Krabat, Ostern und die Liebe, die stark ist über Entfernung hinweg
Es ist ein ‚lauter Stillstand‘, den wir alle gerade durchleben. Wir haben unsere direkten Sozialkontakte auf ein Minimum heruntergefahren. Andere Kontakte sind bei vielen enorm gestiegen: Anrufe, Kurznachrichten, Telefon- und Videokonferenzen, Corona-Witze und kleine Filme, die die Runde machen. Gut so. Das hilft, um die Extremsituation zu bewältigen.
Zu einem Lieblingsbuch greifen, um auf andere Gedanken zu kommen
Manchmal kehrt bei mir zu Hause tatsächlich für ein, zwei Stunden Ruhe ein. Ich greife dann zu einem Buch, um auf andere Gedanken zu kommen. Eines davon ist „Krabat“ von Otfried Preußler. Das hat mich als Jugendlicher in seinen Bann gezogen, und ich lese es in den Tagen des notwendigen Zuhause-Bleibens mit neuen Augen.
Krabats Traum
Krabat ist ein vierzehnjähriger Waisenjunge. Er zieht mit zwei anderen Jungs als Sternsinger von Dorf zu Dorf. Die drei ersingen sich etwas zu essen und ein Dach über dem Kopf für die Nacht. Im Schlaf träumt Krabat immer wieder denselben Traum. Er sieht eine Mühle und einen Müllermeister, der ihn ruft: „Krabat, komm in die Mühle im Koselbruch!“ Der Traum ist so eindringlich, dass Krabat ganz früh an einem Morgen seine beiden anderen Sternsinger schlafend zurücklässt und zu der Mühle aufbricht.
Im Bann des schwarzen Zaubermeisters
Er findet sie, und es ist alles so, wie er es im Traum gesehen hat. Der Müllermeister fragt ihn: „Willst du bei mir nur das Müllern lernen – oder das andere auch?“ Krabat antwortet: „Das andere auch.“ Was das andere ist, merkt er erst mit der Zeit. Der Müller ist ein schwarzer Zaubermeister. Zusammen mit den anderen Lehrlingen hat sich Krabat ihm auf Leben und Tod verschrieben. Denn jedes Jahr zwischen Weihnachten und Neujahr stirbt einer der Müllerburschen – als Opfer für den Zaubermeister.
Diesen tödlichen Teufelskreislauf durchbricht Krabat in einer Osternacht. Zu den Regeln der schwarzen Mühle gehört, dass die Müllerburschen in der Osternacht jeweils zu zweit an einer Stelle wachen müssen, an der ein Mensch gewaltsam zu Tode gekommen ist. Die Müllerlehrlinge sollen dort ein Feuer am Brennen halten die ganze Nacht.
Die Osterbotschaft weckt Krabat auf
Um Mitternacht reißen die Kirchenglocken Krabat heraus. Ihr Geläut erinnert ihn daran: Es ist Ostern. Aus dem Tal hört er die Mädchen das Osterlob anstimmen: „Erstanden ist der Heilig Christ!“ Die Kantorka darf vorsingen, das ist die junge Frau mit der schönsten Stimme. Und nun sind es ihre Stimme und diese Botschaft, die Krabat in ihren Bann ziehen: Christ ist erstanden! Der Tod ist tot. Das Leben lebt. Im Morgengrauen müssen sich die Müllerlehrlinge mit einer Kohle aus dem Feuer gegenseitig einen Drudenfuß auf die Stirn malen. Das ist ein sternförmiges Zeichen. Ohne es zu wissen, erneuern sie damit den Bann, unter dem sie stehen.
Das Osterwasser hilft gegen den Fluch
In den beiden folgenden Jahren hört Krabat wieder die Kantorka in der Osternacht. Mithilfe seiner schwarzen Kunst nimmt er über die Entfernung hinweg Verbindung mit ihr auf. Er spricht zu ihr im Traum. Er sieht telepathisch ihr Gesicht im Schein der Osterkerze. Und er trifft sie an einem Ostermorgen. Sie hat gerade das Osterwasser aus einer Quelle geschöpft. Mit dem Wasser wischt die Kantorka Krabat den Drudenfuß von der Stirn. Das Fluch-Mal, das ihn verdammt, ist weg.
Die Liebe besiegt den bösen Zauber
Die Liebe der beiden ist schließlich stärker als alle bösen Kräfte des Müllermeisters. Am Ende stirbt der schwarze Meister – und die Müllerlehrlinge sind frei. Der Teufel ist besiegt. Der Tod ist tot. Das Leben lebt.
Liebe ist stark, auch über Entfernung hinweg. So lese ich „Krabat“. Für mich ist das in diesem Jahr eine besondere Osterbotschaft.