Ort des Wandels
„Papa, das ist ja gar keine richtige Kirche.“ Das hat mein zwölfjähriger Sohn zu mir gesagt, als wir bei einem Frankfurt-Besuch gemeinsam die Paulskirche besichtigt haben. Zwar gibt es in der Paulskirche eine Orgel. Aber wo waren Altar, Kanzel, Taufbecken? Das hat ihn irritiert. Ich habe mich mit ihm hingesetzt und erklärt, was die Paulskirche ist. Dass sie früher tatsächlich mal eine richtige Kirche gewesen ist. Dass sie dann im Krieg zerstört und als Veranstaltungsraum wiederaufgebaut wurde.
Ein anderes Deutschland
Dass hier vor ziemlich langer Zeit zum ersten Mal der Vorläufer des Bundestags getagt hat – nur hieß der damals anders. Ich habe ihm gesagt: Hier haben sich Menschen getroffen, die ein anderes Deutschland wollten. Die Deutschland verändern wollten. Nämlich zu einem Staat, in dem man offen und frei sagen kann, was man denkt. Diesen Menschen verdankt er, dass Deutschland heute so ein Staat ist.
„Fest der Demokratie“
An dieses Gespräch erinnere ich mich heute. Denn in Frankfurt findet seit gestern ein viertägiges Paulskirchenfest statt. „Fest der Demokratie“ haben es die Veranstalter genannt. Denn vor 175 Jahren kam in dieser Kirche erstmals die Deutsche Nationalversammlung zusammen – das erste gesamtdeutsche Parlament. Das wird gefeiert: mit einem Bühnenprogramm, Vorträgen, Ausstellungen, Konzerten und besonderen Stadtführungen.
Eine Institution mit wenig Mitspracherecht
Ich finde es ja schon irgendwie bedeutsam: Das erste demokratisch gewählte Parlament in Deutschland hat in einer Kirche getagt. Klar, das waren damals einfach die Umstände. Denn die evangelische Paulskirche war 1848 Frankfurts größter und modernster Saal. Trotzdem: Demokratie wird ja nun nicht unbedingt mit Kirche in Verbindung gebracht – vor allem nicht mit der katholischen. Gerade sie wird doch vor allem als hierarchische Institution gesehen und erlebt. Als Institution, in der es nicht viel Mitspracherechte gibt. In der Menschen gesagt wird, wie sie zu glauben und zu leben haben.
Vieles in Bewegung
Ich erlebe: Da ist gerade in der katholischen Kirche in Deutschland derzeit Vieles in Bewegung. Christinnen und Christen sind nicht mehr bereit, Dinge widerspruchslos hinzunehmen. Sei es die Rolle der Frau in der Kirche, sei es die Frage nach der Verteilung von Macht, seien es Fragen der Sexualität und Lebensführung. Und über diese Fragen hat man sich beim Synodalen Weg auseinandergesetzt. Getagt hat man in Frankfurt, nicht weit weg von der Paulskirche. Das finde ich schon bemerkenswert. Denn für mich steht die Paulskirche für Veränderung, für Gerechtigkeit, Frieden und Freiheit, Teilhabe der Menschen. Und ich hoffe und bete, dass dies auch weiterhin auf die katholische Kirche ausstrahlt.