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Vater und Mutter verlassen

Vater und Mutter verlassen

Dr. Peter Kristen
Ein Beitrag von Dr. Peter Kristen, Evangelischer Pfarrer und Studienleiter, Religionspädagogisches Institut Darmstadt

Fliegen ist nicht so ihr Ding, eher schwimmen und tauchen. Sie leben lebenslang als Paare zusammen und eins haben sie uns Menschen klar voraus: Sie produzieren keine Nesthocker. Papageientaucher, diese schwarz-weißen Vögel, die im Nordmeer zuhause sind. Mit ihren orangen Schnäbeln und Füßen erinnern sie an Papageien und entlocken Vielen wegen ihres lustigen Äußeren ein „och wie süß“. Während bei uns Töchter und Söhne oft sehr lange im Hotel Mama wohnen bleiben, haben die Papageientaucher für die Selbständigkeit ihrer Kleinen eine ganz eigene Lösung gefunden: Wenn die Küken vierzig Tage alt sind, ziehen die Eltern aus.

Das hab ich auf einer Urlaubsreise gelernt. Seit mehr als zwanzig Jahren war das der erste Urlaub, den wir ohne unsere beiden Töchter gemacht haben. Ein bisschen überrascht waren die beiden schon, fast sauer. Sie kannten es ja nur anders und wären gerne – wie immer – mitgefahren. Was wir aus dem Bauch heraus entscheiden haben, hört sich beim Entwicklungspsychologen Thomas Thiel so an: „Für jede Erziehung gilt: Man muss das Kind loslassen, und zwar altersgemäß.“ Wer als Jugendlicher daheim regelmäßig den Putzlappen schwingen muss, oder sich am Wochenende auch mal allein bekochen, wenn die Eltern zu Freunden abdampfen, der übt damit vor allem eines: Selbständigkeit.

Dass es so viele menschliche Nesthocker gibt, ist nicht nur Bequemlichkeit, es hat auch gute Gründe: Die Ausbildungszeiten werden immer länger und teurer. In Ländern, in denen es weder BaföG noch Wohngeld gibt, leben mehr junge Erwachsene zuhause. Viele deutsche Jugendliche haben ein gutes Verhältnis zu ihren Eltern. Anders als die vor 50 Jahren müssen sie nicht ausziehen, um sich von diesen Spießern zu befreien. Und trotzdem, irgendwann müssen junge Erwachsene selbstständig werden und „Vater und Mutter verlassen“, wie es in der Bibel heißt. (Gen 2,24)

Denn wenn es gut geht, entwickeln dann Eltern und Kinder ihre Beziehung weiter. Eltern haben dann ihren Kindern genug vorgelebt, an Liebe, an Werten, an Glauben. Sie können sie loslassen. Kinder können ihren eigenen Weg gehen, beruflich und privat, gründen vielleicht eine eigene Familie und geben ihren Partnern Vorrang vor ihren Eltern. Ich weiß nicht, ob Papageientaucher ihre Jungen auf dem Meer wiedersehen. Kluge Eltern werden ihren Kindern gerne begegnen, auch wenn sie eigene Familien haben, mit Freude und auf Augenhöhe.

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