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Das Weizenkorn
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Das Weizenkorn

Eva Rudolf
Ein Beitrag von Eva Rudolf, Redakteurin im Bistum Fulda

Passah in Jerusalem ist ein Großereignis. Zu Tausenden strömen Menschen in die Stadt. Darunter eine Gruppe Griechen. Sie sind auf Besuch in Jerusalem. Und sie sind auf eine Idee gekommen: Wir würden Jesus gern aus der Nähe sehen.

Ich stelle mir vor, ich bin so ein Grieche. Den jüdischen Glauben kenne ich aus der Heimat. Was bei unseren Nachbarn in der Synagoge gesagt wird, spricht mich an. Irgendwie kann ich mit diesem einen Gott und seiner Ethik mehr anfangen als mit den vermenschlichten Witzblattfiguren des griechischen Götterhimmels. Durch die Stadt geht ein Raunen: „Jesus“, „Jesus“ an jeder Ecke. Ich kann das kaum buchstabieren. Aber die Aufregung drum herum zieht mich an. Mit Jesus auf Tuchfühlung: Das wäre noch mal ein I-Tüpfelchen. Dann hätte die Reise sich gelohnt. Unsere Gruppe spricht einen der Jünger an. Aber der muss erst einen anderen fragen. Man kommt sich vor wie ein Bittsteller vor dem Wachhäuschen, der seinen Passierschein verlegt hat. Und als unser Anliegen, ihn einfach nur mal sehen, endlich vor ihn kommt, da kommt Jesus und sagt uns, was es bei ihm zu sehen gibt: „Wenn das Weizenkorn nicht in die Erde fällt und erstirbt, bleibt es allein. Wer sein Leben lieb hat, der wird's verlieren; und wer sein Leben auf dieser Welt hasst, der wird's erhalten zum ewigen Leben.“ Ein lockeres Gespräch über das Wetter in Griechenland und Palästina oder über die Reiseverbindungen zwischen Athen und Jaffa wäre mir lieber gewesen. Bei der ersten Begegnung von einem Fremden zu hören: Ich werde sterben – und du auch - das betrifft zwar jeden, aber das will nicht jeder wissen. Das Weizenkorn muss sterben. Gut, wir wollten Jesus sehen, aber können wir das ertragen, was es zu sehen gibt? Können wir Leid sehen? und aushalten?

Jetzt trennt sich in meiner Reisegruppe die Spreu vom Weizen. Da wenden sich die ab, die nur ein bisschen Sensationslust befriedigen wollten, denen das hier zu heiß wird. Aber vielleicht bleibe ich. Ich verstehe: Diesen Jesus gibt es nur als Sterblichen. An und für sich ist das ja auch nichts Neues.

Neu ist, dass der Sterblichkeit eine enorme Kraft innewohnt. Das Weizenkorn schert sich nicht um die Erhaltung seines Lebens. Und gerade deshalb bleibt es nicht allein! Wer - im Gegensatz zum Weizenkorn - an seinem Leben klebt, wer nur darauf bedacht ist, dass er selbst ein gutes Leben hat, egal, wie es den anderen geht, der lebt am eigentlichen Leben vorbei. Wenn ich mich dem anderen ausliefere, mein Wohl von seinem abhängig mache, dann riskiere ich, dass ich verletzt werde. Aber nur zu diesem Preis bleibe ich nicht allein.

Wir sind eine Gruppe Griechen in Jerusalem. Wir wollten Jesus sehen. Er aber zeigt uns etwas anderes: uns selbst. Wollen wir das Leben eines Weizenkorns führen? Das ist gefährlicher, als nur um uns selbst zu kreisen. Trotzdem: Wir können dabei nur gewinnen.

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