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Religion (und Resonanz) im Radio
Bild: Elke_pixabay

Religion (und Resonanz) im Radio

Beate Hirt
Ein Beitrag von Beate Hirt, Senderbeauftragte der katholischen Kirche beim hr, Frankfurt
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Es ist ziemlich genau 100 Jahre her, da haben Menschen zum ersten Mal das erlebt, was Sie gerade erleben: religiöse Verkündigung im Radio. 1923 hat das Radio in Deutschland begonnen zu senden, und schon ein Jahr danach, 1924, vor 100 Jahren, gab es die ersten so genannten Verkündigungssendungen. Kirchenvertreter, damals nur Männer, haben im Radio von ihrem Glauben gesprochen. Ich mache das nun auch schon seit über 20 Jahren. Und natürlich weiß ich: Damals wie heute gefällt das nicht jeder und jedem. Ach, die Kirche – mit ihrer seltsamen Botschaft und ihrer Unglaubwürdigkeit. Aber genauso weiß ich: Es gibt auch viele, die hinhören, wenn wir Kirchenleute im Radio sprechen. Immer mal wieder bekomme ich eine Mail, die anfängt mit: „Ich bin zwar selbst nicht mehr in der Kirche, aber das heute morgen fand ich interessant“ oder sogar: „Das hat mir aus dem Herzen gesprochen“.

Im Radio über meinen Glauben zu sprechen, macht mir große Freude

Da freu ich mich natürlich. Überhaupt macht es mir nach all den Jahren immer noch große Freude, im Radio über meinen Glauben zu sprechen. Mir ist das wichtig. Und heute morgen, zum Jubiläum, möchte ich einmal erzählen, warum – und: was mir besonders bedeutsam erscheint bei dieser Verkündigung im Radio.

Ich erreiche die Menschen mitten im Leben

In Rundfunksendungen von meinem Glauben zu sprechen, ist ja ein bisschen was anderes als vorne im Altarraum einer Kirche. Manchmal werden unsere Sendungen zwar auch „Radiopredigten“ genannt, aber sie unterscheiden sich doch ziemlich von denen im Gottesdienst. Die Situation ist ja ganz anders: Die Menschen sind nicht extra gekommen, die wenigsten schalten für die Kirche ein – das Radio läuft halt gerade. Und viele, die zuhören, haben auch mit Kirche und Religion nicht viel zu tun oder am Hut. Und noch so ein Unterschied zur Kirchenpredigt: Die Leute hören natürlich nicht konzentriert zu, sondern sind vielleicht gerade am Kaffeekochen oder Zähneputzen. Ich gestehe: Ich find genau all das großartig! Denn ich weiß: So erreiche ich die Leute mitten im Leben. Und im besten Fall hab ich auch eine Botschaft, die mitten ins Leben passt. Ich will nicht abgehoben theologisch reden und auch nicht in einer Sprache, die mal einer „kirchisch“ genannt hat. Ich hoffe, die Leute können nachvollziehen, was die Kirchenfrau da morgens im Radio spricht. Und dass ich sie interessieren, ermutigen oder trösten kann, mit dem, was ich über diesen Gott sage, der mir auch mitten im Leben gut tut.

Mit diesem Gott ist das Leben leichter

Im Radio von Gott erzählen: Ich mache das so gerne, weil ich wirklich davon überzeugt mit: Mit diesem Gott lebt es sich leichter. Mir gibt mein Glaube Kraft und Mut zum Leben, und das will ich auch anderen anbieten. Klar bin ich auch als Christin nicht immer nur gut drauf, es gibt auch bei mir traurige, schwierige, erschöpfte Zeiten. Aber dann schütte ich meinen Frust vor Gott aus, lese in der Bibel oder feiere einen Gottesdienst mit – und ich merke, wie mir das gut tut und neue Energie gibt.

Diese Stunde in der Kirche gab mir neue Kraft

Neulich zum Beispiel, an einem Freitagabend. Ich hatte eine richtig anstrengende Woche hinter mir, manches an schwierigen Begegnungen hat mich beschäftigt, ich war ziemlich kaputt. Aber ich hab mich dann doch aufgerafft und bin in einen Gottesdienst gegangen, den eine Freundin vorbereitet hatte, mit ein paar anderen Frauen zusammen. Es gab wunderbaren Gesang und Weihrauchduft, meditative Texte, bei denen ich entspannen konnte, und es waren etliche Bekannte da, über die ich mich gefreut habe. Für Herz und Sinne war vieles dabei. Und nach einer Stunde zusammen in der Kirche war neue Kraft in mir gewachsen. Ich hab das Wochenende ganz beschwingt gestartet.

Auszeiten bringen mich wieder näher zu Gott – und zu mir selbst  

Solche Auszeiten, die helfen mir, gerade, wenn das Leben stressig und voll ist. Ich fühl mich – wie viele andere Menschen – oft ziemlich im Hamsterrad. Schon kleine Unterbrechungen tun mir da gut, ein paar Minuten, in denen ich in einer Kirche sitze oder im Wohnzimmer mit einer Kerze eine Ruhepause einlege. Oder ein kurzes Gebet am Abend, mit dem ich auf den Tag zurückschaue und alles, was passiert ist, in Gottes Hände lege. Einmal im Jahr gönn ich mir sogar eine größere Auszeit: Dann fahr ich für eine Woche in ein Schweigekloster nach Frankreich. Es liegt auf einem Hügel im Burgund, in wunderbarer Landschaft, die Schwestern sind von großartiger Gastfreundschaft, und in ihren Gottesdiensten, den klösterlichen Stundengebeten, geht mir das Herz auf. Leckeres Essen gibt es auch. Dort im Schweigekloster hab ich Zeit zum Ausruhen und Meditieren, und ich komme wieder ein bisschen mehr bei mir selbst an – und bei Gott.

Der christliche Glaube bietet viele solche Kraftquellen

Der christliche Glaube, find ich, hat ein wunderbares Reservoir an solchen kraftschöpfenden Auszeiten. Gottesdienste, Meditationen, Bibellesen oder Klostertage – mir hilft all das, Energie fürs Leben zu bekommen. Und ich erzähle immer wieder gerne davon im Radio, weil ich auch anderen Menschen wünsche, dass sie solche Kraftquellen für sich entdecken können.

Gerade in unserer Zeit braucht es die Religion

Seit 100 Jahren schon erzählen Menschen im Radio von ihrem Glauben. Und mancher wird vielleicht sagen: Heute ist das nicht mehr zeitgemäß. Aber ich denke sogar: Gerade in unserer Zeit und Gesellschaft braucht es die Religion ganz besonders. Mit ihren Möglichkeiten, in dieser schrecklich schnellen Zeit auch mal aufzuhören mit der Rennerei. Auszusteigen aus dem ständigen „Ich muss tun“ und zu entdecken: „Ich darf sein“.

Demokratie braucht Religion

Ein bekannter Soziologe hat das vor einiger Zeit so ähnlich gesagt. Hartmut Rosa in seinem Bändchen „Demokratie braucht Religion“. Ich find es faszinierend, was er darin schreibt über Resonanz und die Resonanz-Fähigkeit von Religion. Rosa sieht unsere Gesellschaft als eine, die ständig wachsen und sich steigern muss und dafür immer mehr Energie aufwenden muss. Die Menschen, so schreibt er, fühlen sich deswegen immer näher am Burnout, und sie werden immer aggressiver und hören sich gegenseitig immer weniger zu. Aber die Demokratie funktioniert nicht in so einem „Aggressionsmodus“, ist Rosa überzeugt. Er schreibt: „Demokratie funktioniert nur, wenn jede und jeder eine Stimme hat, die hörbar gemacht wird.“ Es braucht außerdem Ohren, die die anderen Stimmen hören. Und ein hörendes Herz, das die anderen hören und ihnen antworten will (vgl. „Demokratie braucht Religion“, S. 53). Für Rosa sind es insbesondere die Kirchen, die solches Reden und Hinhören einüben können. Religion schafft es, dass Menschen hören, auf Gott und aufeinander.

Religion bringt mich in Resonanz mit etwas Anderem

Und damit nutzt Religion dem Einzelnen und auch der Gesellschaft als Ganze. Weil sie mich zu Atem kommen lässt, weil sie mich hinhören lässt und weil sie mich in Resonanz bringt mit etwas Anderem, mit dem anderen Menschen und auch mit dem ganz Anderen, das die Religionen Gott nennen. Ich bin wie der Soziologe Rosa überzeugt: Religiöse Riten und Praktiken, Einrichtungen oder Überzeugungen können der Demokratie dienen. Weil sie den Menschen aus dem permanenten Wachstumsdruck und dem Aggressionsmodus in einen anderen Modus versetzen können. Einen, in dem ich spüre: Die Welt ist nicht aggressiv, das Universum ist nicht kalt und feindlich. Sondern es gibt da etwas oder jemanden, der mich bei meinem Namen ruft und mich meint. Jemand, der mich sieht und mich hört.

Bei Gott kann ich mich ausruhen und Kraft tanken

Ich mache solche Resonanzerfahrungen in meinem Glauben. Es tut mir gut, mich bei Gott auszuruhen und mit Gott im Gespräch zu sein. Bei Gott Kraft zu tanken für diese oft so anstrengende Gesellschaft und Zeit.

Im Radio von Gott erzählen, mit es sich leichter leben lässt

Seit 100 Jahren schon sprechen Menschen im Radio von ihrem Glauben. So wie ich heute. Und ich hoffe, sie werden es noch viele Jahre weiter tun. Und anderen Menschen von einem Gott erzählen, mit dem es sich ein bisschen leichter leben lässt.

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