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Gesucht: „Prophet“ mit Herz und Verstand!
Foto: Stefan Herok / Jeremia in der Sixtina

Gesucht: „Prophet“ mit Herz und Verstand!

Stefan Herok
Ein Beitrag von Stefan Herok, katholischer Pastoralreferent i.R. in der Pfarrei St. Bonifatius, Wiesbaden
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Guten Morgen und einen schönen Sonntag!

In den katholischen Gottesdiensten geht es heute in verschiedenen Perspektiven um das Thema „Propheten“. Und es wird dabei einer der berühmtesten und für mich auch schönsten Bibeltexte vorgetragen. Ich verrate noch nicht welcher…

Ich habe große Sympathie für alles Prophetische und finde es äußerst wichtig – auch für moderne demokratische Gesellschaften. Darum ist es auch hier mein Thema: Propheten gesucht – mit Herz und Verstand!

Der Begriff „Prophet“ stammt zwar aus religiösen Zusammenhängen, hat sich aber – so meine Wahrnehmung – durchaus in unserer religionsfernen Alltagssprache eingebürgert. Eine „prophetische Stimme“, damit meint man heute ganz allgemein eine kritisch-mahnende Persönlichkeit. Jemand, der oder die auf Missstände aufmerksam macht. Warnungen für die Zukunft ausspricht. Vielleicht auch Vorschläge macht, wie man die jeweiligen Probleme lösen könnte.

Propheten: Gesandte Gottes

Ursprünglich versuchten sich Prophetinnen und Propheten mit ihrer Botschaft als Gesandte Gottes und als Stimme des Himmels auszuweisen. Das gibt es heute wohl kaum noch.

Persönlichkeiten allerdings, die für mich in ihrem Auftreten „prophetischen Charakter“ haben, auch wenn sie ihn nicht ausdrücklich für sich in Anspruch nehmen, da sehe ich schon einige. Auf sie komme ich später zurück.

An die Stelle des göttlichen Auftrags von früher sind heute Sachverstand und Expertise getreten. Die Propheten früher Zeiten wurden – zumindest der Überlieferung nach – mit übernatürlichen Zeichen ausgestattet, um ihre Glaubwürdigkeit unter Beweis zu stellen.

Leidenschaft und Durchsetzungskraft

In Ermangelung solcher Wunderkräfte brauchen Prophetinnen und Propheten heute den persönlichen Zauber einer charismatischen Ausstrahlung. Sie brauchen psychologisches Einfühlungsvermögen, um ihre Zuhörer „abzuholen“ und „mitzunehmen“. Dazu müssen sie gut reden können, wenn nötig, auch mal deutlich bis drastisch. Wichtig ist auch ein gehöriges Maß Leidenschaft für ihr Anliegen. Die verleiht ihnen Durchsetzungskraft; ermöglicht ihnen aber auch Beharrlichkeit und Frustrationsresistenz. Letztere brauchen sie auch, denn prophetische Botschaften provozieren oft heftigen Widerstand, bis hin zu Verleumdung und Verfolgung.

Sie sehen schon, liebe Zuhörende am frühen Sonntagmorgen, die Anforderungen sind beträchtlich, um heute „prophetisch“ wirken zu können. Warum ich solche Leute für uns heute so wichtig finde?

Mit innerem MoralKompass

Wir brauchen heute mehr denn je „SelbstDenker“, Geradeaus- und GeradeherausDenker! Leute, die sich unter Nutzung gegensätzlicher Medien wirklich eine eigene Meinung bilden und nicht nur massenmedial manipulierte Lagerparolen nachbeten. Wir brauchen Leute, die unterschiedliche Meinungen wahrnehmen und aushalten können. Leute, die diese Informationen dann mit kühlem Verstand verarbeiten und mit heißem Herzen bewerten. Damit meine ich, mit einem inneren MoralKompass, der vor allem auf menschliches Mitgefühl und gesellschaftliche Solidarität geeicht ist; der nicht immer nur um die eigenen Interessen kreist und persönliche Nachteile befürchtet. Solche SelbstDenker entwickeln dann „herzgeprüfte Sachkompetenz“. Und mit ihren gleichermaßen sachkompetenten wie empathischen Positionen bringen sie sich dann leidenschaftlich in unsere gesellschaftlichen Problemfelder ein. Ach, wie ich mich nach solcherart prophetischen Stimmen sehne!

Mit einer der – wie ich finde – schönsten Bibelstellen wird heute in den katholischen Kirchen weltweit eines der tiefsten Wesensmerkmale für alle Prophetie illustriert. Es ist die berühmte Passage aus Paulus‘ erstem Korintherbrief über die Liebe! (1 Korinther 13)

"Hätte aber die Liebe nicht..."

Ausführlich wird dort geschildert, wann Liebe wirklich Liebe ist und nicht nur kaschierter Egoismus. Und was diese echte Liebe bewirken kann. Das ist meine Religion, mein Christentum, auch wenn meine Kirche darin zurzeit leider mehr versagt als überzeugt: Es ist erst mal nix besonders Frommes, sondern lang- und sanftmütige, vergebungs- und opferbereite, nichts nachtragende Liebe. Und ohne sie, so sagt es der Bibeltext, ohne sie ist auch die beste Prophetie, die lauteste prophetische Stimme nichts wert: „Und wenn ich prophetisch reden könnte und alle Geheimnisse wüsste und alle Erkenntnis hätte; wenn ich alle Glaubenskraft besäße und damit Berge versetzen könnte, hätte aber die Liebe nicht, wäre ich nichts.“ (1 Korinther 13,2)

Das ist also neben allem, was ich schon aufgezählt habe, der wichtigste Wesenszug für jeden prophetischen Auftritt: Alle Mahnung und Warnung, alle Kritik und alle Veränderungsvorschläge müssen spürbar vom Geist der Liebe getragen sein. Das ist nichts Kitschiges oder Romantisches. Das beginnt mit respektvollem und tolerantem Umgang und geht über die Bewährung des Redens im eigenen Tun bis zur Bereitschaft, selbst Nachteile in Kauf zu nehmen. Darin erweist sich prophetische Rede dann als konstruktiv. Erst die Liebe verleiht der prophetischen Botschaft ihre Plausibilität.

Prophetische Namen

Gottseidank gibt es auch heute noch Menschen mit solcherart prophetischem Charisma – zumindest ansatzweise. Ich finde sie in vielen Bereichen: in der Kunst, der Wissenschaft, den Medien und sogar in der Politik! Leider aber kaum mehr in unseren Kirchen. Gerade in meiner skandalgeschüttelten katholischen kommen an sich gute Initiativen wie der „Synodale Weg“ oder „Maria 2.0“ nicht wirklich gegen die Veränderungsverweigerer an.

Wenn ich hier jetzt tatsächlich ein paar Namen nenne, wer für mich als Persönlichkeitsmerkmal solche prophetischen Momente hat oder hatte, dann ist das natürlich total subjektiv. Andere mögen diese Personen ganz anders einschätzen. Es heißt auch nicht, dass ich diese Personen in allem rundum gut finde. Im Gegenteil, ich toleriere bei ihnen fehlerfreundlich sogar manche Skurrilität oder Übertreibung, weil das zu Charakteren, die bereit sind, sich öffentlich zu engagieren, oft einfach dazu gehört. Ich will mit den Namen vor allem meine Sympathie und meinen Bedarf an prophetischen Stimmen heute illustrieren. In jedem Fall zum Austausch über heutiges Prophetentum anregen. Schreiben Sie mir gerne, wer für Sie prophetische Qualitäten besitzt.

Ich fange mal mit den Künstlern an – auch wenn da ein Teil meiner liebsten „prophetischen Stimmen“ schon nicht mehr lebt: die Kabarettisten Dieter Hildebrand und Hanns Dieter Hüsch. Der Dichter Erich Fried. Der Musiker Daniel Barenboim. Der KonzeptKünstler Ai Weiwei, der MultiKünstler Christoph Schlingensief. Die Autorin Elke Heidenreich. Die Sänger Konstantin Wecker und Herbert Grönemeyer. Der Psychoanalytiker Horst-Eberhard Richter. Der Journalist und Schriftsteller Roger Willemsen. Der Wissenschaftsjournalist Ranga Yogeshwar, der Journalist Heribert Prantl, die Journalistin Christiane Florin. Die Feministin Alice Schwarzer. Die KlimaAktivistin Greta Thunberg. Die TheologInnen Hans Küng, Eugen Drewermann und Margot Käßmann. Aus der Politik die beiden ehemaligen Bundespräsidenten Richard von Weizsäcker und Joachim Gauck, die ehemaligen BundestagspräsidentInnen Rita Süßmuth und Wolfgang Thierse; und quer durch die Parteien: Gerhart Baum, Rudolf Dressler, Karl Lauterbach, Kevin Kühnert, Wolfgang Bosbach, Heiner Geißler und Norbert Blüm in ihren Spätphasen, Gregor Gysi und – obwohl ich ihre jüngste Position zum Impfthema nicht teile – auch Sarah Wagenknecht, Renate Künast, Robert Habeck. Ich könnte die Liste noch fortsetzen…

Prophetisches Potential

Bleiben Sie, liebe Hörende, jetzt bitte nicht an ihrem vielleicht aufkommenden Widerspruch zu einzelnen Namen hängen. Mir geht es darum: Prophet*innen für heute gesucht mit Herz und Verstand! Vielleicht, liebe Mitmenschen am frühen Sonntagmorgen, hätten ja auch Sie selbst dazu das Potential? Wir brauchen Propheten!

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