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Glauben - trotz allem
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Glauben - trotz allem

Charlotte von Winterfeld
Ein Beitrag von Charlotte von Winterfeld, Evangelische Pfarrerin, Frankfurt
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Meine Freundin Kathrin ist gestorben, vor fast genau drei Jahren, mit Mitte 50 an einer Lungenkrankheit. Ich denke in letzter Zeit oft an sie.

"Dass sie irgendwie anders aussah als andere, habe ich erst gar nicht gemerkt"

Zum ersten Mal getroffen habe ich sie auf einer Geburtstagsfeier. Sie hat tief und schallend gelacht. Sie hat humorvoll von ihren Pannen im Leben erzählt. Sie hat immer ganz offen und direkt ihre Meinung gesagt. Vor ihrem Urteil hatte ich manchmal Angst, aber ihr Rat war mir wichtig. Dass sie irgendwie anders aussah als andere, habe ich erst gar nicht gemerkt. Und darüber habe ich auch später nie nachgedacht.

Klar, ihr Hals war steif. Ihr Kopf saß fast direkt auf ihren Schultern. Was wirklich mit ihr los war, habe ich erst begriffen, als ich nach ihrem Tod länger mit ihren Eltern gesprochen habe.

"Ihre Klugheit und ihr besonderer Humor ließen das Äußere in den Hintergrund treten"

Kurz nach Kathrins Geburt wurde bei ihr eine seltene Krankheit an der Halswirbel-Säule diagnostiziert. Manche Wirbel waren miteinander verschmolzen, so dass Kathrin den Hals nur eingeschränkt bewegen konnte und oft auch Rückenprobleme hatte. Das hat das äußere Erscheinungsbild geprägt. Ihre Klugheit und ihr besonderer Humor ließen das Äußere in den Hintergrund treten. Wer Kathrin näher kannte, dem ist das gar nicht mehr aufgefallen.

Eine Kindheit voller Schmerzen

Trotzdem hat diese Krankheit Kathrin geprägt. Gerade in ihrer Kindheit hatte sie deshalb Schmerzen, musste oft im Gipsbett liegen oder ein Korsett tragen. Und die anderen Kinder haben sie gehänselt oder schief angesehen. Je älter Kathrin wurde, desto leichter wurde es für sie. In der Oberstufe hatte sie dann gute Freunde und hat ein ganzes Schuljahr damit zugebracht, rauchend Doppelkopf zu spielen.

Kathrin hat lange mit Suchtkranken gearbeitet. Davon hat sie immer mal erzählt. Wie ihre Patientinnen und Patienten an ihr gehangen haben und wie sie die Arbeit belastet und schließlich an ihre Grenzen gebracht hat.

"Du schwimmst mühsam durch das Stundenwasser."

Kathrin hatte selbst immer wieder depressive Phasen. Sie hat Halt gefunden bei ihren Eltern, bei guten Freunden, bei ihrem Hund. Auf der Traueranzeige hatten die Eltern ein Gedicht von Rose Ausländer abgedruckt. Eine Zeile heißt: „Du schwimmst mühsam durch das Stundenwasser.“ Dieser Satz passt gut zu Kathrin. Es war für sie oft mühsam, durchs Leben zu kommen, mühsamer als für andere.

Sie hat geglaubt trotz allem, was ihr das Leben abverlangt hat

Kathrin war ein tiefgläubiger Mensch. Für mich ist das ein Wunder. Sie hat geglaubt trotz allem, was ihr das Leben abverlangt hat. Sie hat das Leben geliebt und hat es zu nehmen gewusst.

Es sind so viele Fragen offen geblieben

Sie war eine besondere Persönlichkeit, gerade wegen der Strömungen in ihrem Leben, gegen die sie anschwimmen musste. Nach und nach habe ich etwas mehr von den Tiefendimensionen in Kathrins Leben begriffen und davon, was sie täglich geleistet hat. Jetzt würde ich gern noch viele Gespräche mit ihr führen. Ich habe noch so viele Fragen an sie.

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