Ihr Suchbegriff
Beitrag anhören:
Laufen mit Paulus
Bild: Pixabay

Laufen mit Paulus

Dr. Ansgar Wucherpfennig
Ein Beitrag von Dr. Ansgar Wucherpfennig, Jesuitenpater, Professor für Neues Testament an der Hochschule Sankt Georgen, Frankfurt
Beitrag anhören:

Ökumenische Morgenfeier mit Pfarrerin Anne-Katrin Helms, Frankfurt, und

Pater Dr. Ansgar Wucherpfennig, SJ, Frankfurt

 

Wucherpfennig:
Loslaufen, zwei Schritte Einatmen, vier Schritte Ausatmen. Das ist inzwischen wieder mein Rhythmus geworden. Seit ein paar Jahren laufe ich regelmäßig. Meine Beine waren vorher ziemlich faul, und den Gürtel musste ich Loch um Loch erweitern. Am Anfang musste ich mich überwinden loszulaufen: Fersen, Knie, Oberschenkel, alles hat wehgetan. Ich bin schnell aus der Puste gekommen, und nach den ersten Malen hatte ich einen ordentlichen Muskelkater. Auch heute fällt es mir immer noch schwer, wenn es losgehen soll. Aber dann nach kurzer Zeit freue ich mich über die Sonne, über Menschen, die mir beim Laufen zulächeln, und darüber, dass mir nicht mehr alle Anderen davonlaufen.

 

Manchmal auch mit anderen zusammen

 

Meist laufe ich allein. Dann hetzt mich keiner. Meine Füße können mein eigenes Tempo bestimmen, und in meinem Kopf können frei meine Gedanken ziehen. Aber manchmal laufe ich auch mit anderen zusammen, auch mit Pfarrerin Helms bin ich schon gelaufen. Im vergangenen Jahr haben wir sogar mit einigen anderen überlegt, ob wir gemeinsam bei einem Volkslauf über die Mainbrücken mitlaufen, als ökumenisches Laufteam. Der ist dann allerdings wegen Corona ausgefallen.

Gemeinsam, zu zweit oder in der Gruppe zu laufen, das hilft mir: Es wächst Vertrauen, wenn auf einmal mehr als zwei Beine zusammenlaufen und koordiniert werden müssen. Die anderen können mich mitziehen, aber ich muss auch zusehen, dass ich dranbleibe. 

 

Helms:
Ich laufe auch gern. Am liebsten morgens. In meinem Kopf sortiert sich dabei wie von allein, was am Tag so ansteht: Ich atme gleichmäßig, ich setze einen Fuß vor den anderen. Und mir fällt ein, wie ich ein schwieriges Gespräch angehen könnte, oder ich überlege mir, was ich kochen könnte. Jedes Mal, wenn mir dann etwas einfällt, freue ich mich darüber. Machen kann ich das nicht. Das Laufen ist aktiv, aber die Ideen kommen eher von selbst.

 

Mit großen und schnellen Schritten an ihnen vorbei

 

Ich gebe zu, ich laufe nicht einfach so vor mich hin, ich will auch was erreichen. Ich habe noch nicht an Rennen teilgenommen, aber gegen mich selbst laufe ich schon. Ich zeichne jeden Lauf in meinem Handy auf: Länge, Tempo, Kalorienverbrauch. Am Ende des Monats bin ich stolz, was ich alles geleistet habe, und vergleiche es mit Vormonaten. Außerdem: Es motiviert mich, wenn andere Läufer auf derselben Strecke unterwegs sind. Da will ich mir keine Blöße geben und schwächeln. Ich versuche, mit größeren und schnelleren Schritten an ihnen vorbeizukommen. Das schafft mir innere Genugtuung.

Ich glaube, das steckt in den meisten Menschen: dass sie sich messen wollen mit anderen. Ich lebe ja nicht im luftleeren Raum, sondern bin mit anderen unterwegs. Also schau ich auf sie, wie schnell, gut oder erfolgreich sie sind. Das bringt mich voran.

Der lebenslange Lauf

Wucherpfennig:
Beim Laufen mag ich es, auf die Geräusche der Natur zu hören, das Rauschen des Windes und die Vogelstimmen, Musik höre ich dabei nicht. Es gibt aber Musik über das Laufen, die ich mag. Zum Beispiel ein Lied von U2, „I still haven’t found“. Das Lied singt von einem großen Ziel beim Laufen, Gott und sein Reich. Das ist ein lebenslanger Lauf.

 

Musik 1: aus: U2 „I still haven’t found“.

 

Wucherpfennig:
Laufen kommt auch in der Bibel vor. Heute in zwei Wochen feiern wir Ostern, und eine der schönsten Ostergeschichten ist für mich, wie der auferstandene Jesus zwei Jüngern zusammen Beine gemacht hat. Sie hatten gehört, dass Jesus nicht mehr im Grab ist. Der eine der beiden wird meistens Johannes genannt, aber in der Bibel heißt er immer nur: der Jünger, den Jesus liebhatte. Er läuft zusammen mit Petrus und kommt vor ihm beim Grab an. Obwohl er vorher da ist, lässt er Petrus den Vortritt. Er war schneller, sicher wollte auch er wissen, was da geschehen war, aber trotzdem hat er den anderen zuerst ins Grab schauen lassen.

 

Eine Geschichte mit Höhen und Tiefen 

 

In den Tagen vor Ostern lesen wir als evangelische und katholische Christinnen und Christen die biblische Geschichte von den letzten Tagen Jesu. Das ist eine Geschichte mit Höhen und Tiefen. Jesus wird jubelnd in Jerusalem empfangen, er wird von einer Frau gesalbt, er feiert mit seinen Jüngern, aber er wird auch verlassen, verleugnet und ausgeschrien, und schleppt sich nur Schritt für Schritt voran.

 

Der einsame Kampf in der Nacht

 

Helms:
Die ersten Christen haben sich bei dem Leiden Jesu an einen Wettkampf erinnert. Das griechische Wort für Wettkampf kommt in der Leidensgeschichte Jesu vor, und zwar im Garten Gethsemane, wenn Jesus um seinen bevorstehenden Weg ringt. Da heißt es wörtlich: „Jesus geriet in einen Kampf – in eine agonía –, er betete noch inständiger, und sein Schweiß war wie Blut, das auf die Erde tropfte“ (Lukasevangelium 22,44). Es hat Jesus ungeheure Kraft gekostet, der Gerechtigkeit und der Liebe Gottes treu zu bleibe. Es gab keinen Menschen, auf den er sich dabei verlassen konnte. Es war ein einsamer Kampf in der Nacht. Aber die ganze Schöpfung hat mit Jesus zusammen gekämpft und gerungen. Der Barockdichter Friedrich Spee hat von diesem Ringkampf zwischen Tod und Leben in einem Gedicht geschrieben. Johannes Brahms hat es vertont.

 

Musik 2: Johannes Brahms: In stiller Nacht. 

 

Das Laufen war ihm besonders wichtig!

 

Wucherpfennig:
Auch der Apostel Paulus schreibt von einem Wettkampf in seinem Brief an die Gemeinde in Korinth. Der Wettkampf ist für Paulus ein Bild für das gemeinsame Leben als Christinnen und Christen. Sie kannten Wettkämpfe aus ihrer Umgebung. In Korinth fanden nämlich alle zwei Jahre die Isthmischen Spiele statt. Es gab dabei verschiedene Wettkampfplätze: das Hippodrom für das Wettrennen mit Pferden, ein Stadion für den Wettlauf, ein bedeutendes Theater für die musischen Wettkämpfe und das Kraneion, ein ansehnliches Gymnasium für Faustkampf, Ringkampf und Kämpfe mit Waffen. Das Laufen war Paulus aber besonders wichtig. Er schreibt nach Korinth:

 

Helms:
„Wisst ihr nicht, dass die Läufer im Stadion zwar alle laufen, aber dass nur einer den Siegespreis gewinnt? Lauft so, dass ihr ihn gewinnt! Jeder Wettkämpfer lebt aber völlig enthaltsam; jene tun dies, um einen vergänglichen, wir aber, um einen unvergänglichen Siegeskranz zu gewinnen. Darum laufe ich wie einer, der nicht ziellos läuft.“ (1 Korinther 9,24–26a)

 

Wucherpfennig:
Bei heutigen Wettkämpfen werden meist die ersten drei Plätze bei der Siegerehrung gefeiert. Bei den griechischen Spielen gab es nur einen einzigen Siegeskranz, deshalb war er sehr begehrt. Materiell war er nicht wertvoll. Er bestand aus Holunder- oder Kiefernzweigen, aber sein ideeller Wert war riesig.

 

"Nur gemeinsam"... mit Kraft und Siegeswillen

 

Helms:
Bei dem Wettkampf, von dem Paulus der Gemeinde in Korinth schreibt, gibt es keine verwelkenden Blätter, sondern einen hoffnungsvollen Vorgeschmack des Himmels: Anders als bei dem Wettkampf in Korinth ist das Laufen für Paulus kein Einzelsport. Paulus schreibt der ganzen Gemeinde: „Lauft so, dass ihr den Siegespreis gewinnt!“ (1 Korinther 9,24) Nur gemeinsam lässt sich der Preis gewinnen, mit gemeinsamer Kraft und gemeinsamem Siegeswillen. Zusammen können Christinnen und Christen Gottes zukünftige Welt der Gerechtigkeit, des Friedens und Leben in Fülle erlangen

 

Wucherpfennig:
Paulus ist selber von Ort zu Ort und von einem Landstrich zum nächsten gelaufen, um das Evangelium zu verkünden. Sicherlich ging es ihm damals eher zu langsam voran als zu schnell. Das Evangelium war eine frohe Botschaft von Gott, von der er sich gewünscht hat, dass sie jeden Menschen so bald wie möglich erreicht. Das konnte er im Propheten Jesaja lesen. Da heißt es: 

 

Helms:
"Wie willkommen sind auf den Bergen die Schritte des Freudenboten, der Frieden ankündigt, der eine frohe Botschaft bringt und Heil verheißt, der zu Zion sagt: Dein Gott ist König“ (Jesaja 52,7).

Gott kommt, um die Menschen zu befreien, aber er braucht die Füße und die Kraft der Menschen, die seine Liebe und seine frohe Botschaft weitertragen. Wie fröhlich und bewegend das ist, davon singt die schöne Arie aus dem Messias von Georg Friedrich Händel, „Rejoice greatly, o daughter of Zion“, „Freue dich sehr, Tochter Zion“.  

Musik 3: Georg Friedrich Händel, „Rejoice greatly, o daughter of Zion“ (aus dem „Messiah“).

Die harte Seite des Sports

Wucherpfennig:
Die Spiele zur Zeit des Paulus hatten aber auch eine sehr brutale Seite. Auch diese harte Seite des Sports damals hat Paulus mit seinem Bild aufgegriffen, und damit tue ich mich nicht leicht. Er schreibt:

Helms:
„Darum kämpfe ich mit der Faust wie einer, der nicht in die Luft schlägt; vielmehr züchtige und unterwerfe ich meinen Leib, damit ich nicht anderen verkünde und selbst verworfen werde.“ (1 Korinther 9,26b-27)

 

Wucherpfennig:
Einerseits spricht mich Paulus an: Er will anderen keine Mühe auferlegen, die er nicht auch bereit ist, selbst zu tragen. Aber die Härte des Einsatzes ist mir zu viel. Boxwettkämpfe im Fernsehen haben mich schon als Kind nicht beeindruckt. Zur Zeit des Paulus waren sie noch deutlich härter. Boxer trugen keine gepolsterten Handschuhe und Gesichtsschutz. Bei den griechischen Wettkämpfen trugen sie metallverstärkte Armschienen und wehrhafte Handschuhe, mit denen sie sich schlimme Verletzungen zufügen konnten. Deshalb komme ich mit Paulus nur schwer klar, wenn er sagt: Er kämpft mit sich selbst und siegt über seinen Leib so brutal, wie ein Boxer seinen Gegner niedergestreckt hat. Ich glaube, Paulus hat sehr bedingungslos für das Evangelium gekämpft. Vieles hat aber bei ihm auch darunter gelitten. Zum Beispiel seine Beziehungen: Er hat sich auch mit guten Mitarbeitern zerstritten. Oder sein eigener Körper: Ständig hat er gegen Krankheiten gekämpft.

 

Gott bleibt an ihrer Seite

 

Helms:
Ich glaube nicht, dass wir im Glauben besonders tolle Leistungen abliefern sollen. Als katholische und evangelische Christinnen und Christen glauben wir: Jesus hat diesen Kampf für uns gekämpft. Im Garten Getsemani, am Abend vor seinem Tod, war er kurz davor, alles hinzuwerfen. Ich stelle mir vor, wie ernst und bitter er mit sich und mit Gott gerungen hat: Schaffe ich es, mich Gott und seinem Willen zu überlassen, oder laufe ich weg und renne vor meinem Weg davon? In dem Kampf hat er die Kraft gefunden, Gott zu vertrauen. Gott hat ihn mit seiner Angst nicht allein gelassen, und so hat Jesus diesen Kampf gewinnen können, für mich und für alle, die in ähnlichen Bedrängnissen sind; für alle, die um ihr Leben fürchten und Angst vor dem Tod haben. Gott weiß um ihre Angst, er bleibt an ihrer Seite.

 

Die Kraft des gemeinsamen Feierns

 

Wucherpfennig:
In den letzten Jahren hat die Feier von Jesu Sterben und Auferstehen bei uns in unserem Frankfurter Stadtteil immer einen ökumenischen Akzent gehabt. Mir hat das gemeinsame Feiern mit evangelischen Christinnen und Christen Kraft gegeben für meinen Glauben, so wie ich einen Schubs bekommen kann, wenn ich mit anderen gemeinsam laufe. Ich habe gespürt, dass ich nicht allein bin, auch wenn ich müde werde oder mit mir kämpfen muss. Dann hilft mir der Glaube der Anderen, und ich kann auch Anderen eine Hilfe sein: Die Liebe evangelischer Christen zur Bibel beeindruckt mich als Katholik. Und die ausdrucksstarken Zeichen unserer katholischen Feiern lassen auch evangelische Christen manches neu sehen. Vertrauen und Glauben hängen nicht allein an meiner Kraft. Damit würde ich oft schnell aufgeben.

 

"Ich folge dir mit freudigen Schritten"

 

Beim gemeinsamen Feiern spüre ich etwas davon, was eine Arie in Bachs Johannespassion besingt: Jesus hört nicht auf, an mir zu ziehen, zu schieben und zu bitten. Und da, wo ich ihm nicht folgen kann, da ist eine andere Christin oder ein anderer Christ da und hat ihn verstanden. In der Arie bei Bach heißt es auch: „Ich folge dir gleichfalls mit freudigen Schritten.“ Das beeindruckt mich: Jesus zu folgen muss kein harter Kampf gegen mich selbst sein, wie es Paulus schreibt. Selbst wenn ich Jesus auf seinem Kreuzweg folge, kann ich das mit freudigen Schritten tun. Sicher kann ich das auch allein für mich. Wenn ich es gemeinsam mit Anderen tue, kann die Freude überspringen, und wir spüren zusammen die Kraft der frohen Botschaft Jesu.

 

Musik 4: Johann Sebastian Bach, Arie „Ich folge dir gleichfalls mit freudigen Schritten“ (aus der Johannespassion).

 

Weitere ThemenDas könnte Sie auch interessieren