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Gründonnerstag - Kann ich mir selber trauen?
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Gründonnerstag - Kann ich mir selber trauen?

Anne-Katrin Helms
Ein Beitrag von Anne-Katrin Helms, Evangelische Pfarrerin, Erlösergemeinde Frankfurt-Oberrad
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Heute, am Gründonnerstag, erinnern sich Christinnnen und Christen daran, wie Jesus mit seinen Jüngern das Passahfest in Jerusalem gefeiert hat. Sie saßen alle zusammen in einem Raum und haben das Passahmahl gehalten. Dieses Fest wird zum letzten Abendmahl. Jesus segnet das Brot und verteilt es. Er segnet den Kelch mit Wein und gibt ihn an seine Jünger. Und dann sagt er: Einer von euch wird mich noch heute Nacht verraten.

Ich stelle mir vor, wie die zwölf Jünger um den Tisch sitzen. Sie schauen Jesus entsetzt an. Sie fragen einzeln: „Herr, bin ich’s?“ Ich stelle mir das sehr eindrücklich vor, wenn zwölf Männer dieselbe Frage stellen. Aber Jesus antwortet nicht direkt. Die Feststimmung ist vorüber. Die Jünger sind geschockt. Sie trauen sich selbst nicht. Jeder scheint es für möglich zu halten, dass er Jesus ans Kreuz liefert.

Ich habe immer gedacht: Was ist das denn für ein blamabler Haufen? Da wandern die Jünger drei Jahre mit Jesus durchs Land und bekommen ihn hautnah mit: wie er von Gott erzählt. Wie er auf die Menschen zugeht, die Gottes Liebe brauchen, mit ihnen isst und ihnen Mut zum Leben gibt. Wie er für andere da ist und sich selbst nicht schont. Das alles haben die Jünger mit Jesus erlebt. Das muss doch auf sie abgefärbt haben! Sie müssen doch erfahren haben, wie wichtig das ist: zu denen halten, die Hilfe brauchen. Aber nein – als es darauf ankommt und Jesus mal ihre Unterstützung braucht, werden sie ganz jämmerlich. „Herr, bin ich’s?“ Es kann aber auch etwas anderes bedeuten, dass die Jünger so fragen und dabei Jesus ins Gesicht schauen. Keiner von ihnen sagt: Herr, ich doch nicht! Es ist einer von  den anderen oder die Leute oder die Römer. Die Jünger stellen sich stattdessen selbst in Frage. „Herr, bin ich’s?“ Sie haben in den drei Jahren mit Jesus den Mut bekommen, sich selbst zu hinterfragen. Sie ertragen, dass auch in ihnen nicht nur Gutes steckt. Sie ahnen, wie leicht sie schuldig werden können. „Herr, bin ich’s?“ Wer so fragt, risikiert, dass der andere sagt: „Ja, genau du“ und schonungslos aufgedeckt, was nicht heil ist. Die Jünger von Jesus liefern sich der  Ungewissheit aus, schlecht dazustehen.

Ich glaube, viele schlimmen Sachen in meinem Leben geschehen nicht aus böser Absicht. Eher mangelt es mir an Einsicht in die Dunkelheiten meiner Seele. Es braucht Kraft anzuerkennen, dass auch in mir Böses steckt. Es kostet Überwindung, einzusehen und ohne Wenn und Aber zuzugeben: Ich bin schuld. Ich habe etwas getan, was schlecht war. Oder ich habe mich lieblos verhalten. Wenn über die Bosheiten anderer geredet wird, ertappe ich mich manchmal dabei, dass ich denke: Ich würde so etwas niemals tun. Dabei gibt es dafür keine Sicherheit. Wer weiß, wozu ich im Stande bin?

„Herr, bin ich’s?“, fragt ein Jünger nach dem anderen. Und dann lässt Jesus alle zwölf teilnehmen am Abendmahl. Auch den, der ihn verraten wird. Und das Passahmahl wird zum Mahl der Vergebung und des Angenommenseins am Familientisch Gottes.

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