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Das Gleichnis vom Pharisäer und vom Zöllner
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Das Gleichnis vom Pharisäer und vom Zöllner

Claudia Rudolff
Ein Beitrag von Claudia Rudolff, Rundfunkpfarrerin der Evangelischen Kirche von Kurhessen-Waldeck, Kassel
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Eine Einladung neu auf Gott und die Welt zu blicken

Jesus war ein hervorragender Erzähler. In den Bildern und Geschichten, die Jesus vorstellt, werden Alltagserfahrungen aufgegriffen. In diesen Erfahrungen zeigt er uns wie Gott ist und wie wir nach seinem Willen miteinander leben sollen. Da wird von einem Vater erzählt, der seinen "verlorenen Sohn" bedingungslos liebt und deshalb nach dessen Scheitern wieder bei sich aufnimmt.

Da beschreibt er einen Weinbergbesitzer, der seine Arbeiter nicht nach ihrer Leistung entlohnt, sondern nach dem, was sie brauchen. Jesus redet in Gleichnissen, damit die Zuhörenden sich in die Geschichte hineinversetzen, sich mit den beschriebenen Figuren vergleichen oder auch die beschriebene Situation nochmals überdenken. Gleichnisse sind demnach wie eine Einladung, immer wieder neu und anders auf Gott und die Welt zu blicken.

Dazu hilft mir auch das Gleichnis vom Pharisäer und Zöllner: Es steht im Neuen Testament beim Evangelisten Lukas:

Jesus sagte aber zu einigen, die sich anmaßten, fromm zu sein, und verachteten die andern, dies Gleichnis:

Es gingen zwei Menschen hinauf in den Tempel, um zu beten, der eine ein Pharisäer, der andere ein Zöllner.

Der Pharisäer stand für sich und betete so: Ich danke dir, Gott, dass ich nicht bin wie die andern Leute, Räuber, Betrüger, Ehebrecher oder auch wie dieser Zöllner.

Ich faste zweimal in der Woche und gebe den Zehnten von allem, was ich einnehme.

Der Zöllner aber stand ferne, wollte auch die Augen nicht aufheben zum Himmel, sondern schlug an seine Brust und sprach: Gott, sei mir Sünder gnädig!

Ich sage euch: Dieser ging gerechtfertigt hinab in sein Haus, nicht jener.

(Lukas 18, 9-14a)   

Die Pointe der biblischen Erzählung ist vielen bekannt. Seit Jesus dieses Gleichnis erzählt hat, ist der Pharisäer zum Prototypen des Heuchlers geworden. Er ist bereits verurteilt, noch ehe Jesus sein Urteil fällt. Die Erzählung legt eine einfache Gleichung nahe: So wie der Pharisäer zu sein ist nicht gut, so zu sein wie der Zöllner ist gut.

Ich möchte die Haltung beider Gestalten neu bedenken, vielleicht sehen wir, das diese Gleichung nicht so leicht aufzustellen ist, vielleicht erhalten wir Impulse für unseren Glauben.

Zu seiner Zeit haben die Leute über den Pharisäer ganz anders gedacht als wir heute: Der Pharisäer gehört zu einer Gruppe von religiösen Laien, die von Beruf Handwerker oder Händler sind. Er ist gebildet, kann lesen und schreiben und kennt sich daher in den religiösen Schriften aus. Er hält alle Gesetze und Gebote peinlich genau ein, nicht nur die 10 Gebote. Dieser Pharisäer lässt sich kein Hintertürchen offen, um sich dem Dienst Gottes zu entziehen. So fastet er nicht nur am Versöhnungstag, wie es von den Juden gefordert wird. Sondern er fastet auch an zwei Wochentagen, wobei er sogar auf das Trinken verzichtet. Er spendet regelmäßig einen Teil seines Einkommens und denkt auch an die Armen in der Stadt. Von allem, was er kauft, legt er nämlich ein Zehntel des Preises in die Armenkasse. Dies tut er, weil die Möglichkeit besteht, dass der Verkäufer es für seine Ware nicht getan hat. Kurz und gut: Er ist ein von vielen geachteter Mann.

Im Gebet bringt er nun seine Freude zum Ausdruck, dass es ihm gelungen ist, fromm und den Geboten gemäß zu leben.

Glaube findet nun mal Ausdruck in konkreten Taten und deshalb ist sein Dank für sein Tun echt.

Für mich gleicht er heute einem Menschen, der sich darum bemüht, seinen Glauben im Alltag umzusetzen. Ein Mensch, dem unsere Achtung und Anerkennung gilt. Der versucht, mit den anderen, ehrlich umzugehen und niemanden über‘s Ohr zu hauen. Der in seiner Familie und an seinem Arbeitsplatz für ein friedliches Miteinander sorgt und dem es auch darum geht, dass es in der Welt gerechter zugeht. Vielleicht einer, der heutzutage nicht nur davon redet, Flüchtlinge willkommen zu heißen, sondern der auch die Begegnung mit ihnen sucht und ihnen hilft sich in unserem Land einzuleben.

Der Zöllner ist wie der Pharisäer Jude. Er betreibt aber ein Gewerbe, das vom Betrug lebt. Er steht im Dienst der heidnischen Besatzungsmacht, die die Zollstationen meistbietend verpachtet. Dadurch erwirbt er als Pächter das Recht, Abgaben zu kassieren. Die meisten Zöllner ignorieren die amtlichen Vorschriften und versuchen aus ihren Zollstationen soviel Profit wie möglich zu schlagen. Oft nehmen sie Händlern zu hohe Zölle ab. Finanzieller Erfolg ist das was zählt. So ist es nicht verwunderlich, dass viele Mitbürger diesen Berufstand verachten und den Kontakt mit Zöllnern meiden. Mit Gottlosen und Betrügern will man nichts zu tun haben. Da sie durch ihre Geschäftspraktiken offensichtlich gegen Gottes Gebot verstoßen, suchen sie auch selten eine Synagoge auf.

Den Zöllner möchte ich mit einem Menschen vergleichen, der nur auf seinen eigenen Vorteil bedacht ist, der ohne Rücksicht auf Verluste seine Interessen durchsetzt. Einer, der davon überzeugt ist: Solidarität mit den Schwächeren oder ein aufrichtiger Lebenswandel bringen keinen Gewinn und lohnen sich nicht.

Vor diesem Hintergrund ist Jesu Urteil kaum zu begreifen. Von dem Zöllner und nicht von dem Pharisäer sagt er: „Er ging gerechtfertigt hinab in sein Haus.“

Wo liegen die Fehler in der Haltung des Pharisäers, die Fehler eines Mannes, dem es mit seinem Glauben ernst ist? Falsch ist es sicher nicht, mal im Leben Bilanz zu ziehen. Die eigenen Leistungen zu betrachten, vielleicht sogar stolz und dankbar zu sein, für das, was man im eigenen Leben von guten Vorsätzen in gute Taten umgesetzt.

Ich mache das auch hin und wieder in meinem Beruf als Rundfunkpfarrerin. Manchmal blicke ich stolz auf das, was ich an Fortbildungen und Beratungen angeboten habe. Immer nur auf das zu schauen, was gerade nicht wunschgemäß läuft, belastet mich und nimmt mir die Freude an der Arbeit.

Auch als Mutter ziehe ich gelegentlich mal Bilanz, was ich alles für die Kinder tue. Das hilft mir, wenn ich ein schlechtes Gewissen habe, weil ich oft beruflich unterwegs bin. Und ich bin auch zufrieden, dass ich Zeit finde um ehrenamtliche Aufgaben wahrzunehmen.

Jeder von uns braucht Momente, in denen er positiv Bilanz zieht. Denn wie gesagt: Stolz und zufrieden zu sein, auf das, was von guten Vorsätzen in konkrete Taten umgesetzt wird, tut auch gut.

Was hat der Pharisäer falsch gemacht?

Er ist nicht nur dankbar für seine eigenen Leistungen. Er grenzt sich von dem Zöllner ab: „Ich danke dir Gott, dass ich nicht so bin, wie die anderen Leute, Räuber, Betrüger, Ehebrecher oder wie dieser Zöllner.“

Er nutzt das Gebet, um sich mit dem Zöllner zu vergleichen und stempelt ihn dadurch ab. Er macht ihn klein, um selbst groß zu erscheinen. Ein zu allen Zeiten zu beobachtendes Phänomen: Menschen stellen sich auf Kosten anderer dar, indem sie auf deren Defizite hinweisen. Nicht nur in politischen Reden im Wahlkampf ist das Gang und Gäbe.

Ich denke an folgende Situationen aus meinem Alltag : Wenn ich meine Tochter ermahne fürs Studium mehr zu lernen, werden mir alle die aufgezählt, die noch viel weniger machen. Oder sie alle kennen Sprüche wie diesen: “Ich bin auch nicht immer ehrlich, aber die, die lügt doch schon wenn sie den Mund aufmacht“. Auch Christen, die ihre Heimat nicht in traditionellen Gemeindekreisen suchen, werden manchmal von Mitgliedern der sog. Kerngemeinde kritisch beäugt. Sie meinen dann, sie würden ihren Glauben nicht so ernst nehmen, wie sie selbst. Für viele ist es ein beliebtes Gedankenspiel: Zur eigenen Darstellung auf die Defizite anderer hinweisen, um selbst besser dastehen.

Und warum möchten wir besser sein als andere? Das muss ich mich auch fragen, wenn ich solche Vergleiche ziehe. Bin ich dann wirklich immer stolz auf mich oder vielleicht eher unsicher? Oft besteht da ein Zusammenhang: Je unsicherer ich bin, desto sicherer urteile ich über andere. Ich spreche anderen ihren Wert ab, weil ich selbst Angst habe, nichts wert zu sein. Indem ich selbst eine sogenannte Rangliste aufstelle, versuche ich mir selbst Anerkennung zuzusprechen. Diese Liste zeigt mir: So schlecht bin ich gar nicht, andere sind viel schlechter.

Ich kann ihn leider nicht fragen, nur mutmaßen: Vielleicht  ging es dem Pharisäer ebenso. 

Ich danke dir, Gott, dass ich nicht bin wie die andern Leute, Räuber, Betrüger, Ehebrecher oder auch wie dieser Zöllner.

Ein solches Gebet verhindert, dass er in dem Zöllner einen Bruder erkennt, einen Menschen, dem Gottes Liebe ebenso gilt wie ihm.

Auch mit diesem Gedankenspiel ist er nicht allein. Manchen fällt es schwer, in den Menschen Schwestern und Brüder zu sehen, die den eigenen Wertvorstellungen nicht entsprechen. Im Gegensatz dazu steht aber die Erfahrung, dass wir uns in der Gegenwart von Menschen wohler fühlen, die offen sind für Kritik und die ihr Handeln nicht als das Maß aller Dinge hinstellen. Ein Widerspruch an dem viele leiden.

Leider sucht der Pharisäer im Gebet auch kein Gespräch mit Gott. Er erwartet nur Applaus für seine Gesetztestreue. Aber indem er sein gutes Handeln Gott vorhält, denkt er sich einen Gott aus, für den ein Mensch nur wertvoll ist, wenn er gute Taten vorzuweisen hat.

Wer sich so einen Gott ausdenkt, der nur auf Leistungen schaut, der kann sich selbst auch nur achten, wenn er etwas leistet. Was ist aber dann, wenn ich erschöpft bin, krank oder alt? Vor solch einem Gott müsste ich mich in solchen Lebenslagen fürchten.

Dieses Bild von Gott, der Menschen nach Leistungen beurteilt, bestimmt sein Gebet. Vielleicht ist es ihm nicht bewusst: Damit greift er in die Freiheit Gottes ein und legt ihn auf die Verwerfung des Zöllners fest. Ich glaube, deshalb stellt Jesus den Zöllner als Vorbild hin, auch wenn er den Pharisäer dafür achtet, dass er seinen Glauben ernst nimmt.

Doch er scheint den Blick dafür verloren zu haben, dass er bei allen guten Taten weiter auf Gottes Erbarmen und Liebe angewiesen ist.

Ganz anders der Zöllner. Ihm ist bewusst, dass er vor Gott nichts vorzuweisen hat.

Obwohl er nach den Wertvorstelllungen seiner Zeit schuldig geworden ist, hofft er auf Gottes Erbarmen und wagt, mit leeren Händen vor Gott zu treten.

Er überlässt ihm das Urteil und geht deshalb gerechtfertigt von dannen.

Dieses Urteil zeigt Gott als einen, dessen Güte nicht nur unsere Vorstellungen, sondern auch die, der Hörerinnen und Hörer der damaligen Zeit übersteigt. Immer wieder setzt er Menschen in Erstaunen.

Leider bricht das Gleichnis hier ab. Es wäre spannend zu erfahren, welche Konsequenzen das Urteil für das Leben des Zöllners und welche für den Glauben des Pharisäers hat.

Sie könnten beide voneinander lernen und wir von ihnen. Es fällt mir schwer, mich mit einem der beiden eindeutig zu identifizieren.

In Momenten, wo ich mich unausstehlich finde und an mir zweifele, fühle ich mich mit dem Zöllner verbunden. Er zeigt, dass Gott andere Maßstäbe hat. Auch wenn wir uns selbst und andere uns unausstehlich finden, hat Gott uns lieb.

Vom Pharisäer lerne ich, mich nicht auf Kosten anderer zu profilieren, aber vor allem: Meinen Glauben ernst zu nehmen. Nicht nur fromm zu reden, sondern auch zu handeln, so dass andere erkennen: Nächstenliebe ist für die nicht nur ein Wort!

Und der Zöllner macht mir dabei bewusst: Bei allem Stolz und aller Freude, über das was mir gelingt, bleibe ich auf Gottes Erbarmen angewiesen.

Diese Gedanken fasst ein Gebet wunderbar zusammen:

Guter Gott, wir sind zugleich Pharisäer und Zöllner

Lass den Pharisäer in uns stark genug sein,

uns aufzustacheln nach deinem Willen zu fragen

Inmitten einer gottlosen Welt.

Lass den Zöllner in mir stark genug sein, den Pharisäer zu bekehren und uns von dir mit deiner Zukunft beschenken zu lassen unser Gott, Gott der Pharisäer und Zöllner.

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