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Leben teilen
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Leben teilen

Stephanie Rieth
Ein Beitrag von Stephanie Rieth, Bevollmächtigte des Generalvikars und Dezernentin im Bistum Mainz
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Leben teilen, das ist das Motto des 102. Katholikentags, der heute in Stuttgart zu Ende geht. Vier Tage, an denen mehrere 10.000 Christinnen und Christen miteinander ihren Glauben gefeiert haben. Das erste größere Glaubensfest in der Coronapandemie, die noch nicht ganz, aber hoffentlich bald vorbei ist. Mit einem großen gemeinsamen Gottesdienst finden die Tage der Begegnung heute Morgen ihren Abschluss.

Begegnungen an vielen unterschiedlichen Orten

Vielleicht war dieser Katholikentag auch ein Auftakt für wieder mehr Normalität in Glaubensdingen. Das wird man erst im Nachgang erkennen. Wenn ich mich an meine Katholikentagserfahrungen aus früheren Jahren erinnere, dann waren das vor allem gemeinsame Gottesdienste, Konzerte, bei denen man mitsingen konnte, Diskussionsrunden und vor allem Begegnungen an den vielen unterschiedlichen Orten und mit vielen unterschiedlichen Menschen.

Erfahrungen von Gemeinschaft

Ein großes Fest eben, das mich in meinem Glauben bestärkt hat, weil ich erlebt habe: Ich bin nicht allein mit dem, was ich denke und was mir wichtig ist. Jetzt in Stuttgart konnte ich nicht dabei sein. Aber ich wünsch den Teilnehmerinnen und Teilnehmern, dass sie wieder solche Erfahrungen von Gemeinschaft machen konnten.

Schwierige Situtationen daraus entstanden

Leben teilen – das ist manchmal eine Herausforderung und ganz oft auch eine Sehnsucht und irgendwie ambivalent - zumindest mir geht es so. Gerade in den letzten zweieinhalb Jahren hat sich das für mich gezeigt. Leben teilen – das war in der Coronapandemie auf einmal nicht mehr so ganz ungezwungen. Homeoffice, Kita- und Schulschließungen und Ausgangssperren haben uns dazu gezwungen, ganz plötzlich sehr intensiv das Leben zu teilen, in unseren Familien und Wohngemeinschaften. Und manches Mal sind daraus schwierige Situationen erwachsen. Andere wiederum wurden in die Isolation und in die Einsamkeit gezwungen, konnten das Leben mit anderen nicht mehr teilen: Alleinstehende oder alte Menschen in den Pflegeheimen.

Miteinander eine Geschichte schreiben

Aber bei aller Ambivalenz: Ich bin davon überzeugt, dass es zu den Grundbedingungen von gelungenem Menschsein gehört, dass wir das Leben miteinander teilen. Warum? Weil wir erst am anderen zum Mensch werden.

Wir brauchen die Kommunikation miteinander über das, was uns bewegt, wie wir die Welt sehen und deuten, wie wir empfinden, alles das, was uns und unser Leben ausmacht.

Wir werden mit anderen zum Mensch, weil wir gemeinsame Erlebnisse und Erinnerungen schaffen, weil wir miteinander eine Geschichte schreiben.

"Oh Baby, werden wir alt sein"

Julia Engelmann, eine bekannte Poetryslammerin bringt es in einem – wie ich finde – wundervollen Gedicht auf den Punkt, wenn es am Schluss heißt: „Also los, schreiben wir Geschichten, die wir später gern erzählen. Und eines Tages, Baby, werden wir alt sein. Oh Baby, werden wir alt sein und an all die Geschichten denken, die für immer unsere sind.“

Vielleicht ist das auch normal....

Geschichten, die unsere sind – die schreibe ich mit meiner Familie. Mit meinem Mann, den ich jetzt seit 22 Jahren kenne, mit dem ich so manche schwierigen, aber auch viele schöne Momente erlebt habe. Mit ihm teile ich mein Leben, auch wenn ich oft viel zu wenig Zeit habe. Da ist ganz viel Alltag und neben viel zu viel Arbeit oft zu wenig Zeit, Neues zu entdecken und die Geschichten weiterzuschreiben. Vielleicht ist das auch normal nach so vielen gemeinsamen Jahren. Gut, dass er an meiner Seite ist und sein Leben mit mir teilt.

Ein neues Kapitel der Geschichte

Da sind meine Kinder, die groß und eigenständig werden und immer weniger von ihrem Leben mit uns Eltern teilen. Auch das ist wohl normal so. Leben teilen bedeutet offensichtlich auch, immer wieder Abschied zu nehmen oder positiv formuliert, ein neues Kapitel der Geschichte zu schreiben, und in diesem Kapitel dürfen die Protagonisten eine andere Rolle spielen, sich verändern, sich entwickeln.

Eine ganz wertvolle Zeit

Geschichten, die unsere sind, die schreibe ich auch in meiner Arbeit. Ich habe das Glück, in einem ganz wunderbaren Team zu arbeiten, mit Menschen, die an einem gemeinsamen Ziel arbeiten. Gut, wir haben viel Arbeit und verbringen dadurch viel Zeit miteinander und teilen zwangsläufig unser Leben miteinander. Das ist eine ganz wertvolle Zeit für mich, die doch allzu oft für meine Familie fehlt. Leben teilen – das ist auch hier ambivalent.

Das andere Wort heißt "Berufung"

Aber in allem habe ich als Christin die tiefe Überzeugung: Gott schreibt diese Geschichten mit. Er schreibt mir etwas in das Buch meines Lebens hinein – ein anderes Wort dafür ist Berufung.

Das Leben teilen, da passiert vieles ganz nebenbei. So erlebe ich das auch bei der Erziehung unserer Kinder. Sie dürfen an meinem Leben ablesen, wie ich zu entscheidenden Fragen stehe oder wie ich mit Streit und Verletzungen umgehe. Sie dürfen erleben, was es für mich bedeutet, glücklich zu sein, aber auch, wie man nach einer Niederlage wieder aufsteht.

Im Glauben erziehen?

Für mich als Christin bedeutet Leben teilen aber auch, meinen Glauben teilen zu können – eben auch manchmal wie von selbst, nebenbei. In dem ich mein Leben mit anderen teile, teile ich zugleich das, wovon ich überzeugt bin, dem anderen mit. Und ich biete mich als Modell an.

Dabei ist das in Glaubensfragen gar nicht immer so einfach. Wie geht das zum Beispiel – im Glauben erziehen? Als Theologin hat man da durchaus ganz eigene Vorstellungen. Und manchmal komme ich damit in der Familie auch an Grenzen.

Modelle, wie das gehen kann..

Mit meinen Kindern hab ich das immer wieder erlebt. Entlastet hat mich dabei: Die Familie ist ja nicht der einzige Ort, an dem meine Kinder Glauben teilen und erleben. Menschen, die meine Kinder dazu gebracht haben, sich mit dem Glauben auseinanderzusetzen und dran zu bleiben: Das sind zum Beispiel der Gruppenleiter der Messdienerstunde, die Wegbegleiterin bei der Firmung oder der Relilehrer. Während meine Kinder sich von mir eher abgrenzen wollen, erleben sie bei den anderen eben andere Modelle, wie das gehen kann: Gott und ihr modernes Leben zusammenzubringen, den Glauben zu leben in unserer Zeit, mit all den Ansprüchen und Anforderungen.

Es braucht ein ganzes Dorf

Mich lehrt das: Es hängt nicht von mir alleine ab, dass meine Kinder glauben oder zu guten Menschen werden. Glaube ist nicht machbar, auch wenn ich noch so viel davon rede, mich noch so sehr anstrenge. Glauben entsteht, wenn wir das Leben miteinander teilen – in der Familie, in der Kirchengemeinde, in Schule und Vereinen.

Um ein Kind zu erziehen, braucht es ein ganzes Dorf, so heißt es in einem afrikanischen Sprichwort. Und ja, so erlebe ich das auch. Das Leben miteinander teilen, das bedeutet auch, den Kreis nicht zu eng zu ziehen, nicht alles von mir abhängig zu machen und Raum zu lassen für das, was ein anderer schenkt.

Unverhoffte Erfahrungen erleben

Glauben und Leben teilen, das gelingt, wenn ich den Kreis nicht zu eng ziehe - und auch: wenn ich darin Platz lasse für das Unverhoffte, das Geschenkte, das nicht Planbare.

Auch Katholikentage wie jetzt der in Stuttgart, der heute zuende geht: Die haben für mich immer besonders von den unverhofften Begegnungen gelebt. Von den zufälligen wunderbaren Erlebnissen, jenseits der geplanten Programmpunkte.

Solche ganz unverhofften Erfahrungen – die habe ich auch durch meine Kinder erlebt.

Durch sie neues Gottvertrauen gelernt

Dadurch, dass sie ihre Fragen und Freuden mit mir teilen. Mich teilhaben lassen an ihrem Leben. Ich habe durch sie ein ganz neues Gottvertrauen gelernt. Ich habe gelernt, ihnen und Gott die Freiheit zu lassen. Die Freiheit, im Glauben und im Leben ihren ganz bestimmten Weg zu finden.

Und so entstehen neue Lebensgeschichten, neue Kapitel in unserem Buch. Geschichten, die wir schreiben, indem wir das Leben miteinander teilen.

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