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Das Letzte, was ich für sie tun kann
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Das Letzte, was ich für sie tun kann

Michael Becker
Ein Beitrag von Michael Becker, Evangelischer Pfarrer, Kassel

Ihr Name ist ungewöhnlich: Maria-Anna. Eines Tages frage ich:

Maria-Anna, stimmt das? Ja, sagt sie und fängt an zu weinen. Das stimmt, sagt die 90-jährige. Als sie zur Welt kommt, ist ihr Schwesterchen schon gestorben. Die hieß Anna-Maria, erzählt sie. Das zweite Mädchen soll dann den gleichen Namen bekommen. Im letzten Augenblick besinnen sich die Eltern, sagt die alte Dame, und drehen die Namen herum: Maria-Anna statt Anna-Maria. So trug ich immer die Schwester in mir, die ich gar nicht kannte, sagt die alte Dame. Meine Lebenslast. Ein bisschen war ich immer auch meine Schwester. Dabei bin ich stolz auf mich und meinen Namen.

Ich will sorgfältig sein mit ihrem Namen. Ich passe genau auf, ob die Reihenfolge stimmt: Maria-Anna. Namen sind Selbstwert. Man muss sie richtig schreiben und aussprechen. Die alte Dame legt Wert auf sich und ihren Namen. Weil eine tragische Geschichte dazu gehört. Und sie manchmal die Last spürte, beinahe den Namen einer anderen zu tragen. Namen sind wertvoll; wie das Gesicht eines Menschen. Namen sind Eigenwert.

Als sie krank wird, passt wieder einer nicht auf. Hängt einen Zettel in den Flur, auf dem steht: Anna-Maria. Mich ärgert, was ich da lese. Sorgfalt muss sein. Erst recht, wenn der alten Dame sonst wenig geblieben ist. Mit schwarzer Farbe streiche ich durch, was ein Pfleger hastig geschrieben hat. Dann suche ich einen Rotstift und schreibe den Namen richtig: Maria-Anna. Und wenn es das letzte ist, was ich für sie tun kann, bevor sie stirbt: Ich schreibe ihren Namen richtig. Den Namen, bei dem Gott sie ihr Leben lang gerufen hat. Und bald zu sich ruft.

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