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"Man wird doch noch fragen dürfen"
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"Man wird doch noch fragen dürfen"

Dr. Matthias Viertel
Ein Beitrag von Dr. Matthias Viertel, Evangelischer Pfarrer, Kassel
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Moderation: Der Ministerpräsident von China, Li Qiang, war diese Woche zu Besuch in Berlin. Kein einfacher Besuch. Denn was ist China für Deutschland? Handelspartner, Wettbewerber, Rivale? Das hätten viele gerne gefragt. Konnten sie aber nicht. Denn bei der Pressekonferenz von Bundeskanzler Scholz und Ministerpräsident Li waren keine Fragen zugelassen. Aber Fragen stellen gehört nun mal zur Demokratie. Die Freiheit zu fragen braucht es nicht nur in der Politik, meint Pfarrer Matthias Viertel von der evangelischen Kirche im hr1 Zuspruch.

Die Situation war schon merkwürdig: Da sitzt ein junger Mensch im Tempel und stellt den Priestern Fragen, eine um die andere. Und die Gelehrten staunen über seinen Verstand. Von Jesus ist die Szene überliefert. (Lukas 2, 46)

Das Buch der Fragen

Spätestens seitdem gehört das Fragen, das Nachfragen, ja das Hinterfragen zum christlichen Glauben. Theologen haben sogar berechnet, dass es in der Bibel über 3.000 Fragen gibt, solche, die den Glauben betreffen, aber auch Alltags- und Lebensfragen. Es wäre deshalb nicht falsch, die Bibel als Buch der Fragen zu bezeichnen.

Die Erzählung vom Auftritt Jesu im Tempel zeigt, wie das geht: Der zwölfjährige Jesus hört den Priestern zu und fragt zurück. Es entstehen Gespräche, in denen sie gemeinsam nach Antworten suchen. Niemand kommt da auf die Idee, Fragen zu verbieten, auch wenn einige davon den Priestern möglicherweise unbequem waren.

Fragen verboten, nur artiger Applaus

Genau das Gegenteil war auf der Pressekonferenz zu erleben, die Kanzler Scholz und der chinesische Ministerpräsident Li am Dienstag in Berlin gegeben haben. Eine Pressekonferenz, bei der keine Fragen von Journalisten zugelassen waren. Stattdessen durften die Anwesenden nur zuhören. Die chinesischen Delegierten haben artig applaudiert.

Dabei ist so vieles fraglich zwischen den beiden Ländern: Wie geht China mit Minderheiten um? Werden die Menschenrechte beachtet? Funktioniert die wirtschaftliche Zusammenarbeit auf Augenhöhe? Und so weiter. Aber wie gesagt, es gab keine Fragen und dann natürlich auch keine Antworten.

Geben wir zu schnell unsere Werte auf?

Die Kritik daran ist verständlich: Lassen wir uns den autoritären Stil der chinesischen Politik aufzwingen? Geben wir zu schnell unsere Werte auf, nur um unsere wirtschaftlichen Beziehungen nicht zu gefährden?

Die oft so populistisch klingende Floskel "Man wird doch noch fragen dürfen" bekommt hier eine neue Bedeutung und eine brisante Aktualität: Fragen sind Ausdruck der Demokratie, sie sind aber auch Rückgrat des christlichen Glaubens. Das Fragen darf nie verboten werden.

 

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