Dankbar sein
Eine der afrikanischen Sprachen übersetzt das deutsche Wort „Danken“ mit „Rückwärtsschauen“. Diese verblüffende Übersetzung verweist auf den Weg zur Dankbarkeit. Dass ich denken kann, ist kein einklagbares Grundrecht. Es ist nicht einmal erworben, sondern geschenkt. Mein Wissen, mein Geschmack, dass ich Lesen und Schreiben, mit dem Computer umgehen und Sätze formulieren kann - das lehrten mich andere in mühsamen Schritten. Ich verdanke mich und alles, was ich kann und habe, zunächst einmal anderen Menschen. Als Christ spreche ich in diesem Zusammenhang von Gnade. Denn auch meine Eltern, Großeltern und Lehrer haben ihre Gaben nicht selbst geschaffen. Sie erhielten sie als Geschenk und konnten damit teilhaben an Gottes Geist und Schöpferkraft.
Nicht ganz zu Unrecht wird heute beklagt, die Menschen seien, was das Danken angeht, vergesslich geworden: Sie seien heute weniger dankbar als früher. Woran dies liegen mag? Gewiss, früher waren die Menschen sehr viel mehr auf Gnade und Barmherzigkeit angewiesen. Ob sie ihnen gewährt wurde, hing oft von der Willkür der Besitzenden und Mächtigen ab. An die Stelle der Willkür ist inzwischen weitgehend die Gerechtigkeit getreten. Sie schreibt jedem Einzelnen gewisse Grundrechte zu, die sogar einklagbar sind. Von daher ist das Feld, in dem sich Dankbarkeit äußern kann, durchaus eingeschränkt. Vielleicht sind die Menschen in dieser Hinsicht auch einfach nur gedankenloser. Ich vermute, der tiefere Grund, dass Menschen heute weniger dankbar erscheinen, liegt darin, dass sie ein Geschenk oder eine Gefälligkeit nicht mehr bedenkenlos annehmen können. Ja, mir jedenfalls fällt es oft schwer, Geschenke und Gefälligkeiten ohne Vorbehalte zu akzeptieren. Vielleicht, weil ich mich sozusagen „freikaufen“ möchte von der „Pflicht der Dankbarkeit“. Die kann nämlich durchaus als eine Art Demutsgebärde angesehen werden. Vielleicht liegt es auch daran, dass ich mir am liebsten alles selbst verdanken möchte. Dabei werden auch mir die schönsten Dinge des Lebens wie Liebe, Zuneigung, Vertrauen, Freundschaft geschenkt.
Von Meister Eckhardt, einem Mystiker des 13. Jahrhunderts, stammt die Auffassung: „Wenn das einzige Gebet, das du je in deinem Leben sprichst, ‚danke’ heißt, dann ist es genug.“ Ob Meister Eckhardt, dessen Rechtgläubigkeit nicht immer unumstritten war, mit dieser doch sehr nach Minimalismus klingenden Ansicht vor gestrengen Glaubenswächtern bestehen könnte, bezweifle ich. Meister Eckhardts Aussage macht mich aufmerksam, heute das kleine Wörtchen „Danke-schön“ so zu sagen, dass man mir auch anmerkt: Der denkt darüber nach, was ihm unversehens widerfahren ist. Denn Danken besteht vor allem aus dem intensiven Denken, und Gedankenlosigkeit bedeutet dann bereits Undank.