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Mach dir kein Bild von Gott!

Mach dir kein Bild von Gott!

Dr. Fabian Vogt
Ein Beitrag von Dr. Fabian Vogt, Evangelischer Pfarrer in der Öffentlichkeitsarbeit, Frankfurt

Irgendwie haben wir doch alle eins. Also: ein Bild von Gott. Irgendeine Vorstellung davon, wie Gott ist und wie er wohl aussieht. Ja, selbst überzeugte Atheisten machen sich viele Gedanken darüber, woran sie auf keinen Fall glauben wollen. Und das, was sie ablehnen, ist dann natürlich auch wieder ein ganz bestimmtes Gottesbild.

Also: Wenn wir uns Gott vorstellen, wie ist er dann so? Eher wie Gandalf aus dem „Herrn der Ringe“, sprich: eine Art weiser alter Mann mit langem Bart, der irgendwo im Himmel thront? Oder eher eine große, unfassbare Macht, die alles Irdische durchdringt? Eher ein sorgfältiger Buchhalter, der das Leben seiner menschlichen Geschöpfe kritisch beäugt, oder die „Liebe“ selbst? Ein Mann oder eine Frau? Eher die treue Hörerin unserer Gebete oder ein mahnender Vater, der uns mit fester Hand auf den rechten Weg führen will? Spannende Frage. Finde ich.

Heute Morgen möchte ich mit Ihnen gerne einen kleinen Ausflug in ein imaginäres Museum machen: das „Museum der Bilder Gottes“. Und ich bin sicher: Das lohnt sich. Denn – ob wir wollen oder nicht: Die Art, wie wir uns Gott vorstellen, hat massiven Einfluss auf die Frage, was und ob wir eigentlich glauben. Und vermutlich auch darauf, warum wir bestimmte Dinge über Gott manchmal nicht mehr glauben können oder wollen.

Zum Beispiel gilt: Jemand, der in Gott einen gewaltigen Herrscher sieht, wird vermutlich eher zu einer Waffe greifen als einer, für den Gott vor allem ein Friedensstifter ist. Und wer sich Gott in erster Linie wie einen himmlischen König vorstellt, wird mit großer Wahrscheinlichkeit ganz anders beten als jemand, der Gott für einen besonders guten Freund hält. Das heißt: Bilder haben Macht. Große Macht sogar. Sie prägen, was wir glauben oder nicht, sie beeinflussen die Formen unseres spirituellen Lebens, sie formen unser Wertesystem, und sie können sogar Einfluss darauf haben, wie wir bestimmte Entscheidungen treffen.

Genau darum ist es so reizvoll, den eigenen Gottesbildern mal auf die Spur zu kommen. Zu entdecken, welche Vorstellungen man eigentlich von Gott hat und wie sie das eigene Lebenskonzept beeinflussen. Also: Willkommen im Museum der Bilder Gottes!

Ich möchte mit Ihnen gerne einen kleinen Rundgang durch ein imaginäres Museum der Gottesbilder machen. Und natürlich gibt es da sofort kritische Zeitgenossen, die zu Recht rufen: „Halt! Das darf man gar nicht. In der Bibel steht doch: ‚Mach dir kein Bild von Gott.“

Stimmt. Das steht da. Unmissverständlich. Allerdings sollte man dann auch eingestehen: So richtig hält sich die Bibel selbst nicht an dieses Gebot. Wenn es etwa in Psalm 23 heißt: „Der Herr ist mein Hirte“, dann ist das doch ein Bild, oder nicht? Ich finde ja. Das ist sogar ein sehr schönes Bild. Wir sollten deshalb – bevor wir unser gedankliches Museum betreten – kurz mal schauen, was es mit dem sogenannten „Bilderverbot“ aus dem Alten Testament wirklich auf sich hat.

In der Antike gab es unzählige religiöse Kulte, die ihre jeweiligen Gottheiten in Form von Statuen, Büsten, Götzenbildern, Fetischen oder Amuletten abbildeten und auch anbeteten. Und dazu sagten die Israeliten von Anfang an: „Nein. Bei uns gibt es keine bildlichen Darstellungen von Gott. Weil unser Gott viel zu lebendig, viel zu groß und viel zu mächtig ist, als dass ihm irgendein irdisches Bild jemals gerecht werden könnte.“

Dahinter steckt die kluge Erkenntnis: Menschen werden Gott niemals ganz begreifen. Und das bedeutet auch: Keine bildliche Darstellung wäre jemals in der Lage, auch nur eine einzige Eigenschaft Gottes so widerzugeben, dass diese damit hinreichend sichtbar gemacht würde. Was den Kirchenvater Augustinus zu der frechen Aussage verlockte: „Wenn wir es verstehen, dann ist es nicht Gott.“

Vor allem aber gilt: Wer sein Bild von Gott in Stein meißelt und es für heilig erklärt, läuft ständig Gefahr, dass sich seine Vorstellung nicht mehr weiter entwickelt, ja, dass sie irgendwann wichtiger wird als Gott selbst – und dass dann eben nicht mehr Gott, sondern nur noch dessen Abbild verehrt wird.

Gott möchte die Freiheit haben, sich den Menschen immer wieder neu und anders zu zeigen. Deshalb sollen wir ihn nicht festlegen. Sprich: Starre Bilder von Gott können einem den Blick auf Gott selbst versperren. Oder wie es der Dichter Rainer Maria Rilke einmal wunderschön ausgedrückt hat: Gott, „wir bauen Bilder vor dir auf wie Wände; / so dass schon tausend Mauern um dich stehn. / Denn dich verhüllen unsre frommen Hände, / sooft dich unsre Herzen offen sehn.“ Starke Worte: Die Bilder, die wir uns von Gott machen, dürfen nicht wie Mauern und Wände sein. Das ist klare Aufforderung, alle erstarrten und festgefahrenen Vorstellungen in Frage zu stellen und gegebenenfalls zu überwinden.

Im Zentrum des biblischen Bilderverbots steht deshalb gar nicht das Bild an sich, sondern die „Fixierung“. Gott will auf keinen Fall vereinnahmt werden, er will nicht, dass festgefahrene Bilder den Blick auf ihn versperren – gegen Bilder grundsätzlich hat er aber gar nichts. Und darum kann die Bibel gleichzeitig ein Bilderverbot aussprechen und selbst sehr bilderreich von Gott schwärmen. Man könnte also sagen: „Freu dich an den Gottesbildern, aber denke niemals, sie könnten Gott gerecht werden.“

Für uns bedeutet das: Wenn wir gleich durch ein imaginäres Museum der Bilder Gottes streifen, dann sollten wir das mit einer gehörigen Portion Hochachtung tun. Und mit dem Wissen, dass jedes Bild von Gott nur ein bescheidener, menschlicher Versuch bleibt, etwas Unbeschreibliches zu beschreiben, das letztlich viel größer ist.

In der Bibel heißt es: „Du, Mensch, sollst dir kein Bild von Gott machen.“ Und wer wirft trotzdem mit Bildern von Gott nur so um sich? Na, Jesus selbst. Der schwelgt geradezu in Gottesbildern und erzählt den Leuten ständig, wie man sich Gott vorstellen kann.

Und jede der Darstellungen, die Jesus benutzt, könnte in einem imaginären Museum der Bilder Gottes hell angestrahlt an der Wand hängen. Schauen wir uns das mal an: Da ist, Gott, der liebevolle Vater, Gott, der Sämann, Gott, der achtsame Gutsbesitzer, Gott, der weise König, Gott, der freundliche Gastgeber, Gott, der Weinbauer, und und und.

Allerdings nutzt Jesus dabei einen kleinen rhetorischen Trick. Er sagt nämlich nie: „Gott ist ein Sämann“ oder „Gott ist ein König“. Nein. Er baut in jede Veranschaulichung das Wörtchen „Wie“ ein: „Gott streut sein Wort in die Welt wie ein Sämann“ oder „Gott ist wie ein Hirte“. Dadurch legt Jesus Gott nicht fest, hilft seinen Zuhörerinnen und Zuhörern aber trotzdem, sich eine Vorstellung von ihm zu machen, zeigt ihnen, wie Gott für uns Menschen ist. Und mal ehrlich: So ganz ohne Vorstellung geht es ja auch gar nicht.

Jedem, der damals zuhörte, war klar: „Natürlich ist Gott kein Hirte. Aber er hat bestimmte Eigenschaften, die einen guten Hirten auszeichnen.“ Und die darf man sich gerne vor Augen führen. Ja, vielleicht trug gerade die Fülle von Gottesbildern, die Jesus ins Gespräch brachte, dazu bei, dass die Menschen sich eben nicht auf eine starre Ansicht festlegten.

Dazu kommt: Nicht jedem hilft jedes Bild weiter. Wer einen fürsorglichen Vater hatte, kann etwas damit anfangen, wenn Jesus sagt: „Gott ist wie ein Vater.“ Wer aber erleben musste, dass er von einem tyrannischen, übergriffigen, ja vielleicht sogar zum Missbrauch bereiten Vater erzogen wurde, wird ein solches Bild mit Abscheu von sich weisen. Und der hat auch jedes Recht zu sagen: „Ich will mir Gott nicht als Vater vorstellen.“ Zu einem lebendigen Glauben gehört deshalb immer auch der Mut zu schauen, welche Gottesbilder mir ganz persönlich helfen, etwas von der Schönheit Gottes wahrzunehmen. Zum Glück ist das Angebot in der Bibel da äußerst vielfältig.

Jesus jedenfalls liebte es, Gott in Bildern, Gleichnissen und Parabeln erkennbar werden zu lassen. Und schon das ist eine Einladung, sich auch den eigenen Gottesbildern neugierig und aufmerksam zu nähern.

Wie stark die Macht der Gottesbilder ist und welchen Einfluss sie auf einen Menschen haben können, sieht man vielleicht am Besten an der Lebensgeschichte des Reformators Martin Luther. Der war nämlich fast dreißig Jahre lang davon überzeugt, Gott sei ein zorniger Richter, dessen Ansprüchen kein Mensch genügen kann.

Ja, dieses dunkle Bild von Gott war so massiv, dass Luther in ständiger Angst lebte. Er warf sein Jurastudium hin und ging ins Kloster – aus Angst. Er wurde Theologe und beichtete jeden Tag – aus Angst. Getrieben von einer unfassbar destruktiven Vorstellung von Gott.

Bis er eines Tages in der Bibel auf einen Satz stieß, der ihm ein ganz anderes, ein völlig neues Gottesbild bescherte. Sinngemäß stand da nämlich: „Gott ist ein gnädiger Vater, dem niemand etwas beweisen muss. Das Einzige, was Gott sich wünscht, ist, dass man ihm aus ganzem Herzen vertraut – allein aus Glauben“. Der Reformator schreibt später selbst, in diesem Moment hätte er das Gefühl gehabt, er würde direkt ins Paradies eintreten. Weil er eine destruktive gegen eine konstruktive Vorstellung eintauschen konnte.

Man kann tatsächlich sagen: In dem Augenblick, in dem Martin Luther sein krankmachendes Gottesbild gegen ein heilsames Gottesbild austauschte, änderte sich sein gesamtes Dasein. Aus dem zutiefst verkrümmten Menschen wurde ein leidenschaftlicher Freund des Lebens, und aus dem Zauderer ein kraftvoller Erneuerer der Kirche; einer, der fortan nichts anderes mehr wollte, als anderen von diesem liebevollen Gott vorzuschwärmen.

Nebenbei: Hätte man Martin Luther gefragt, welches Motiv er gerne in einem Museum der Bilder Gottes betrachtet hätte, wäre seine Antwort klar gewesen: „Ein einziges Bild reicht! Nämlich das von Jesus Christus.“ Schließlich hat Jesus deutlich gesagt: „Wer mich sieht, der sieht den Vater“, also Gott.

Luther war der festen Überzeugung, dass Jesus als Sohn Gottes uns alles erkennen lässt, was es über Gott zu wissen gibt: Wer sich anschaut, wie liebevoll, freundlich, zugewandt, vergebungsvoll und aufopfernd Jesus mit den Menschen umgegangen ist, braucht keine andere Veranschaulichung mehr, der bekommt eine wundervolle Darstellung des Göttlichen an sich.

Und dass der Mensch das Zeug dazu hat, etwas vom Wesen Gottes deutlich werden zu lassen, das steht ja schon in der Schöpfungsgeschichte. Da heißt es: „Gott schuf den Menschen nach seinem Bilde.“ Sprich: Es gibt da eine gewisse Ähnlichkeit. Womit zugleich gesagt wird: Es lohnt sich auch, seine Mitmenschen aufmerksam und neugierig zu betrachten, hier und da kann man da nämlich an ihnen etwas über Gott lernen.

Insofern war Jesus für Luther quasi die logische Weiterführung des Gedankens, dass man Gott im Menschen erkennen kann. Wer Jesus, den Sohn Gottes sieht, sieht quasi das perfekte Gottesbild. Mehr noch: Gott selbst. Gott in vollendeter menschlicher Gestalt.

Ich bin überzeugt: Wenn es ein imaginäres Museum für Gottesbilder gäbe, dann hingen darin nicht nur unzählige biblische Bilder von Gott, es stünde dort auch ein leerer Raum zur Verfügung. Warum? Weil ein solches Museum mit Sicherheit darauf bedacht wäre, dass jeder Mensch seine eigenen Bilder von Gott aufhängen kann. Dass er sie neugierig betrachten und regelmäßig überprüfen kann, ob sie noch lebensdienlich sind – oder ob sie möglicherweise überholt sind oder in eine ganz andere Lebensphase gehören.

Denn natürlich haben wir als Zehnjährige eine andere Vorstellung von Gott als mit 20, 40 oder 60. Martin Luther hat mal den schönen Satz gesagt: „Christ-Sein heißt nicht fromm sein, sondern fromm werden. Ein Werden, keine Ruhe, eine Übung. Wir sind‘s noch nicht, werden‘s aber.“ Das heißt: Glaube darf nicht nur, er soll sich sogar weiterentwickeln und entfalten. Denn mal ganz ehrlich: Wer mit 50 genau das Gleiche glaubt wie mit Zehn, dem bleiben vermutlich unendlich viele Facetten Gottes verborgen. Was schade wäre.

Insofern gilt der von Martin Luther beschworene Entwicklungsprozess des Glaubens natürlich auch für unsere Gottesbilder. Sie werden sich verändern, hoffentlich, und uns nach und nach immer größere und stimmigere Seiten Gottes erkennen lassen. Wenn wir lustvoll auf der Suche bleiben – und wenn wir uns bewusst machen, dass jede Vorstellung nur eine Imaginationshilfe sein kann, niemals Gott selbst. Denn dann bleibt man auch bereit, sich von Gott überraschen zu lassen.

Natürlich gehört dazu auch die Bereitschaft, mal über ganz neue Gottesbilder für das 21. Jahrhundert nachzudenken. Ja, warum denn nicht? Es ist ganz legitim, wenn jemand etwa sagt: „Für mich ist Gott wie ein … System-Administrator. Wenn meine Programme nicht mehr funktionieren, dann hat er die Kompetenz und die richtigen Zugangsdaten, um mich wieder ins Laufen zu bringen.“ Das muss nicht jede und jeder mögen. Aber ich glaube schon, dass es eine der Hauptaufgaben der Kirchen in den nächsten Jahren sein wird, zeitgemäße, inspirierende und horizonterweiternde Bilder zu finden, die helfen, die Schönheit Gottes zu erfassen.

Wenn ich selbst mein aktuelles Bild von Gott beschreiben sollte, dann würde ich sagen: „Gott ist für mich wie eine Quelle, an der ich meinen Lebensdurst stillen kann.“ Oder wäre „Cocktail-Bar“ heute vielleicht passender? „Gott ist wie eine Cocktail-Bar, an der ich meinen Lebensdurst stillen kann.“ Na, ein bisschen ungewöhnlich klingt das schon. Trotzdem gilt: Hauptsache das Bild hilft mir, meinen Glauben zu gestalten. Also, warum nicht „Cocktail-Bar“ statt Quelle.

Aber das sehe ich nächste Woche möglicherweise schon wieder anders. Macht nichts. Bilder sind und bleiben immer nur Wegweiser, nicht das Ziel. Allerdings – und das ist das Entscheidende: Je mehr Wegweiser man hat, desto besser und schneller kommt man ans Ziel. Es lohnt sich also, nach Wegweisern Ausschau zu halten.

Bleibt zum Abschluss unseres kleinen Rundgangs durch das imaginäre Museum der Gottesbilder eigentlich nur die Frage: Wie sieht eigentlich Ihr Bild von Gott aus?

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