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Alle Männer mit Kippa? Solidarität angesichts des antisemitischen Überfalls in Berlin
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Alle Männer mit Kippa? Solidarität angesichts des antisemitischen Überfalls in Berlin

Johannes Meier
Ein Beitrag von Johannes Meier, Evangelischer Pfarrer und Journalist, Kassel

Ob der judenfeindliche Angreifer von Berlin ein Fan des Krawall-Raps von Kollegah und Farid Bang ist, ist nicht bekannt. Und doch passen die menschenverachtenden Songtexte und die Prügelattacke des neunzehnjährigen Syrers zusammen. Antisemitismus ist in Deutschland längst kein Einzelfall mehr. Die judenfeindlichen Vorfälle steigen seit Jahren an, darunter auch tätliche Angriffe und Bedrohungen. Neben dem Fall dieser Woche gehört dazu auch der Fall eines jüdischen Gastwirts, den ein Passant vor seinem Restaurant unflätig beschimpfte. Auch er stellte ein Video davon ins Netz. Im Laufe der sechsminütigen Tirade sagt der Passant zum Wirt: "Niemand schützt euch, ihr werdet alle in der Gaskammer landen." Diesmal war der Täter ein Deutscher ohne Migrationshintergrund.
Auf Facebook lese ich, wie sich jüdische Mitbürger über ihre alltägliche Angst vor Anfeindungen austauschen. Sonja schreibt: „Ich rufe alle Männer dazu auf, ab sofort in der Öffentlichkeit Kippas zu tragen. Dann sind plötzlich alle Juden.“ – Ich finde, das ist ein interessanter Vorschlag. Wie würde es mir wohl ergehen, wenn ich heute mit solch einer Kopfbedeckung durch Kassel oder Frankfurt spazierte? Und was wäre, wenn jetzt tatsächlich alle Prenzelberger demonstrativ mit einer Kippa vor die Türe treten würden? – In der Stadt Billings im US-Bundesstaat Montana hat genau solch eine Art von Protest schon einmal funktioniert: Wiederholt waren dort Juden von Neonazis angegriffen worden. Zur Weihnachtszeit, in der auch das jüdische Lichterfest Chanukka gefeiert wird, hatte sich die Lage zugespitzt. Immer wieder flogen Steine in die Fenster, hinter denen die Menora, der traditionelle Siebenarmige Leuchter der Juden brannte. Die Bürger von Billings starteten daraufhin eine beispielhafte Aktion: Auch Christen, Muslime und  Atheisten fingen an, Menoras in ihre Fenster zu stellen. Die Lokalzeitung druckte sogar ein ganzseitiges Poster, das sich die Leute ausschneiden und an die Scheiben kleben konnten. So schmückte schließlich fast jedes Haus der Stadt solch ein Siebenarmiger Leuchter – und das Chanukka-Fest feierten am Ende alle zusammen, in religionsübergreifender, friedliebender Solidarität. Vielleicht ist es an der Zeit, dem Beispiel von Billings zu folgen.

Quelle:
Zu steigenden antisemitischen Vorfällen vgl. u.a. http://www.sueddeutsche.de/politik/antisemitischer-ueberfall-juden-in-deutschland-erleben-bedroh liches-klima-1.3949440

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