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"Das mache ich mit links!"
GettyImages/Rupam Mandal

"Das mache ich mit links!"

Stefan Claaß
Ein Beitrag von Stefan Claaß, Evangelischer Pfarrer und Professor, Theologisches Seminar Herborn
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Ein Thema begegnet mir zurzeit im Freundeskreis und in der Nachbarschaft immer wieder: Erschöpfung. Oder positiv gewendet: Sehnsucht nach Energie. Ich frage mich, ob und wie die Ostertage helfen, daran etwas zu ändern. Es gibt ja verschiedene Arten, aufzutanken und neue Kraft zu schöpfen. Die einen suchen Ruhe, zünden sich eine Kerze an und halten Füße und Seele still. Die anderen stürzen sich in Aktivitäten oder powern sich sportlich aus.

Es gibt verschiedene Möglichkeiten Kraft zu schöpfen

Kommt neue Kraft aus Dingen, die ich tue? Oder eher, indem ich alles lasse? Beides kann helfen. Und noch eine dritte Möglichkeit: Ich schöpfe Kraft aus Geschichten, in die ich mich hineinversetzen kann. Ich möchte Sie heute mitnehmen in eine solche Geschichte, die unmittelbar nach dem Original-Osterfest vor 2000 Jahren spielt. Sie ist nicht so bekannt wie manche andere. Aber sie passt für mich genau auf den Ostermontag. Das Fest liegt hinter uns. Für alle, die keinen Urlaub haben, beginnt morgen wieder der Alltag. Wie geht´s weiter? So wie vorher? Oder gibt es einen neuen, einen anderen Anfang?

"Ich gehe fischen"

Meine Geschichte aus der Bibel spielt am frühen Morgen vor Sonnenaufgang (Johannes 21,1-14). Sie fängt völlig unspektakulär an. „Ich gehe fischen“, sagt einer. Es ist Petrus, einer der engsten Freunde von Jesus. „Wir kommen mit dir“, sagen die anderen. Mit Petrus sind noch Thomas und fünf andere aus der Runde am Seeufer.

Der Tod Jesu hat sie alle mitgenommen

Sie sehen fertig aus, und sie sind es auch. Körperlich und seelisch. Erschöpft. Die Ereignisse in Jerusalem haben sie ausgelaugt. Die Stadt voller Menschen, der Prozess gegen Jesus, seine Hinrichtung am Kreuz. Sie haben das alles mitbekommen, und es hat sie mitgenommen. Dann haben einige erzählt, dass Jesus ihnen begegnet ist. Jesus soll vom Tod auferstanden sein. Jesus lebt. Anders als früher, aber doch erkennbar. Was sollen sie damit anfangen? Sie sind offenbar zu müde, um sich darum zu kümmern.

Die Jünger tun das, was ihnen vertraut ist

Die Freunde überlegen, was jetzt dran ist. Und sie machen das, was sie kennen und können. Komm, wir gehen fischen. Gute Idee. Das war ihr Beruf, bevor sie mit Jesus losgezogen sind. Das ist ihnen vertraut, da sind sie Experten. Ruhe finden auf dem See. Auftanken. Fische fangen, ein kleines, aber vertrautes Erfolgserlebnis. Sie fahren raus, machen alles wie immer. Nur Erfolg haben sie nicht. Das Netz bleibt leer.

Die Rutine versagt

Eine Erfahrung, die ich auch schon gemacht habe. Routine versagt. Im Büro oder in der Schule oder wo auch immer. Es wäre schön, wenn die Enttäuschung nicht den ganzen Tag prägt. Bei Petrus, Thomas und den anderen kommt etwas anderes nach. Denn die Geschichte geht natürlich weiter.

Am ersten Morgen nach Ostern sind Petrus, Thomas und fünf andere Freunde von Jesus auf dem See Genezareth unterwegs. Hinter ihnen liegen extrem anstrengende Tage. Jetzt wollen sie neue Kraft im Alltag schöpfen. Sie tun, was früher ihr Beruf war, bevor sie mit Jesus durchs Land gezogen sind. Sie gehen fischen. Aber nicht eine Seesardine geht diesen Profis ins Netz.

"Werft das Netz zur rechten Seite aus"

Die Bibel erzählt: Auf einmal steht ein Mann am Ufer. Er ruft ihnen auf dem See zu: „Nichts gefangen? Probiert es nochmal. Aber genau andersherum: Werft das Netz zur rechten Seite aus!“ Das Erstaunen ist groß, als der Versuch klappt. Das Netz ist wenig später voller Fische.

Die Fischer müssen nicht nur umgreifen, sondern auch umdenken

Und hier liegt die Pointe dieser Szene. Es geht nicht nur um ein erstaunliches Erlebnis vor 2000 Jahren. Sondern dieser Zuruf bietet einen anderen Blickwinkel. Ich stelle mir die Szene vor wie ein Kino im Kopf. Die Männer stehen in ihrem Boot und werfen die Netze aus. Wie bisher immer üblich nach links, denn die rechte Hand ist die Wurfhand. Der Mann am Ufer sagt aber ausdrücklich: „Werft die Netze doch mal nach rechts aus!“ Dafür müssen die Männer nicht nur umgreifen, sondern auch umdenken. Das Gleiche tun, was sie kennen, aber eben andersherum. Gar nicht einfach.

Dinge anders als üblich tun

Versuchen Sie einmal, die Dinge in Ihrem Alltag anders als üblich zu tun. Mit der anderen Hand die Zahnbürste führen: Sie werden Ihre Zähne anders wahrnehmen. Partner oder Partnerin anders küssen als üblich. Sie werden schon sehen. Und Menschen im Alltag anders begegnen als sonst.

Jesus ist nicht tot

Das scheint nur wie eine Kleinigkeit. Die Folgen auf dem See waren mehr als spürbar. Mit vollem Netz an Land. Da merken die Freunde: Der Mann am Ufer ist kein Unbekannter. Es ist Jesus. Er ist nicht tot. Er ist nicht nur eine Erinnerung in ihrem Leben. Sie hören ihn lebendig und gegenwärtig.

Im Leben Platz für das Staunen lassen

Natürlich sind sie sich zuerst unsicher, was da passiert, wem sie da begegnen. Das würde mir nicht anders gehen. Wer von uns könnte schon mit Sicherheit sagen, welche Idee, welche Eingebung, welche Handlung aus uns selbst und welche vielleicht aus Inspirationen oder aus einem Zuruf Gottes kommen? Ich bin skeptisch, wenn jemand das von sich behauptet. Wer aber in aller Vorsicht das für möglich hält und im eigenen Leben Platz für das Staunen lässt, ist womöglich von Gott berührt worden.

Die alte Routine hat nichts gebracht

Die Jünger auf dem See haben nach Ostern festgestellt, dass ihre alte Routine nichts bringt. Jedenfalls keine Zuversicht, kein Erfolgserlebnis. Ein Mann am Ufer, den sie nicht sofort erkennen, ruft ihnen zu: „Macht das Gleiche doch einmal anders. Werft eure Netze mit links ins Wasser!“ Sie trauen dieser Idee, machen´s mit links. Es ist ungewohnt, es ist neu, sie probieren es aus. Und ihre Netze füllen sich mit Fischen, im übertragenen Sinn mit Hoffnung und neuer Energie. Sie erkennen: Der Mann am Ufer ist der auferstandene Jesus.

Die Ostergeschichte ist auch eine Gegenwartsgeschichte

Was Petrus, Thomas und die anderen erleben, wird seitdem immer wieder an Ostern weitererzählt. Weil es nicht nur eine Damals-Geschichte, sondern eine Gegenwarts-Geschichte ist. Man kann das ausprobieren. Ich habe mir vorgenommen, jetzt nach Ostern anders in meine Routinen zu gehen. Ich wechsele mal die Richtung, ich handhabe Dinge anders als sonst, ich probiere das Leben anders aus.

Am Ende der biblischen Geschichte kommen die Jünger mit ihrem Boot voller Fische zurück ans Ufer. Dort wartet der auferstandene Jesus auf sie am Feuer. Sie essen Brot, sie essen Fisch. Sie finden neu ins Leben und tanken frische Kräfte.

Man muss nicht das Letzte aus sich herausholen

Neben dem Mut zum Ausprobieren ist das meine zweite Pointe in dieser Geschichte. Wenn ich erschöpft und müde bin wie in letzter Zeit und das mit etlichen anderen teile, dann muss ich nicht das Letzte aus mir herausholen. Ich schöpfe aus der Geschichte am See die Zuversicht, dass Gott mir mitten im Alltag manchmal etwas zuruft und zu neuem Verhalten inspiriert.

Die Quelle für neuen Lebensmut kommt von Gott - manchmal jedenfalls

Es entlastet mich kolossal, dass ich die Quelle für neuen Lebensmut nicht in mir finden muss. Gottes Zuruf kommt vielleicht durch andere Menschen zu mir oder durch neue Ideen in meinem Kopf. Leider weiß ich nicht vorher, was davon von Gott kommt und was vielleicht aus meinem Wunschdenken. Das stellt sich – wie bei Petrus, Thomas und den anderen – erst hinterher heraus. Wenn sich die Netze füllen und der Mut steigt, dann hat wohl Gott seine Hand im Spiel gehabt. Heute ist Ostermontag. Ich wünsche Ihnen ab sofort Lust und Mut zum Ausprobieren. Wenn Ihnen nichts Rechtes gelingen will, machen Sie´s mit links.

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