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Deutsche Einheit und der Kampf für die Freiheit
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Deutsche Einheit und der Kampf für die Freiheit

Dr. Susanne Nordhofen
Ein Beitrag von Dr. Susanne Nordhofen, Ehemalige Leiterin eines katholischen Gymnasiums in Königstein/Taunus
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Einigkeit und Recht und Freiheit - das wird am heutigen „Tag der Deutschen Einheit“ vielfach erklingen. Ich kann mich noch an meinen Politikunterricht in der Oberstufe erinnern. Wochenlang haben wir uns mit dem Systemvergleich zwischen der Bundesrepublik und der DDR beschäftigt. Ungläubig staunend haben wir die Unterschiede zur Kenntnis genommen. Wer in der Klasse Verwandte „drüben“ hatte, konnte noch ganz andere, authentische Erfahrungen beisteuern und von Grenzkontrollen, geöffneten Paketen oder Repressalien berichten. Als Schülerinnen haben wir damals nicht im Traum daran gedacht, dass der Eiserne Vorhang einmal fallen würde. Die Wiedervereinigung war ein frommer Wunsch.

Gotteshäuser waren die einzigen Orte, wo frei gesprochen wurde

Und fromm ist es dann bei der Deutschen Einheit ja tatsächlich zugegangen. Ich denke heute besonders an die freiheitlichen Impulse, die von den Friedensgebeten der evangelischen Kirchen in Leipzig und andernorts und von den späteren Montagsdemonstrationen ausgegangen sind. Auf einmal war die Nikolaikirche voll. Gotteshäuser waren die einzigen Orte im Land, wo ein freies Wort gesprochen wurde. Das war für viele Menschen inspirierend. Ohne die Standfestigkeit, Beharrlichkeit und den persönlichen Mut tausender Demonstranten und Aktivistinnen, die sich vom Regime nicht provozieren ließen, wäre die friedliche Revolution wohl nicht möglich gewesen. Auch wenn nicht alles, was zusammengehört, perfekt zusammengewachsen ist: Dieser Kampf für die persönliche und politische Freiheit war einzigartig. Je länger das her ist, umso mehr bewundere ich die Menschen, die damals mit ihrem friedlichen Kampf die Wiedervereinigung zustande brachten, die wir im Politikunterricht ein paar Jahre vorher noch für völlig unmöglich gehalten haben.

Die christlichen Wurzeln von Freiheit und Menschenrechten

Deswegen möchte ich heute auch einmal an die christlichen Wurzeln von Freiheit und Menschenrechten erinnern. Manche würden ja vermutlich bezweifeln, dass das Christentum überhaupt etwas mit Freiheit zu tun hat. Und gerade jetzt erleben wir, wie der Patriarch von Moskau Kirill den Vernichtungskrieg gegen die Ukraine religiös motiviert.

Schon in den Briefen von Paulus stand das Wort „Freiheit“ im Mittelpunkt

Aber immerhin: Der Apostel Paulus hat schon in seinen Briefen an die ersten christlichen Gemeinden das Wort „Freiheit“ in den Mittelpunkt gerückt. Und auch ich bin fest davon überzeugt: Vor Gott sind alle Menschen gleich und frei. Und deswegen sind alle Grenzen der Freiheit, ob sie nun durch politische Unterdrückung oder welche Lebensumstände auch immer, gezogen worden sind, zu bekämpfen. Wenn ich an den Gott der Freiheit glaube, dann gelten für mich keine Unfreiheiten mehr.

Wie effektiv und solidarisch Christinnen und Christen für Freiheit eingetreten sind

Hoffnungsvoll stimmt mich in allen freiheitsfeindlichen Zuständen die Aussage aus dem Galaterbrief des Apostels Paulus: „Zur Freiheit hat uns Christus befreit.“ (Galater 5,1). Deshalb muss ich mich nicht wegducken und passiv alles über mich ergehen lassen. Ganz im Gegenteil. Die friedlichen Aktionen in der Nikolaikirche und an anderen Orten haben mir gezeigt, wie effektiv und solidarisch Christinnen und Christen für Einigkeit und Recht und Freiheit eingetreten sind. Religion war nicht das „Opium des Volkes“, wie das oft behauptet wird.

Nach wie vor ist es nicht selbstverständlich, in Recht und Freiheit zu leben

In immer mehr Ländern gibt es wiederholt brutale Christenverfolgungen. Christinnen und Christen aus den ersten Kirchen des Ostens müssen deswegen aus ihrer Heimat fliehen. Viele Kirchengemeinden und kirchliche Organisationen unterstützen sie und andere Geflohene. Sie begleiten die Menschen bei Behördengängen, auf der Wohnungssuche oder sammeln Hilfsgüter für den alltäglichen Bedarf. Es wird mir gerade heute wieder bewusst, dass es nicht selbstverständlich ist, in Recht und Freiheit zu leben.

Beten für alle, die dafür sorgen, dass wir frei und ungestört leben können

Paulus schreibt in einem Brief: „Vor allem fordere ich zu Bitten und Gebeten, zu Fürbitte und Danksagung auf, und zwar für alle Menschen, für die Herrscher und für alle, die Macht ausüben, damit wir in aller Frömmigkeit und Rechtschaffenheit ungestört und ruhig leben können.“ (1 Tim 2,1).

Dafür würde auch ich auf die Straße gehen. Das alles kommt mir in den Sinn, wenn an diesem Feiertag die Nationalhymne angestimmt wird

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