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Trotz allem auf Gott vertrauen
Foto: Lisa Tumma

Trotz allem auf Gott vertrauen

Dr. Annegreth Schilling
Ein Beitrag von Dr. Annegreth Schilling, Evangelische Pfarrerin, Frankfurt
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hr4 Gottesdienstübertragung an Karfreitag, 29. März 2024, von 10.04 - 11.00 Uhr aus der der Evangelischen Christuskirche Frankfurt-Nied

Sie können unsere Seelsorger und Seelsorgerinnen von 11 Uhr bis 13 Uhr telefonisch erreichen unter der Telefonnummer  069 - 92 10 73 33.

Predigt von Pfarrerin Dr. Annegreth Schilling:

Liebe Hörerinnen und Hörer, liebe Gemeinde:
Da stehen sie alle. Unter dem Kreuz versammeln sie sich: Der Hauptmann und die Soldaten, die Gelehrten und Ältesten. Gerade noch hat die gaffende Menge Jesus verspottet. Soll er sich doch selbst helfen, dieser selbsternannte Gottessohn.

Unterm Kreuz leiden die engsten Vertrauten von Jesus mit ihm

Unterm Kreuz stehen auch die engsten Vertrauten von Jesus: sein Schüler und Freund Johannes, Maria von Magdala und noch eine andere Maria, die Mutter zwei seiner Freunde. Sie blicken auf das Kreuz und sehen Jesus leiden. Der Schmerz brennt sich ihnen ein, lässt sie nicht mehr los. Sie leiden mit ihm. Jesus, mit dem sie so viel erlebt haben. Sie erinnern sich an das gemeinsame Essen mit ihm, an die vielen Wanderungen, an seine weisen Worte und segnenden Arme. Alles, was sie mit Jesus erlebt haben, ist jetzt vorbei. Ihre Hoffnung auf Leben – sie hängt leidend am Kreuz.

Trostlos stehen die Freunde Jesu unterm Kreuz. Die letzten Worte hallen in ihren Köpfen nach: Eli, eli, lama asabtani. Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen? In größter Todesnot gibt es nichts mehr, worauf sich Jesus stützen kann. Nur sein Schrei zu Gott.  Jesus stirbt.

Die Menschen unterm Kreuz fühlen, wie auch ihre Kraft schwindet. Maria steht regungslos da, die Hände ins Gesicht vergraben. Ihr Vertrauen ist zutiefst erschüttert. Ihre Hoffnung verloren. Ohne Jesus macht das alles keinen Sinn mehr. Wo ist Gott in all dem? Warum lässt Gott überhaupt zu, dass Menschen leiden?

Warum, Gott?

Wer wie die Frauen am Kreuz dem Tod schon einmal so nah ins Gesicht geschaut hat, kennt die widerstreitenden Gefühle. Der Schrei oder die Klage: Warum, Gott? Warum lässt du zu, dass mein Kind stirbt? Warum kann ich nicht einfach glücklich und zufrieden leben? Warum lässt du mich leiden, von Kindesbeinen an?

Menschen, die leiden, rufen ja nicht ins Leere, sondern sie bangen und vertrauen darauf: hoffentlich hört mich jemand. Hoffentlich hört mich Gott. Das ist schon ein Schritt über die Verzweiflung hinaus. Dieses Vertrauen trotz alledem hat der Evangelist Lukas in Worte gefasst. Da spricht Jesus am Kreuz: „In deine Hände lege ich meinen Geist.“ (Psalm 31,6) Jetzt musst du übernehmen.

Auch bei Menschen, die heute leiden, gibt es diese Seite. Sie sagen: Ich kann nicht mehr kämpfen. Ich will nicht mehr kämpfen. Übernimm du, Gott. An manchen Tagen überwiegt dieser Schrei, am Rand der Verzweiflung. An anderen Tagen stellt sich wie von selbst eine innere Gelassenheit ein, Gottvertrauen.

Wenn ich darüber nachdenke, in welcher Welt wir heute leben, dann erlebe ich oft selbst dieses Wechselbad der Gefühle.

Ich denke an meine Kinder und frage mich, wie ihre Zukunft aussehen wird. Das treibt mich manchmal bis an den Rand meiner eigenen Kraft. Als der Krieg in der Ukraine vor zwei Jahren ausgebrochen ist, da hatte ich große Angst, dass auch wir davon betroffen werden. Ich erinnere mich noch genau an einen Abend: Ich saß trostlos am Bett meines jüngsten Kindes und habe geweint. Dann habe ich das Vaterunser gebetet. Dein Reich komme. Und: Erlöse uns von dem Bösen. Das Gebet hat mich beruhigt. Die Fragen waren immer noch da, aber ich wusste: Gott bleibt bei uns, auch in den größten Nöten, die uns treffen.

Jesus hat diese widerstreitenden Gefühle selbst erlebt. Doch sie haben ihn nicht zweifeln lassen, dass Gott an seiner Seite steht. In größter Todesnot hat Jesus sein Vertrauen in Gott nicht verloren. Trotz des Todesrachens, trotz allem, was mir widerfährt, bin ich von Gott getragen. Wie entsteht solches Vertrauen? Wie kann es gelingen, trotz schwerer Schicksalsschläge, den Glauben an Gott nicht zu verlieren?

Der Karfreitag ist der Tag der größten Gottesferne. Jesus fühlt sich am Kreuz verlassen. Selbst von Gott verlassen. Und trotzdem gibt er sich Gott hin und nimmt sein Schicksal an. Er vertraut in größter Not auf Gottes Beistand.

Ich denke an die Menschen, von denen wir vorhin gehört haben. Als Anne vom Tod ihres Sohnes erfährt, steht für sie und ihren Mann die Welt still. Sein Tod ist das Schmerzhafteste, was sie je erlebt haben. Und gleichzeitig merken sie: Nein, nicht alles ist zerbrochen. Wir haben zwei Töchter, für die wir weiter verantwortlich sind, wir haben uns. Sie erleben viel Unterstützung. Mitten in der Angst spüren sie Liebe. Die Trauer um ihren Sohn bleibt. Gleichzeitig lernt die Familie im Vertrauen auf Gott weiterzuleben, trotz allem!

Auch Anke, die von ihrer Muskelschwäche erzählt, sagt: Seit ich denken kann, fühle ich mich von Gott getragen. Sie fragt nicht „Warum?“. Sie versucht, sich nicht von negativen Gedanken bestimmen zu lassen. Dieses Gottvertrauen haben ihr ihre Eltern mitgegeben. Anke traut Gott zu, dass er ihr hilft, jeden Morgen neu.

Anke und Anne stehen wie die Frauen unter dem Kreuz Jesu. Mit ihnen steht Zeru, der Familienvater, der mit seiner Frau aus Eritrea geflohen ist. Mehr als einmal hat er dem Tod ins Auge gesehen. Zuletzt war das auf der Flucht übers Mittelmeer, als plötzlich das Boot kaputtging. Der Glaube an Gott hat Zeru davor bewahrt, kurz vor dem Ziel die Hoffnung aufzugeben. Als Zeru und alle anderen sicher an Land sind, sieht er ein Feuer und Menschen, die sich daran wärmen.

Dieses Feuer am Ufer ist für mich der Schein vom Ostermorgen. In tiefster Finsternis, in einem Moment, wo ich den Glauben an Gott verliere, zeigt sich mir Gott selbst. Wie der helle Schein eines Feuers. Wenn wir vom Leiden am Karfreitag erzählen ohne die Aussicht auf Auferstehung – dann wäre der Tod Jesu nur traurig und sinnlos. Und Menschen, die heute leiden, würden verzweifeln, weil es keine Hoffnung auf Leben gibt.

Von Zeru lerne ich: Es ist gut, trotz Erschöpfung und Müdigkeit die letzte Kraft zusammen zu nehmen. Es ist gut, im Leiden Ausschau nach wärmendem Feuer zu halten. Nach Menschen, die mit mir unterwegs sind, die mich unterstützen und die mir zur Seite stehen. Mitten in den Momenten des Todes und des Leides, da bin ich Gott ganz nahe, da scheint das Feuer seiner Liebe auf. Ich glaube: Dort am Feuer sitzt Jesus selbst und teilt das Brot des Lebens mit mir. Es schmeckt nach Liebe und Hoffnung.

Und der Friede Gottes der höher ist als unsere Vernunft halte unseren Verstand wach und unsre Hoffnung groß und stärke unsre Liebe. Amen.

 

Mitwirkende:
Liturgie + Predigt:                            Pfarrerin Dr. Annegreth Schilling
Moderation und Lesungen:              hr4-Moderator Hermann Hillebrand
Liturgische Mitwirkung:                 Gabi Ermentraut und Marion Peter

Musik: 
Viola I: Simon Heim, Viola II: Heidrun Becker, Cello: Julia Heidemann, Kontrabass: Takao Sakai, Oboe: Suna Park, Harfe: Lucianne Brady, Orgel: Jens Amend, Kammerchor Nied, Solistin: Stella Dörner
Musikalische Leitung: Kantor Lukas Ruckelshausen

Kirchliche Leitung:
Pfarrerin Heidrun Dörken, Theologische Beratung: Prof. Dr. Hans Erich Thomé

Musik und Lieder:
Felix Mendelssohn-Bartholdy, Präludium C-Dur
EG 396, Jesu, meine Freude, Strophen 1-3
EG 97, Holz auf Jesu Schulter, Strophen 1, 4, 6
Georg Friedrich Händel, Er traute auf Gott (aus: Messias)
Variation zu „O Haupt voll Blut und Wunden“ (Oboe, Harfe und Streicher)
Variation zu „O Haupt voll Blut und Wunden“ von J. G. Rheinberger (Orgel)
Variation zu „Von guten Mächten“ nach EG 6+ (Oboe, Harfe und Streicher)
EG + 6 Von guten Mächten
Antonio Lotti, Agnus Dei (Chor und Streicher)
EG 171, Bewahre uns, Gott, behüte uns, Gott, Strophen 1, 2, 4
Johann Sebastian Bach, BWV 546, Präludium C Moll

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