hr-fernsehen: Bischofseinführung in Fulda am 31.03.2019
Ein ganz besonderes Ereignis für das ganze Bistum Fulda: Bischof Dr. Michael Gerber (49) wurde am 31. März 2019 feierlich in sein Amt als neuer Bischof von Fulda eingeführt. Aus diesem Anlass hat das hr Fernsehen diesen Gottesdienst live von 15.00 bis 17.15 Uhr aus dem Hohen Dom zu Fulda übertragen. Die Hauptzelebranten waren Erzbischof Hans Josef Becker aus Paderborn und Bischof Dr. Michael Gerber, daneben gab es zahlreiche Konzelebranten. Die musikalische Gestaltung erfolgte u. a. durch die Chöre am Fuldaer Dom unter der Leitung von Domkapellmeister Franz-Peter Huber, sowie an der Orgel durch Domorganist Hans-Jürgen Kaiser. Der verantwortliche kirchliche Beauftragte war Dipl.-Theol. Winfried Engel.
PREDIGT:
Liebe Mitbrüder im Dienst des Bischofs, des Priesters und des Diakons, liebe Schwestern und Brüder!
Aus dem ganzen Bistum Fulda und weit darüber hinaus, aus ganz unterschiedlichen Bezügen sind wir heute Nachmittag zu dieser Feier zusammengekommen. Wir gehören zusammen, auch die, die jetzt draußen vor dem Dom stehen oder mit uns zuhause via Bildschirm feiern.
Wir feiern die Eucharistie hier an diesem Ort, an dem vor nunmehr 1275 Jahren Sturmius und seine Gefährten ein Kreuz errichtet haben. Damit haben sie ein wichtiges neues Kapitel in der Geschichte des Christentums in unserem Land aufgeschlagen. Wer als Bischof neu in eine Diözese kommt, für den ist es geboten, sich aus einer Haltung der Ehrfurcht von der Frage leiten zu lassen: Welche Geschichte hat Gott mit den Menschen hier geschrieben? Welchen Weg ist Gott gegangen mit den Menschen, die in der Region zwischen Bad Karlshafen und Hanau, zwischen Geisa und Amöneburg leben?
An dieser Stelle möchte ich allen danken, die sich in den letzten Jahren und Monaten die Geschichte dieses Bistums geprägt haben: Allen voran Bischof Heinz Josef Algermissen, der über viele Jahre hinweg das Bistum geleitet hat, mit ihm zusammen Prof. Gerhard Stanke als sein Generalvikar. Weihbischof Karlheinz Diez, der bis zum heutigen Tag Diözesanadministrator war und in den letzten Wochen auch viel investiert hat, um mich in das Bistum einzuführen. Danken darf ich aber auch Ihnen, den Priestern, den Haupt- und Ehrenamtlichen, den Menschen des geweihten Lebens, den einfachen Beterinnen und Betern, die Sie an unterschiedlichen Stellen im Bistum durch Gebet, Engagement und Zeugnis Verantwortung tragen.
In dieser Stunde sind wir hier am Grab des heiligen Bonifatius versammelt. Bonifatius, auch „Apostel der Deutschen“ genannt, und mit ihm die apostolischen Frauen und Männer einer durch Ostern geprägten Kirche, sie stellen uns die Frage: Kirche, was ist dein Auftrag, Kirche, was ist deine Sendung jetzt im Jahr 2019? Wenn wir sie nach der Antwort fragen würden: Ich bin überzeugt, sie würden uns dann sagen: Es geht im Kern auch heute, 2019 um den Vorgang, um den es seit jenem ersten Pfingsten in Jerusalem geht. Es geht darum, einen Raum zu eröffnen, Beziehungen zu ermöglichen, durch die Menschen in eine persönliche Beziehung zu Jesus Christus und zu seinem Evangelium finden. Es geht darum, dass Menschen aus dieser Christusbeziehung heraus die Herausforderungen ihres Lebens so angehen können, dass sie daran letztlich nicht zerbrechen, sondern wachsen. Es geht darum, dass Menschen aus dieser Christusbeziehung heraus menschliche Beziehungen wahrhaft menschlich gestalten und so die Kultur auf diesem Planeten prägen.
Gerade in einer Zeit, in der Gegensätze wieder stärker betont werden, in der jene die Oberhand zu gewinnen scheinen, die Abgrenzung predigen und Mauern errichten, gerade in dieser Zeit sind wir herausgefordert, neu Verantwortung für unseren Planeten zu übernehmen. Diese Verantwortung will so wahrgenommen werden, dass sie den Horizont weitet hin auf die weltweite Dimension und damit auf die globalen Zusammenhänge. „Du stelltest meine Füße in weiten Raum“ (Ps 31,9) – lesen wir im Psalm. Erschrecken wir nicht vor der Weite, in die uns der Herr hineinstellen möchte.
Was hilft aber, dass das nicht nur Worte einer Sonntagspredigt bleiben? Woher kommt die Kraft, heute als Christen zu leben und Kultur zu prägen? Schauen wir noch einmal auf Bonifatius. Da ist ein Mensch, der zutiefst vom Evangelium berührt war – bis in die letzten Minuten seines Lebens. Der Codex Ragyndrudis, der heute hier vor dem Altar aufliegt, ist Zeuge dieser Berührung. Welches Wort aus der Heiligen Schrift hat mich getroffen, hat mein Herz berührt? Welche Ereignisse meines Lebens haben mich wachsen lassen? Wo finden diese berührenden Momente eine Resonanz?
„Zusammen wachsen“ – unter diesem Motto steht der Prozess der Kirchenentwicklung im Bistum Fulda. Da, wo wir zusammenkommen, in unseren Gremien und Kreisen, in unseren Gruppen oder auch im Gespräch unter vier Augen, soll durch unsere Haltung, soll durch unsere Aufmerksamkeit ein Raum entstehen, wo wir – neben dem vielen, was es da immer zu klären und zu besprechen gilt - wo wir einander von solchen Wachstumsmomenten, von solchen Schlüsselerfahrungen erzählen können. Und bisweilen wachsen wir gerade an den Erfahrungen, die wir im unmittelbaren Erleben als bitter empfinden. Wo und bei wem findet das Resonanz?
Wo und wie findet der Weg und das Schicksal anderer Menschen Resonanz in mir? Die heilige Elisabeth, die zweite Patronin des Bistums Fulda, hat uns dies beispielhaft vorgelebt in der Sorge um die Bedürftigen ihrer Zeit. Sie steht damit für einen Vorgang, der zum Wesen der Kirche gehört. Jesus sammelt das Gottesvolk und verkündet die Frohe Botschaft gerade durch die Hinwendung zu den Armen. Wo und wie sind wir auf Tuchfühlung mit dem Leben anderer Menschen?
In diesen Jahren fragen wir uns, wie die Gestalt von Seelsorge und von Pastoral in Zukunft aussehen soll. Ich glaube, Zeugen wie Bonifatius oder Elisabeth geben uns heute eine Empfehlung mit: Gestaltet eine Pastoral am Puls und in Fühlung mit den tiefen Regungen der Herzen der Menschen, die euch begegnen. Seid dabei nicht unkritisch, sondern schaltet Verstand und Herz ein. Zieht keine voreiligen Schlüsse, sondern bringt das, was ihr da entdeckt, in den Dialog mit dem Wort Gottes und mit dem Weg der Kirche. Versucht, auf diese Weise miteinander zu ergründen: Wo zeigt sich in den Regungen des Herzens, in den Tiefenerfahrungen der Seele und in den bisweilen überraschenden, unvorhergesehenen Momenten der Geschichte eine Spur Gottes?
Wer solchermaßen in Seelsorge und Pastoral tätig sein möchte, ob als Priester, Diakon, ob haupt- oder ehrenamtlich, der muss in Berührung sein mit den Regungen der eigenen Seele. Das Evangelium des heutigen Sonntages gibt uns dazu einen eindrücklichen Hinweis. Da ist der Sohn, der sich von seinem Vater auszahlen lässt und seinen Weg in die Welt sucht. Es ist ein Weg, geleitet von der Neugier und vom Interesse an neuen Erfahrungen. Es ist ein Weg, der ihn aber letztlich entfremdet von sich selbst. Er scheint der Realität dessen, was sich an Dynamik in ihm regt, auszuweichen und dies mit allen möglichen Aktionen zu überdecken. Erst als er dem Hunger einen Namen geben kann, dem Hunger seines Leibes und dem Hunger seiner Seele, erst dann ergibt sich für ihn wieder eine Perspektive.
In diesen Jahren und erneut in diesen Monaten sind wir erschüttert vor dem, was geschehen ist, wo Seelsorger nicht in Berührung waren mit wesentlichen Dynamiken ihrer eigenen Seele, wo sie wesentliche Dimensionen ihrer Existenz ausgeblendet oder gar abgespaltet haben. Wir sind erschüttert, wie das dann ihr Handeln geprägt hat, so dass die Seele anderer, insbesondere von Minderjährigen, aber auch von anderen Schutzbefohlenen, in einer Weise verletzt wurde, dass lebenslange Schädigungen und Beeinträchtigungen die Folge sind.
Es geht hier nicht um irgendein Fehlverhalten im Laufe der langen Kirchengeschichte. Die Problematik unserer Tage hat zu tun mit dem Kern des Sendungsauftrages von Kirche überhaupt: Es ist die Aufgabe der Kirche, Menschen zu helfen, dass ihr Leben Weite und Tiefe erfährt. Erschüttert müssen wir feststellen, dass in vielen Fällen genau das Gegenteil passiert ist.
Dem müssen wir uns stellen. Vieles gilt es hier neu zu ordnen und zu regeln, und wir spüren als Verantwortliche in der Kirche, dass das eine Herausforderung ist, der wir nicht leicht gerecht werden. Viele Initiativen sind gestartet und vieles ist hierzu in den vergangenen Wochen gesagt worden. Wie geht heute ein glaubwürdiges Miteinander als Christen, wie geht heute ein glaubwürdiger Weg der Nachfolge? Das ist eine der ganz großen Baustellen für die Kirche unserer Tage.
Der Ruf in die Nachfolge führt bei Jesus in die Gemeinschaft seiner Jüngerinnen und Jünger. Sie teilen miteinander ihre Erfahrungen, ihre ganz alltäglichen Sorgen und Nöte. Auch Bonifatius ist eingebunden in ein Netzwerk von Weggefährten und Weggefährtinnen, Willibald und Willibrod, Eadburg und Lioba. Ich bin sehr dankbar, als Priester, als Bischof eingebunden zu sein in solche Formen der Weggemeinschaft: Mit den Priestern meiner Priestergemeinschaft, mit befreundeten Familien, mit Menschen, die als Frauen und Männer des geweihten Lebens ihren Weg gehen. Ohne diese Beziehungen könnte ich diesen meinen Weg so nicht gehen.
Glaubwürdiges Miteinander: In den zurückliegenden Jahren als Weihbischof durfte ich einige bewährte Ordensgemeinschaften bei notwendigen Transformationsprozessen begleiten und war zugleich Zeuge der Entstehung neuer Netzwerke.
Längst nicht für jeden ist eine verbindliche Gemeinschaft die Form des für ihn oder sie passenden Christseins. Auch Jesus scheint nicht von jedem, der ihm nachfolgen wollte, eine enge verbindliche Form verlangt zu haben. „Zusammen wachsen“ – das Leitwort der Kirchenentwicklung im Bistum Fulda fordert uns dazu heraus, unterschiedliche Formen dieses „Zusammen“ zu entdecken, damit Wachstum möglich wird.
Zusammen mit vielen von Ihnen durfte ich in den vergangenen beiden Tagen auf der Bonifatiusroute pilgernd unterwegs sein. Sehr viele, die mit diesem Weg in Berührung kamen, haben auf einer Schriftrolle unterschrieben. Sie ist hier vorne vor dem Altar, kommt unter dem historischen Codex hervor. Darin steckt eine Botschaft. Die Geschichte, die Gott mit den Zeuginnen und Zeugen der Evangelien geschrieben hat, die Geschichte, die Gott mit Bonifatius geschrieben hat, die Geschichte, von der dieser Codex erzählt, diese seine Geschichte geht weiter mit uns. Gott will mit uns Geschichte schreiben, mit unserer bisweilen krakeligen Handschrift. Und wenn der Codex längst wieder im klimatisierten Tresor liegt, dann wissen wir, sein Evangelium passt in keinen Tresor, sondern es buchstabiert sich hinein in die Geschichten unseres Alltags.
Und doch werden wir immer wieder an Grenzen stoßen, werden die Jahre, die vor uns liegen, auch von Erfahrungen und Entscheidungen geprägt sein, die schmerzhaft sind. Es wird die Zukunft auch geprägt sein vom Abschied von Liebgewonnenen. Dabei wird manche Enttäuschung nicht ausbleiben. Mögen aber – wie damals in der Zeit der Apostelgeschichte – auch dies Erfahrungen sein, die uns tiefer auf den Grund verweisen, den Jesus Christus selbst gelegt hat.
Denn auch für uns als Kirche von Fulda gilt das Wort, das einst Frère Roger, der Gründer von Taizé, seinen Brüdern sagte, als nach der Aufbruchstimmung des Konzils schnell deutlich wurde, dass viele Hoffnungen sich so nicht erfüllten. Da schreibt er:
„Wer sind wir also? Eine kleine, manchmal stark durchgerüttelte Gemeinschaft, die aber immer wieder aufsteht, weil sie getragen ist von einer überragenden Gegenwart. Wer sind wir? Unsere gegenwärtige Lage lässt sich in einem einzigen Satz zusammenfassen: Wir sind eine Anhäufung persönlicher Schwächen, gleichzeitig aber eine Gemeinschaft, die aufgesucht wird von einem anderen als uns selber.“ (Fr. Roger, Die Gewalt der Friedfertigen, 1972, S. 54)
Amen.
MUSIK:
Musik zum Einzug: Flor Peters, Entrata festiva
Eingangslied: GL 144, Strophen 1-5; Nun jauchzt dem Herren alle Welt
Einsetzung des neuen Bischofs an der Kathedra: GL 405, Strophen 1-3; Nun danket alle Gott
Kyrie: Leonce de St. Martin, Messe en Mi
Gloria: GL Nr. 726
Antwortpsalm: GL 55,1
Credo: GL 177 Credo in unum deum
Musik zur Gabenbereitung: GL 421, Strophen 1-4; Mein Hirt ist Gott, der Herr
Sanctus: Leonce de St. Martin, Messe en Mi
Agnus Dei: Leonce de St. Martin, Messe en Mi
Danklied: GL 380, Strophen 1, 9; Großer Gott, wir loben dich
Schlusslied: GL 877, Strophen 1, 15; Wie heilig hast du Gottesfreund (Bonifatiuslied)
Musik zum Auszug: J.S. Bach, Präludium + Fuge Es-Dur
WEITERER SERVICE IM INTERNET:
Weitere Informationen und Fotos gibt es unter www.bistum-fulda.de.
Der ganze Gottesdienst vom hr fernsehen kann dort noch einmal nachgeschaut werden.