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Eisblumen
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Eisblumen

Gabriele Heppe-Knoche
Ein Beitrag von Gabriele Heppe-Knoche, Evangelische Pfarrerin, Kassel

Meine Kinder kennen keine Eisblumen. Doppelt verglast und gut geheizt geben unsere Häuser diese wunderbaren Muster nicht mehr her. Aber ich kann mich noch gut an die Eisblumen erinnern, die im Winter morgens die Fenster unseres Schlafzimmers bedeckten. Wir hatten keine Zentralheizung. Das Feuer im Ofen war über Nacht ausgegangen und der Atem von fünf Menschen war in filigranen Mustern auf die Scheiben gefroren. Oft sind wir damals morgens in die Betten unserer Eltern gekrochen und haben gewartet, bis es in der Küche etwas warm wurde, wo meine Mutter den Herd schon angefeuert hatte.

So romantisch das klingt, - heute weiß ich, dass wir damals arm waren. Es gab keine Heizung und kein fließend warmes Wasser im Haus, ja noch nicht einmal ein Bad oder eine Toilette. Wir waren arm, aber wir empfanden das nicht als schlimm, denn so ging es allen bei uns im Dorf. Keiner hatte wesentlich mehr. Jeder musste sehen, wie er mit großer Sparsamkeit und Fleiß über die Runden kam mit ein bisschen Landwirtschaft undHandwerk. Das ist der große Unterschied zu heute. Wer heute arm ist, und das sind zunehmend mehr Menschen in unserem Land, - der sieht auch immer die anderen vor sich. Die, die alles haben und sich alles leisten können. Der Abstand ist deutlich, er wird immer größer und es besteht für die meisten, die an der Grenze zur Armut sind, keine Aussicht, das jemals aufzuholen. Auch das ist ein wichtiger Unterschied zu meiner Kindheit. Damals lebten alle in dem Gefühl, es könne nach den harten Kriegsjahren nur noch besser werden. So war es ja auch. Heute müssen die, die sich vielleicht gerade noch so über Wasser halten, Angst haben, dass sie für immer abgehängt sind, wenn sei einmal absinken. Wenn die Arbeitsstelle verloren geht, wenn noch ein Kind dazu kommt, wenn die Ehe scheitert, wenn einer der Verdiener in der Familie krank wird...

Das sind Risiken des Lebens, die jeden treffen können. Es war eine große Errungenschaft unseres Gemeinwesens, dass man in solchen Fällen abgesichert war. Durch Arbeitslosen,- Kranken,- oder Lebensversicherung z.B.. Diese Sicherungssysteme sind inzwischen brüchig geworden. Das macht vielen Angst.

Einer trage des andern Last, heißt es im Neuen Testament (Galaterbrief 6,2). Damit ist gemeint, dass die, die stark sind und reichlich haben, mit für die sorgen sollen, denen es am Nötigsten fehlt. Und nicht umgekehrt, dass die, die Not leiden, auch noch selbst dafür sorgen müssen, dass es ihnen besser geht. Es gibt viele reiche Menschen in unserem Land, Gott sei Dank. Wenn sie wollten, könnte sich viel verändern.

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