären. Und auch „Weltverbesserer-Influencer“ – wie oben aufgezählt – versuchen vergeblich, ihn zu erreichen. Irgendwer oder irgendwas kränkt immer sein Selbstbewusstsein: Die Flüchtlinge, die – wie er sie nennt – Lügenpresse, der Islam oder – in unfassbarer historischer Neuauflage – die jüdische Community. Auf all das reagiert er mit unsäglicher Wut und ungebremstem Hass; meinungsmäßig, aber leider auch mehr und mehr „handgreiflich“. Und im Internet heizt sich dieser Narzissmus immer weiter auf…

Menschlichkeit und Demokratie sind in Gefahr

Das gefährdet bei uns – wie ich finde – zunehmend die Menschlichkeit, aber auch die Demokratie…[2]

Was könnte diesen bedrohlichen Erschütterungs-Trend und diese Entsozialisierung in unserer Gesellschaft nur wirksam stoppen?

Welche Werte helfen uns gegen Hass und Gewalt?

Die Influencer glaube ich nicht. Ihre Macht – egal welcher Influencer-Typ – stärkt einen Trend, den ich zunehmend problematisch finde: nämlich die totale "Personalisierung" aller Lebensbereiche. Früher fand ich gut, dass überzeugende, glaubwürdige Persönlichkeiten als wichtigstes Moment für nahezu alles galten, von der Politik bis zur Religion. Heute würde ich mir doch mehr Sachbezug und inhaltliche Argumentation wünschen. Mehr „Selber-Denken“! Nicht immer nur den Blick auf’s Personal. Welche Politik bräuchten wir und welche Weltanschauung? Welche gesellschaftlichen, sozialen, moralischen und auch religiösen Werte würden uns gegen den Hass und alles Asoziale helfen?

Vielleicht, so kommt mir in den Sinn, sollte es darum heute weniger um Einflussnahme gehen als um… (Pause)

Mehr unabhängiges Denken

In Amerika wird am heutigen 4. Juli die Unabhängigkeit gefeiert! Natürlich primär die, mit der man vor 245 Jahren die britische Vorherrschaft abschüttelte. Die Entwicklung und Erklärung der universalen Menschenrechte ist damit ganz eng verknüpft…

Und davon inspiriert, wünsche ich mir für uns Menschen hier in Deutschland mehr Unabhängigkeit und ich wünsche mir mehr Sachlichkeit!

Die starke Idee der christlichen Nächsten- und Feindesliebe wiederbeleben

Vielleicht hätte dann die starke Idee der christlichen Nächsten- und Feindesliebe wieder mehr Chancen auf Umsetzung! Es bleibt zwar skandalös, wie oft wir Kirchenleute persönlich darin versagen, aber das Christentum selbst wäre für mich schon eine gute, sachliche Lösung gegen Hass und unsoziales Verhalten. Vielleicht kriegen andere es ja besser hin als wir.

Machen Sie sich doch heute mal ein kleines, privates Unabhängigkeitsfest!

Vielleicht ja sogar ein christliches…

Schönen Sonntag!

 

[1] Meine Sach-Informationen kommen von Wikipedia: de.wikipedia.org/wiki/Influencer

[2] Ich habe manchmal den Eindruck, mit wenigen anderen bin ich bald der letzte, der noch Achtung hat vor Menschen, die sich heute politisch engagieren. Als Kirchenmensch hier im Radio bleibe ich überparteilich. Darum grämt es mich gleichermaßen, wie die SPD heute „keinen Fuß auf die Erde kriegt“ und ich glaube, das liegt weniger an ungeeigneten Kandidaten als vielmehr daran, dass soziale Gesinnung heute null Chancen hat! Es empört mich, wie unserer Bundeskanzlerin – bei allem Recht auf Kritik – blindwütiger „Merkel-muss-weg-Hass“ mit Galgensymbolen entgegenschlägt. Und es macht mich traurig, welchem vernichtenden Shitstorm die Grünen-Kandidatin Baerbock für zwar schuldhafte, aber letztlich doch geringfügige Fehler ausgesetzt ist. Selbst bei der AFD, damit Sie sehen, dass ich mich um Fairness und Differenzierung bemühe; selbst bei der AFD macht mich betroffen, wie die gemäßigteren Kräfte um Jörg Meuten niedergeschrien werden von Hass-Propheten wie Björn Höcke.

 

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