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Die Kraft der Stille
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Die Kraft der Stille

Ralf Schweinsberg
Ein Beitrag von Ralf Schweinsberg, Pastor der evangelisch-methodistischen Kirche in Gründau-Rothenbergen
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Eine Woche die Seele baumeln lassen, und das in einem Kloster. Meine Frau sah mich zweifelnd an, als ich ihr das erzählte von dieser Fortbildung meines Arbeitgebers. „Ist das wirklich dein Ernst?“ meinte sie, „du hast doch immer gern viel Trubel um dich.“

Einfach mal etwas Neues ausprobieren

Die hat recht, trotzdem ließ mich die Idee nicht los. Ich spürte: Ich muss mal raus. Einfach mal etwas Neues ausprobieren. Ich war gespannt: Wie fühlt es sich an, dreimal am Tag in der Kirche sitzen und an den Tagzeitgebeten der Mönche teilnehmen. Dazwischen viele kreative Angebote wie Malen, Wandern und Meditation. Dafür ist auch im Alltag eines evangelischen Pastors kaum Platz.

Das Handy ausschalten und die Seele baumeln lassen

Meine Frau fragte: „Wirst du dein Handy zuhause lassen?“ Klar, mit Handy machte das alles keinen Sinn. Mit Handy würde ich täglich meine Mails checken und hätte tausend Sachen im Kopf. Aber eigentlich wollte ich meinen Kopf freibekommen, abschalten und die Seele baumeln lassen. Also beschloss ich: Zumindest wird es ausgeschaltet und am besten bleibt es im Auto liegen.

Einige Wochen später bezog ich ein schönes, schlichtes Zimmer im Klosterhof. Spontan wollte ich meine Frau anrufen, dass ich gut angekommen war. Erst wenige Minuten im Zimmer – schon fehlte mir das Handy. Keine Ahnung, ob ich das wirklich eine Woche aushalten würde.

Wie ein Novize im Kloster

Gott sein Dank war der erste Tag im Kloster bereits angefüllt mit neuen Dingen, die ich lernen sollte. Ich fühlte mich wie ein Novize, der zur Probe im Kloster lebt. Vieles hier war anders als gewohnt: Beim gemeinsamen Essen setzte man sich nicht einfach an seinen Platz. Am ersten Tag stand ich peinlich berührt auf, als ich sah: Alle stellten sich hinter ihren Stuhl, bis das Essen gemeinsam begonnen wurde. Bei den gemeinsamen Gebeten während des Tags ging es nicht gleich los, wenn alle da waren. Erst gab es eine Zeit der Stille, bis eine kleine Glocke erklang und es losging. Mir kam sie endlos vor.

Mehrmals fasste ich mir an diesem Tag an die Tasche, um etwas Interessantes zu fotografieren – aber der Griff zum Handy ging ins Leere. Doch das war gar nicht so schlimm, wie ich dachte. Schon am ersten Tag hatte ich das Gefühl: Diese ungewohnte Umgebung und diese Stille, sie machen etwas mit mir.

MUSIK

"Wir modernen Menschen haben die Stille verloren"

An den ersten Tagen im Kloster habe ich viel über das Leben dort erfahren. Der Abt, der oberste Mönch, nahm sich Zeit, mir und anderen Gästen den Tagesablauf zu erklären, vor allem die vielen Momente der Stille. Er sagte: „Die Stille ist ein Geschenk an uns Menschen. Wir modernen Menschen haben die Stille verloren. Ohne das richtige Maß an Stille halten wir dem Lärm der Welt nicht stand. Ohne innere Stille verlieren wir unsere Kraft.“

Ich fühlte mich ertappt. In stillen Momenten zücke ich oft mein Handy und sehe nach, was es Neues gibt. In stillen Momenten geht mir so vieles im Kopf herum, was ich noch zu erledigen habe. Meine stillen Momente sind meist gar nicht still.

Stille ist weit mehr als Leere

Wozu sollte Stille auch gut sein? Bisher hatte ich Stille empfunden als das Fehlen von etwas anderem: Stille ist, wenn kein Auto die Straße langkommt. Stille ist, wenn kein Radio oder Fernsehen läuft oder einfach niemand da ist, der etwas von mir will. Solche Momente will ich künftig lieber Leere nennen. Hier wurde mir klar: Stille ist weit mehr als Leere.

Stille muss ich aktiv schaffen

Stille muss ich aktiv schaffen. Denn eine Stille, die mir hilft und Kraft gibt, werde ich nur erleben, wenn ich das auch will. Es gibt äußere Einflüsse, die Stille verhindern und mich nicht zur Ruhe kommen lassen. Aber oft bin ich es selbst, der die Stille nicht zulässt.

In den Tagen im Kloster habe ich gelernt: Ich kann mir Freiräume schaffen. Kleine Inseln am Tag, die mir Kraft geben.

Ich habe diese Stille und Ruhe bei den Gebeten in der Klosterkirche gespürt. Der immer gleiche Ablauf hat mich beruhigt. Die schlichten Gebete haben meine Konzentration gebündelt. Ich konnte ganz loslassen. Zeit haben. Ich durfte sitzen und fünf Minuten einfach Schweigen. Niemand hat etwas von mir erwartet.

Die Frage ist nur, wo ich solche Inseln der Stille finden kann, wenn ich wieder in meinem Alltag bin.

MUSIK

Im Alltag ist es oft schwierig Stille zu finden

Inzwischen liegen diese Tage im Kloster hinter mir. Im Alltag ist es viel schwieriger meine Stille zu finden als im Koster. Aber es geht! Ich muss es nur wollen und die Stille suchen.

Denn normalerweise bin ich eher ungeduldig: Ich hasse das Warten, im Bus, im Wartezimmer, sonst wo. Aber in den Klostertagen habe ich gelernt: Stille ist viel mehr ist als Warten. Ich sag’s mal so: Ich muss in die Stille einsteigen. Wie in ein schönes Gefährt kann ich in die Stille bewusst einsteigen und mich von ihr weitertragen lassen. Und dann erlebe ich auf einmal: Solche Stille bringt mich an einem neuen Ort.

Weniger Worte und dafür mehr Stille sind besser beim beten

Auch beim Beten. Früher dachte ich, gute Gebete brauchen wohlgewählte Worte. Das kann auch sehr anstrengend sein. Heute weiß ich: Weniger Worte und dafür mehr Stille sind besser. Der Philosoph Sören Kierkegaard hat einmal gesagt: „Beten heißt nicht, sich selbst reden hören. Beten heißt: still werden und still sein und warten, bis der Betende Gott hört.“ Das macht mich frei, wenn ich vor Gott nicht viele Worte machen muss. Ich kann still werden und darauf warten, was Gott mir sagen will.

Stille muss man wollen

Ich habe gelernt. Ich muss die Stille wollen. Ich kann Stille suchen. Dazu gehört für mich ein passender Ort. Mein Schreibtisch ist kein guter Ort dafür. Da liegen all die Dinge, die etwas von mir wollen. Für mich ist ein Sessel zu einem guten Ort für die Stille geworden. Er steht in einem anderen Zimmer und erlaubt mir, einen Blick durchs Fenster zu werfen. Manchmal gehe ich auch einfach raus auf die Felder – auch dabei kann ich innere Stille finden.

Für Stille muss man den Kopf frei machen

Noch ein Hilfsmittel für die Stille habe ich aus dem Kloster mitgebracht: Einen Zettel und einen Stift. Denn wenn ich versuchte, still zu werden, fielen mir unglaublich viele Dinge ein und ich hatte Angst, sie zu vergessen. Darum nahm ich mir einen Zettel und schrieb all die Dinge auf. Ich dachte: Alles was ich auf diesem Zettel festhalte, kann ich in meinem Kopf streichen. So wird mein Kopf immer freier.

Anfangs brauchte ich dafür viel Zeit. Hatte ich mir vorgenommen, 10 Minuten Stille zu haben, waren gefühlt 9 Minuten damit gefüllt, Gedanken zu ordnen. Ein Mönch, den ich darauf ansprach, lächelte nur und meinte, dass ginge allen so. Aber es sei doch gar nicht schlecht, wenn man wichtige Dinge sammeln würde. Ich würde schon merken: Mit der Zeit wird man auch dabei entspannter. Dann muss man nicht mehr alles aufschreiben. Das stimmte: Nach und nach habe ich tatsächlich die Angst verloren, dass ich in diesen Minuten der Stille all die wichtigen Dinge vergessen könnte.

Beides gehört zum Leben: Hektik und Stille

Schon während meiner Tage im Kloster habe ich gelernt, dass Stille etwas mit mir macht. Das war an einem Nachmittag am Klosterteich. Ich schaute auf das Wasser und freute mich daran, wie sich darin die Wolken spiegelten. Plötzlich kam Wind auf. Das Wasser kräuselte sich. Sofort verschwanden die gespiegelten Wolken. Ich dachte: Mein Leben kommt mir vor wie dieser See. Mal ruhig, mal bewegt. Manchmal wird es hektisch oder gar stürmisch, dann ist das Wasser in Bewegung. Und das mag ich. Aber manchmal tut es gut, wenn wieder Ruhe einkehrt. Und Stille. Dann können sich die Wolken wieder im Wasser spiegeln und ich kann nach ihnen schauen. Beides gehört zu meinem Leben: Sturm und Stille. Eine Stille, in der ich den Himmel wieder sehen kann.

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