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Rumpelstilzchen
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Rumpelstilzchen

Eva Rudolf
Ein Beitrag von Eva Rudolf, Redakteurin im Bistum Fulda

Wer Geld verdient, hat erst mal Recht. Dass das nicht erst seit der Erfindung des Neoliberalismus so ist, zeigt zum Beispiel Rumpelstilzchen. Gemeinhin hält man ihn für einen bösartigen Zwerg, der der Königin ihr Kind rauben will. Dabei sagt Rumpelstilzchen den einzigen vernünftigen Satz im ganzen Märchen: „Etwas Lebendes ist mir lieber als alle Schätze der Welt.“ Die anderen Figuren sind sämtlich fragwürdig.

Der Müller: „Meine Tochter kann Stroh zu Gold spinnen.“ So will er dem König imponieren und bringt sein Kind in Gefahr. Der König: Dumm und gemein: Es wundert ihn nicht, dass dieser Müller trotzdem arm ist. Er kerkert das Mädchen ein: „Wenn du bis morgen dieses Stroh nicht zu Gold versponnen hast, musst du sterben.“ Statt Recht und Gesetz: Erpressung! In der dritten Nacht verspricht er dem Mädchen aber die Ehe, wenn es noch mehr Gold spinnt. Käufliche Liebe also und eine Ehe ohne Aussichten mit einem, der seiner Braut nach dem Leben trachtet. Die Müllerstochter: Gegen einen armseligen Schmuck als Lohn lässt sie sich helfen und fragt ihren Wohltäter noch nicht mal nach dem Namen. Um Königin zu werden, willigt sie ein in einen sittenwidrigen Vertrag: Wenn der Zwerg noch einmal hilft, soll er ihr erstgeborenes Kind bekommen.

Da verstehe ich Rumpelstilzchen noch am ehesten. Hässlich und klein wird er geschnitten, lebt allein fern der Zivilisation und wünscht sich in seiner Nähe etwas Lebendiges, Gemeinschaft. Dass die Königin ihm das Kind nicht geben will und stattdessen Reichtümer anbietet, ist verständlich. Aber aus Rumpelstilzchens Sicht war sein Anliegen gar nicht so verwerflich, eher eine Art Adoptionsgesuch. Soll ein Kind in diesem Milieu aufwachsen? Wo Menschen nur Augen für den Mammon haben und dafür über Leichen gehen?

Doch obwohl Rumpelstilzchen sich das Kind so sehr wünscht, lässt er der Königin eine Chance: Sie hat sich bis jetzt nicht für ihn interessiert und auch sonst keiner. Wenn sie nun eine Seele fände, die wenigstens seinen Namen kennte, dann dürfte sie Ihr Kind ohne Gegenleistung behalten. Blauäugig rechnet er nicht damit, dass ihr das gelingt. Bisher war er einsam und allein. Auf einmal ist es für ihn „So ein Glück, dass keiner weiß, dass ich Rumpelstilzchen heiß“. Keine persönliche Beziehung oder Bekanntschaft bringt seinen Namen in Erfahrung. Ein Spitzel beobachtet heimlich den Freudentanz.

„Etwas Lebendes ist mir lieber als alle Schätze der Welt!“ Rumpelstilzchen scheitert an diesem Grundsatz. Als er von der Königin seinen Namen hört, reißt er sich aus Enttäuschung über den missglückten Plan selbst entzwei.

Menschen: Die einen tun alles für Geld. Die anderen treten für das Leben ein. Wer nicht will, dass die Falschen scheitern, sollte es sich auf die Fahne schreiben: Das Leben, die Gemeinschaft: Das ist wichtiger als alle Schätze der Welt!

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