Jesus is God's selfie
Ich bin im Central Park in New York. Eine junge Frau tanzt am Rande eines Konzertes. Auf ihrem T-Shirt steht ein merkwürdiger Satz, nämlich: „Jesus is God’s Selfie“ – Jesus ist Gottes Selfie. Oder auf Deutsch: Gottes Selbstportrait. Dieser Satz geht mir seitdem nicht aus dem Kopf. Ich weiß noch, dass ich dachte: „Wie passend. Ausgerechnet im Central Park, ausgerechnet in New York. In einer Stadt, in der wahrscheinlich jeden Tag Hunderttausende Selfies gemacht werden.“ Passend auch deshalb, weil ich selbst kurz vorher Selfies gemacht hatte. Zugegeben, ich habe nicht oft das Bedürfnis, mich selber vor irgendeinem Hintergrund zu fotografieren. Aber hin und wieder schon.
Ich hatte Bilder von mir auf der Brooklyn Bridge gemacht. Mit der Skyline von Manhattan im Hintergrund. Auf dem Times Square. Und natürlich mit der Freiheitsstatue – Miss Liberty. Ich war schließlich das erste Mal in Amerika. Auf einer Studienreise. Und einen ganzen Kontinent von meiner Familie entfernt. Und ich wollte, dass meine Kinder diese Fotos bekommen. Dass sie sehen: Ich bin tatsächlich in New York. Über 6000 Kilometer entfernt. Und dank dieser Selfies doch ganz nah. Klar, ich wollte diese Bilder auch für mich. Als Erinnerung. So schnell werde ich nicht wieder nach New York kommen.
Für mich war das Selfie also eine Selbstvergewisserung. Der Beweis. Ich bin hier! Und ein Weg, meine Familie an meiner Reise teilhaben zu lassen. Aber lässt sich meine Motivation, ein Bild von mir zu machen, auf Gott übertragen? Was soll der Satz „Jesus is God’s Selfie“ eigentlich bedeuten? Das klingt so salopp. Doch ich glaube, es lohnt sich, darüber nachzudenken.
„Jesus is God’s Selfie!“ Was bedeutet das? Dem will ich nachgehen.
Das erste, was mir dazu einfällt, ist tatsächlich ein Satz aus der Bibel. Aus dem Johannesevangelium. Da sagt Jesus von sich: „Wer mich sieht, der sieht Gott.“ Ich finde, das klingt ganz ähnlich: Wer Jesus anschaut, der sieht Gott. Ist Jesus also wirklich Gottes Abbild, so etwas wie: Gottes Selfie? Um das herauszufinden, will ich erstmal klären, was man unter einem Selfie versteht. Das Phänomen gibt es ja noch nicht lange. Eigentlich erst, seitdem es Smartphones gibt. Ein Selfie ist ein Selbstportrait, das man mit seinem Handy macht. Man streckt den Arm möglichst weit aus und versucht, sich ins rechte Bild zu setzen. Am besten vor einem interessanten Hintergrund. So ein Selfie kann eigentlich jeder machen.
Gerade junge Menschen sind begeistert davon. Sie fotografieren sich nicht nur, sie überschwemmen die sozialen Medien geradezu mit ihren Selbstbildnissen. Manche Leute sehen das kritisch. Sie finden, ein Selfie entlarvt, wie eitel unsere Gesellschaft ist. Menschen würden sich auf ihr Äußeres reduzieren. Trotzdem finde ich: Das ist bestenfalls die halbe Wahrheit. Ich glaube, Selfies sind mehr als eitle Selbstbespiegelung. In einem Zeitungsartikel habe ich eine interessante Definition gelesen: Ein Selfie, sagte die Autorin, könne genauso gut Kunst, Widerstand und Statement sein.
Dass ein Selfie Kunst sein kann, finde ich einleuchtend. Die Kunstform des Selbstportraits gibt es schließlich seit vielen Jahrhunderten. Große Kunstwerke sind so entstanden zum Beispiel von Rembrandt, Frida Kahlo und Vincent von Gogh. Selbstbewusst zeigen sich die Künstler darauf, wie sie gesehen werden möchten. Sie inszenieren sich. Setzen sich ins Bild. Darin unterscheiden sie sich nicht von Menschen, die ihre Selfies in die sozialen Medien stellen. Auch sie wollen bestimmen, wie andere sie wahrnehmen und sehen sollen. Wollen zeigen: Schaut, das bin ich. Das macht mich aus. Das will ich Euch von mir zeigen. Und auch das geschieht mitunter sehr kunstvoll.
Doch das ist noch nicht alles: Ein Selfie kann auch Widerstand und Statement sein, heißt es. Mir sind direkt die Bilder von Angela Merkel mit syrischen Flüchtlingen eingefallen, Bilder aus dem letzten Jahr. Angela Merkel besuchte damals eine Erstaufnahmeeinrichtung in Berlin. Bei diesem Termin entstanden mehrere Fotos. Selfies mit Flüchtlingen. Darunter eines, auf dem man Angela Merkel Wange an Wange mit einem syrischen Mann mittleren Alters sieht. Diese Bilder haben der Kanzlerin viel Kritik eingebracht. Man warf ihr vor, Hunderttausende Menschen zur Flucht zu ermutigen. Sie nach Deutschland geradezu einzuladen.
Ich sehe das nicht so. Ich fand und finde die Fotos gut. Angela Merkel stellte sich für alle sichtbar an die Seite von Menschen, die Schutz suchten. Sie bekannte sich zu dem, was sie wenige Tage zuvor gesagt hatte. Nämlich: Hier sind Menschen, die unsere Hilfe brauchen, und: Wir schaffen das. Der Angst vor dem Fremden, setzte sie diese Bilder entgegen. Auch für die syrischen Flüchtlinge hatten diese Selfies eine große Bedeutung. Einer von ihnen soll das Bild direkt an seine Eltern geschickt haben. Mit der Botschaft: Seht, ich bin ich in Sicherheit. Ich bin bei Merkel.
Ich kann mit einem Selfie also nicht nur meine Eitelkeit befriedigen. Sondern: Ich kann zeigen, wie ich gesehen werden möchte. Ich kann ein Statement abgeben, sogar ein politisches. Was also ist dran an der Aussage: Jesus is God’s Selfie. Was will uns Gott von sich zeigen? Was sehen wir von Gott, wenn wir auf Jesus schauen?
Wer auf mich sieht, sieht Gott. Sagt Jesus. Was sehe ich, wenn ich auf Jesus blicke? Auf Gottes Selfie? Zuerst einmal sehe ich einen Menschen. Geboren in einfachen Verhältnissen. In einem Dorf, in einem Stall. Jesus ist der Sohn eines Handwerkers und seiner Verlobten. Er zieht mit Freunden und Freundinnen als Wanderprediger durchs Land. Karriere und Eigentum sind ihm nicht wichtig: Kein Haus, kein Auto, kein Boot. Eitelkeit kann man Gott also nicht vorwerfen. Glamour sieht anders aus. Er zeigt sich in Jesus weder überirdisch noch mächtig. Sondern, so erzählt es die Bibel: Gott kommt als einfacher Mensch in diese Welt. Ein Mensch wie du und ich.
Und dieser Mensch hat eine Botschaft. Eine Aufgabe. Der Theologe Wolfgang Huber hat es so gesagt: „Jesus bringt den Menschen Gott.“ Das tut er, indem er von Gott erzählt. Von seiner Liebe. Die allen Menschen gilt. Nicht nur den Reichen und Schönen. Sondern auch denen – vor allem denen! –, die sich am Rand der Gesellschaft fühlen. Weil sie arm sind. Oder krank. Oder fremd.
Aber Jesus erzählt nicht nur. Er zeigt an seinem Beispiel, was es bedeuten kann, Gott, sich selbst und seinen Nächsten zu lieben. Er lebt mit einfachen Leuten zusammen. Feiert und betet mit ihnen. Und lädt Außenseiter dazu ein. Die Menschen tragen seine Botschaft weiter. Dass für ihn alle Menschen gleich sind. Männer wie Frauen. Einheimische wie Fremde. Dass er Kranke gesund machen und Tote zum Leben erwecken kann. Viele erzählen, in Jesus sei Gott selbst Mensch geworden. Auf ihn könne man hoffen.
Am Ende wird Jesus als Aufrührer gegen den römischen Staat verhaftet. Ihm wird der Prozess gemacht. Aber er bleibt seiner Botschaft treu. Geht seinen Weg bis zum Ende. Und stirbt am Kreuz. Doch der Tod hat nicht das letzte Wort. Die Bibel berichtet, dass Jesus von den Toten auferstanden ist. Das Gott ihn zurückgeholt hat in ein neues Leben. Ist Jesus Gottes Selfie? Meine Antwort lautet: Ja und nein. Ja, weil Gott in Jesus etwas von sich zeigt. Was ihm wichtig ist. Was für uns wichtig ist. Und nein, weil dieses Selfie namens Jesus mehr ist als eine flüchtige Momentaufnahme.
Wenn ich auf Jesus sehe, dann sehe ich einen Gott, der sein Leben mit uns Menschen teilt. Der nicht nur sich zeigt, sondern auch uns sieht. Mit liebevollem Blick. Und uns nicht fallen lässt, wenn wir etwas falsch gemacht haben. Der bei uns ist und bleibt, im Leben wie im Sterben. Jesus ist Gottes Selfie und noch viel mehr. Er ist Gottes Zusage: Ich sehe euch und bin bei euch und bleibe bei euch alle Tage bis diese Welt endet.