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Der Mitmensch als Bedrohung
pixabay/Sarah Richter

Der Mitmensch als Bedrohung

Ein Beitrag von Dr. Christine Lungershausen, Evangelische Pfarrerin, Eschborn
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Sprecherin: Ingrid El Sigai

Ich fühle mich so angewiesen. Angewiesen auf rücksichtsvolle Mitmenschen. Mein Lebensgefühl hat sich durch die geballten Krisen der vergangenen Monate deutlich verändert. Ich fühle mich angewiesen darauf, dass die Leute um mich sich impfen lassen, dass sie nicht mutwillig Hotspots bilden.

Dazu kommt: Schon vor Corona war die Klimakrise da. Die zeigt sich jetzt immer schärfer und verstärkt mein Gefühl, angewiesen zu sein: nämlich darauf, dass wir endlich die Herausforderungen der Klimakrise angehen.

Mir ist deutlich geworden, wie verwundbar wir sind

Solange in meiner Welt zumindest alles halbwegs reibungslos lief, war mir dieser enge Zusammenhang mit dem Tun anderer Menschen nicht so bewusst. Da habe ich mich weniger abhängig davon gefühlt, wie andere sich verhalten. Das hat sich geändert. Mir ist deutlich geworden, wie verwundbar wir Menschen sind. Und wie sehr wir durch unser dichtes Zusammenleben aufeinander angewiesen sind.

Nicht nur, was Klima und Corona betrifft. Wenn ich auf dem Fahrrad durch die Innenstadt fahre, spüre ich: Ich bin darauf angewiesen, dass die Menschen, die in Autos sitzen, aufmerksam sind und mich als eine ebenso wichtige Verkehrsteilnehmerin achten.

Aber statt gegenseitiger Achtung kommt es mir immer häufiger so vor, als würden wir uns gegenseitig erziehen wollen. Oder bedrohen. Das verändert was. Sehe ich die anderen als Bedrohung, als die, von denen ich abhänge, bin ich irgendwie innerlich schon auf Konflikt angelegt, auf Krawall gebürstet.

Der Mensch mir gegenüber - zu Wunderbarem bestimmt

Mein christlicher Glaube gibt mir einen anderen Impuls. In der biblischen Geschichte von der Schöpfung der Welt gibt es eine Beschreibung, was wir Menschen sind. Da heißt es: "Gott schuf den Menschen zu seinem Bilde." Ebenbild Gottes. Dazu sind wir geschaffen.

In meinen Augen ändert das was: Ich sehe in dem Menschen mir gegenüber jemanden, der zu Wunderbarem bestimmt ist, jemand, der kreativ und fürsorglich und mitfühlend ist.

Ich hoffe, dass das auf Gegenseitigkeit beruht. Dass auch mein Gegenüber mich sieht als wertvolles Wesen; als Mitmenschen, die wir gemeinsam diese Welt gestalten. Denn davon wird viel abhängen in der nächsten Zeit.

Keine Bedrohung, sondern Mit-Mensch

Mir hilft das, mit dem Gefühl der Angewiesenheit umzugehen. Mein Gegenüber ist genauso angewiesen und genauso wie ich daraufhin geschaffen, Gottes Ebenbild zu sein: fürsorglich und mitfühlend. Keine Bedrohung, sondern mein Mit-Mensch. 

 

 

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