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Was uns tröstet
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Was uns tröstet

Michael Becker
Ein Beitrag von Michael Becker, Evangelischer Pfarrer, Kassel
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Einen freundlichen guten Morgen wünsche ich Ihnen. Das Jahr beginnt gleich mit einem Geschenk. Mit Trost nämlich. Nichts ist so nötig wie Trost, finde ich. Man muss im Leben manchmal energisch werden, auch schimpfen oder mahnen. Aber eins muss man immer, möglichst zugleich, nämlich trösten. Keine Ermahnung soll ohne Trost bleiben; kein Schimpfen ohne Zuversicht. Auch Gott denkt so, wenn er sagt: Ich will euch trösten, wie einen seine Mutter tröstet. Der Satz steht wie eine Leuchtschrift über dem neuen Jahr. Weil eins immer nötig ist: dass wir einander trösten mit allem, was wir haben.

Vor allem Musik haben wir. Es gibt wenig, was so angenehm tröstet und aufbaut wie Musik.

Musik tröstet. Und da kommt gleich das nächste Geschenk für dieses Jahr. Es ist ein Mozartjahr. Ein kleines zwar, aber immerhin. Das wollen wir uns nicht entgehen lassen. Der Dirigent Georg Solti (1912 – 1997) hat gesagt: Mozart lässt einen an Gott glauben. Da hat er Recht. Und an Gottes Trost, glaube ich. Da lassen wir uns ein Mozartjahr gefallen, nicht wahr? Wolfgang Amadeus würde 260 Jahre alt, am 27. Januar. Kaum ein Toter ist so lebendig wie Mozart. Weil er ein Geschenk war und bleibt für die Welt. Ein Trost - so schön, wie es sonst kaum einen gibt. Weil es Gott gibt, kann man sagen, hat er Mozart begnadet und uns gleich mit, wenn wir ihn hören dürfen. Wenn Gott tröstet, dann auch mit Musik.

Was für ein Leben war das Mozartleben. Kein sehr schönes, eher ein unbehaustes. Das nur eine Heimat kannte, nämlich Noten. Das bei allem Zwist und Zank eine Gnade hatte, einen Trost, die Musik nämlich.

Von den ersten dreizehn Jahren seines Lebens ist Mozart 7 ½ Jahre unterwegs: in München, Augsburg, Mainz, Frankfurt, Brüssel; später in Holland, Versailles, Paris, London, Donaueschingen und der Schweiz. Ein paar Mal in dieser Zeit ist Mozart schwer krank. Sonst spielt er vor. Mit seinem Vater und seiner Schwester reist er in dieser Zeit über 20.000 Kilometer, hat einer ausgerechnet.

Ähnlich geht es weiter in seinem Leben. Italien, Wien, wieder Italien, München; mal drei Jahre am Stück in Salzburg, seiner Heimatstadt, die er hasst. Die letzten zehn seiner nur 36 Lebensjahre verbringt er in Wien. Dort zieht er sage und schreibe dreizehn Mal um und reist auch noch nach Linz, Prag, Dresden, Leipzig, wieder Prag. Zu reisen war beschwerlich. Welch eine Unrast also. Wir haben hier keine bleibende Stätte, keinen bleibenden Ort. Und das auch noch: schon sieben Jahre nach seiner Beerdigung gibt es kein Grab mehr von ihm. Unbehaust selbst noch im Tod.

Was sagt wohl dieses Wunder von Mensch an Fähigkeiten, Können, Leistung und Ausstrahlung - was sagt uns das alles über die Suche nach Trost im Leben?

Als Mozart schon berühmt ist, erzählt eine Geschichte aus seinem Leben, als er Mitte zwanzig ist, kommt ein gerade Zwölfjähriger zu ihm und spricht ihm seine Bewunderung aus. Mozart fühlt sich geschmeichelt, ahnt aber, dass der Junge wohl mehr will als nur loben. Und behält Recht. Nach dem Lob kommt der Junge zu seiner Sache. „Meister“, sagt er, „ich habe auch etwas komponiert und möchte Sie bitten, sich dies hier einmal anzuschauen.“ Der Junge holt Notenblätter aus seiner Tasche und gibt sie Mozart. Mozart schaut sich die Komposition an. Dann gibt er sie dem Jungen zurück mit den Worten: „Lass das Komponieren lieber sein; glaube mir, es ist besser so!“ Der Junge ist erschrocken und sagt nur noch: „Aber… Meister - Sie haben doch auch komponiert und gespielt, als Sie erst zwölf Jahre alt waren…“ „Das stimmt“, antwortet Mozart, „aber ich habe vorher niemanden gefragt!“

Mozart hat nicht gefragt, sondern getan. Er hat seine Gaben genutzt. Er hat geübt und probiert, er ist gescheitert und wurde abgelehnt oder ausgelacht; er hat aber  g e t a n; hat seine Gnadengaben zur Welt gebracht, könnte man sagen. Er hat um sie gerungen. Das ist ein wenig Trost im Leben: ringen, kämpfen können um seine Gaben. Menschen haben Gaben und können diese finden. Oder sich wecken lassen. Mit etwas Weltwachheit geht das.

Ich merke, dass ich etwas kann. Vielleicht gut sprechen oder singen oder schreiben oder zuhören. Andere können handwerken, vielleicht malen; oder die Nöte anderer erfühlen und mildern. Längst nicht alle werden berühmt oder wichtige Künstler. Aber sie drücken sich aus mit dem, was ihnen gegeben wurde. Das tröstet, wenn man es ernst nimmt. Es gibt mir einen Ort in der Welt. Kein Riesenreich, aber einen Ort, wo ich der bin, der seine Gaben nutzt. Für sich und andere. Womöglich auch zur Ehre Gottes. Was für ein Trost. Ich bin wichtig, ich kann etwas und kann etwas geben. Wer seine Gaben sucht und erkennt, wer auch an sich zweifelt und doch immer neu seine Sinne schärft, weiß sich getröstet und tröstet andere. Und wenn das mal nicht hilft, was ja sein kann, bleibt noch Mozart, der genug Trost für uns alle hat.

Mozart war auch unsicher, man mag es kaum glauben. Auch große Begnadete zweifeln. An sich und der Welt. Man erkennt nicht immer, wie groß die Gaben sind, die man bekommen hat. Und hält sie dann für zu klein oder für unbedeutend; im schlimmsten Fall für wertlos. Oder andere schütteln den Kopf und lachen einen aus. Mozart wurde auch ausgelacht. Was will der denn? Das soll Musik sein? An Fürstenhöfen und vor Kardinälen und Bischöfen hat Mozart gespielt und ist „durchgefallen“, wie man so sagt. Nicht jeder erkennt oder will erkennen, wenn ein Geschenk Gottes vor einem steht. Das kann eine Bedrohung sein, wie der Film Amadeus erzählt. Da ist der Herr Salieri, der sein Leben Gott weiht und hofft, dass er weltberühmt wird. Wird er. Aber dann trifft er Mozart und erkennt: So gut bin ich nicht. Da, in diesem kleinen Herrn Wolfgang Amadeus, zeigt sich Gott der Welt und tröstet. Das schmerzt Herrn Salieri. Er beginnt, den jungen Mozart zu bekämpfen. Der Film Amadeus erzählt keine wahre Geschichte, aber eine mögliche. Die Gnade des einen kann stören, anderen im Weg sein. Was dann?

Was ist, wenn die Gnade des einen anderen lästig ist? Dann brauchen wir Trost. Jeder, der komponiert, wäre wohl gerne wie Mozart. Jeder Arzt möchte wie Albert Schweitzer ein, jeder Schriftsteller oder Schriftstellerin nähme gerne den Literaturnobelpreis. Schon Kinder träumen sich als berühmte Raumfahrer oder wünschen sich als Model auf einen Laufsteg. Nur wenige schaffen das, andere beschleicht der Neid. Was tröstet dann? Auch dazu gibt es eine Mozartgeschichte, die so schön ist, dass ich am liebsten vor ihr niederknien möchte. Weil sie grundehrlich ist. Und jedes Leben ins Mark trifft.

Mozart, der Unbehauste und Begnadete, der manchmal Selbstverliebte und dann wieder Verzagte, hatte seine Ängste. Manchmal sollen die groß gewesen sein. Mit Mozarts Ängsten möchte niemand tauschen, denke ich. Er suchte dann Trost wie jeder und jede von uns. Als wieder so ein banger Tag war in Mozarts Leben, geschieht, was oft an Tagen geschieht, an denen man es nicht braucht. Ein Freund kommt zu Mozart und bittet ihn: „Wolfgang, spiel mir etwas vor.“ Das machte Mozart nicht gerne; vor allem nicht an Tagen oder Stunden, in denen er an sich zweifelte und eher Trost brauchte, als andere trösten zu wollen. Mozart konnte aber die Bitte nicht abschlagen. Der Freund war ein  g u t e r  Freund. Davon hat man nicht so viele; und dieser war besonders. Bis dahin, dass dieser Freund Mozart schon einmal Geld geliehen hatte, das er nie zurückbekam. Und der bittet: „Wolfgang, spiel mir doch etwas vor.“ Was tun in einer Zwickmühle? Was tun, wenn man trösten soll, aber selber Trost nötig hätte?

Mozart soll etwas vorspielen und hat Angst. Angst, nicht gut genug zu sein, Angst vor dem Scheitern, vor allem Möglichen. Er kann aber nicht ablehnen. Es ist sein  g u t e r  Freund, der fragt. Was also macht er in dieser Zwickmühle? Was tun, wenn man trösten soll, aber eher selber Trost nötig hätte?

Er macht etwas Wunderschönes; etwas, wie man ja heute gerne sagt: zum Niederknien Schönes. Mozart sagt zu seinem Freund: „Liebster Freund, ich spiele dir, was du willst, aber sage mir  v o r h e r, dass du mich liebst.“

In dieser Mozartgeschichte liegt Wahrheit wie die Perle in der Muschel. Trost ist: sich geliebt zu wissen.  

Leben ist nur möglich mit einem Vorschuss an Vertrauen. Was wir am Leben als „schön“ und „gelungen“ erleben und bewahren, hat uns ein Vorschuss an Vertrauen ermöglicht. Dieses Unberechenbare und nicht Verrechenbare macht das Leben aus. Immer ist es schwer Berechenbares, also Liebe, was uns tröstet. Unberechenbare Liebe.

Solange man nur rechnet, geht nichts auf. Das beste Geschäft nicht. Solange man nur Zahlen im Kopf und auf dem Tisch hat oder sich - was noch schlimmer ist - Zahlen nur um die Ohren haut, kann man vielleicht flotte Händel betreiben, aber kein frohes und getröstetes Leben haben. Solange man mit seinen Gaben nur um sich wirft, tröstet man nicht und bleibt selber untröstlich. Trost braucht mehr als Geld und Gaben. Mozart sagt das: „Liebster Freund, ich spiele dir, was du willst, aber sage mir  v o r h e r, dass du mich liebst.“ Trost ist zuerst Liebe.

Leben heißt: Liebe zuerst. Dann sehen und fühlen wir weiter. Als Gott durch seinen Propheten Jesaja sagt: Ich will euch trösten, wie einen seine Mutter tröstet, hat er das im Sinn: Seine Menschenliebe, seine reichen Gnadengaben an diesen und jene. Keiner ist ohne Gabe, keine bleibt ohne Geschenke fürs Leben. Nicht alle werden Mozart oder Model oder Albert Schweitzer, aber alle haben Gaben. Gaben, mit denen sie trösten und sich trösten lassen.

Jetzt fehlt noch dieses zum Schluss, am Anfang des neuen Jahres. Da ist der Sohn, der seinen Vater aus dem Krankenhaus nach Hause holt. Er will den Vater bei sich haben. Sie sind keine dicken Freunde, haben manchmal Zank miteinander - wie das so ist in Familien. Es knirscht auch zwischen den Generationen. Der alte Vater ist aber milder geworden mit den Jahren. Und hat einen guten Rat für seinen Sohn. „Junge“, sagt er eines Tages, „Junge, such dir einen, der sich neben dich setzt. Das Leben ist schwer, und niemand ist dafür stark genug; such dir einen, der sich neben dich setzt.“

Eine kleine Geschichte. In ihr liegt aber etwas Großes. Liebe ist: Jemand, der sich neben mich setzt. Der einfach da ist; mich aushält, und wenig fragt. Jemand, der nicht weggeht, wenn die Träume schwerer werden oder die Schmerzen wiederkommen oder die Angst herumschleicht. Jemand, der genau die Geduld hat, die der andere braucht.

Meist hilft Musik. Und wenn Musik, dann gerne von Mozart - dem Gottesgeschenk, und Selbstzweifler, diesem Trost der Welt. Menschen wie er sind kein Zufall, keine Laune der Natur. Sie sind gewollt von Gott. Das ist einer, der neben mir sitzt mit seiner Musik. Der mich tröstet, auch Tränen bringt, aber immer aufbaut und Gott spüren lässt. Mozart lässt einen an Gott glauben. Der uns tröstet, wie einen seine Mutter tröstet. Es klingt dann, als wäre Gott selbst neben mir, der mich freundlich, aber bestimmt, durch dieses Jahr geleitet.

Möge sein Segen um uns alle sein.

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