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The Hooters: "All you Zombies"

The Hooters: "All you Zombies"

Stefan Herok
Ein Beitrag von Stefan Herok, katholischer Pastoralreferent i.R. in der Pfarrei St. Bonifatius, Wiesbaden
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hr1 Sonntagsgedanken-Sommerreihe "Mit Popsongs auf Sinnsuche: Aufbruch"

Guten Morgen! Das Lied, das ich für heute ausgesucht habe, hat auf mehrfache Weise mit „Aufbruch“ zu tun. Das liegt zunächst am Sound. Hören Sie mal, die Fans erkennen den Song nach wenigen Sekunden:

Wenn ich im Radio Musikanfänge, Intros wie dieses höre, dann erinnert sich mein Gefühl oft besser als mein Verstand: „Den Song kennen wir doch“, sagen meine Beine. „Darauf haben wir herrlich getanzt, als wir jünger waren.“ Mein Kopf hat zunächst keine Ahnung von Titel, Text, Gruppe. Aber diese Musik, sie steht emotional total für meinen persönlichen Aufbruch ins Leben, in den frühen 80er Jahren, als ich so Anfang zwanzig war. Auf die Texte haben wir kaum geachtet damals. Ein Song war erstmal nur Musik. Und zwar umso besser, je direkter er „ins Blut“ ging und uns tanzen ließ.

Damals hatte man noch Stress mit altmodischen Eltern. Wir mussten protestieren, revoltieren, provozieren für ein bisschen Freiheit. Heiße Beat-Musik und wilder Tanz waren dabei beides: Provokation der Alten und eroberter Freiraum. Insofern steht diese Musik für den Aufbruch meiner Generation ins eigene, selbstbestimmte Leben…

Ich weiß nicht, ob Sie „The Hooters“ kennen? Die amerikanische Band ist seit den 80ern unterwegs. Tatsächlich fast ununterbrochen bis heute. (Und bis in die letzten Jahre mit wachsendem Erfolg bei uns in Deutschland, gerade auch durch fast jährliche wiederholte Live-Konzerte. Sie präsentieren inzwischen sogar einen Song auf Deutsch über Wein, verschmähte Liebe und den Rhein. de.wikipedia.org/wiki/The_Hooters).„The Hooters“ heißt „die Hupe“: „Platz da, jetzt kommen wir!“ Andere Übersetzung: „die Sirene“! Ja, in der kleinbürgerlich-verstaubten Wirtschaftswunder-Idylle unserer Eltern sollten die „Alarmglocken“ angehen…

Mein heutiges Lied mit dem - inzwischen selbst bisschen verstaubt klingenden - Titel „All you Zombies“ gehört zu ihren größten Hits. (Seit Beginn der Bandgeschichte im Repertoire, haben The Hooters es ständig weiterentwickelt. Das gehörte Intro stammt aus der späteren 6-Minuten-Live-Fassung. Ich beziehe mich hier ansonsten auf die kürzere Radio-Version.)

Da es mir früher vor allem um die Musik ging, war mir gar nicht aufgefallen, dass der Text berühmte Aufbruch-Szenen und Figuren aus der Bibel präsentiert:

Der heilige Moses geht zum Pharao, um Dinge gerade zu rücken. Schaut ihm tief in die Augen: Lass meine Leute ziehen! Dann steigt Moses auf den Berg. Sehr weit oben über den Niederungen des Goldenen Kalbes wird er die Zehn Gebote empfangen, um sie aber gleich darauf zornig in Stücke zu schlagen…

Trotz dieser biblischen Motive ist es keineswegs ein religiöser Song. Darauf haben die Liedschreiber Rob Hyman und Eric Bazilian immer hingewiesen: Sie hätten keinen wirklichen Plan und keine tiefere Absicht mit den biblischen Zitaten gehabt… Sie seien da so hineingeschlittert, weil das eben eine prägende Bildwelt ist, die man irgendwie kennt, aus der Bibel oder aus Filmen. Diese biblischen Figuren und Bilder dann intensiv mit dem Rhythmus des Reggae zu verbinden, das sei schon immer ihr Ding gewesen (https://www.songfacts.com/facts/the-hooters/all-you-zombies).

Außer der Moses-Geschichte zitieren sie noch den Stammvater Noah: Der baut - von allen verlacht - einsam eine Arche, um seine Kinder vor der tödlichen Sintflut (Vierzig Tage und Nächte Regen!) zu retten. Keiner außer ihm hatte es geahnt; keiner hatte die Mahnungen Gottes ernst genommen:

Der Song greift damit auf sehr berühmte biblische „Exodus-“, also Aufbruchs-Geschichten zurück. Aber es geht den Hooters nicht um diese Aufbrüche. Starke Musik und biblische Bilder, eher collageartig und assoziativ montiert als mit klarer Botschaft durchkomponiert. Das gefällt mir, weil der Song so seinen Grundcharakter als offenes Kunstwerk behält! Wir Hörenden müssen seine Botschaft erst entdecken. Wenn also kein religiöser Bibel-Popsong, was dann? Der Refrain liefert mir die Antwort:

Der Schlüssel liegt in den Zombies. Aber wer oder was sind Zombies eigentlich? 1981, als das Lied entstand, erschien in Amerika gerade die zweite Generation von Zombie-Filmen und machte den Horror zum Kult. Als mythologische Gestalten gibt es die Zombies schon seit Jahrhunderten, vor allem in afrikanischen Traditionen. Es sind Totengeister, die körperlich erscheinen. Besser gesagt: Es sind die wahnhaften Erscheinungen, die Menschen bekommen können, wenn sie Angst haben vor dem Tod. Und vor den Toten, dass diese die auf höchst bedrohliche Weise wiederkommen könnten. Seit Anfang des 20. Jahrhunderts geisterten die Zombies zunächst literarisch, später dann filmisch durch Amerika. Ein Zombie ist ein Toter, der nicht ganz tot ist. Ein Untoter. Er hat keine Seele mehr, aber Hunger; vor allem auf Menschenfleisch. Klar ist das gefährlich! In jüngerer Zeit hatten Zombies aber nur noch Auftritte in Filmen und Videospielen einer recht begrenzten Horrorszene. Beim diesjährigen Filmfestival in Cannes allerdings, da feierten sie auf humorvolle Weise fröhliche Urständ‘: Jim Jarmuschs Zombie-Komödie „The Dead Don’t Die“ lief dort als vielbeachteter Eröffnungsfilm. Das verweist tatsächlich auf einen satirischen Gebrauch des Zombie-Motivs.

Und dieser satirische Gebrauch entlarvt für mich persönlich einen viel größeren „Horror“, als ihn so kitsch- wie bluttriefende Gespenster-Monster jemals ausüben können. Noch mal der Refrain:

All ihr Zombies verbergt eure Gesichter! Das heißt so viel wie „Schämt euch!“ Egal, ob kleine Leute auf der Straße oder „große Tiere“ in den höheren Etagen der Gesellschaft. Die Ereignisse werden auf euch zurückfallen! Die Folgen eures Tuns prasseln auf euch nieder!

Im ersten Bibelbild sind es die Brocken der Gebotstafeln. Moses zerschmettert sie, weil er so wütend ist auf seine Leute: Kaum verlässt er sie für einen Moment, schon verehren sie ein „goldenes Kalb“! Im zweiten Bibelbild prasselt die Sintflut auf „all you Zombies“ herab. Gott straft sein Volk, weil es ihn und seine Gebote im Stich gelassen hat! Nur Noah hat‘s kapiert und überlebt.

Zombies, ironisch verstanden, sind Menschen mit Schaden an der Seele, Seelenlose! Seelenkrüppel, die vom Bauch, vom Geld, von der Gier, von Neid und Geiz oder von was auch immer fremdgesteuert sind. Zombies stehen hier als Metapher für ein angepasstes Dahinvegetieren, unterwürfigen und kritiklosen Gehorsam, passiven Konsum und gesellschaftliche Ignoranz, im Gegensatz etwa zu Menschen, die sich rebellisch, autonom oder solidarisch zeigen. (Zombies in der Populärkultur: https://de.wikipedia.org/wiki/Zombie#cite_ref-4. Im Begriff „Kadavergehorsam“ z.B. klingt wie beim Zombie das Motiv „da ist jemand mehr tot als lebendig“ ganz deutlich an.)

Der Song liefert so, verpackt in biblische Bilder, zeitlose und gleichzeitig höchst aktuelle Gesellschaftskritik: Passt auf Leute, egal wo ihr steht, oben oder unten, die Folgen eures Tuns fallen auf euch zurück! Jetzt müssen wir nur noch die Bibel-Bilder mit unserer Wirklichkeit auffüllen und schon sind wir beim blanken Horror von heute: „Goldenes Kalb“ ist für mich z.B. eine Wirtschaftsweise, die nur Profit und Rendite im Blick hat, ohne Skrupel vor Steuervermeidung, Dieselbetrug, Immobilienverteuerung und giftigem Dünger. Eine Wirtschaftsweise, die Banken rettet statt Flüchtlinge. Und bei „Sintflut“, da muss einem heute doch unweigerlich der Klimawandel einfallen!

Der Song „All you Zombies“ wird am Ende – durch eine minimale Textvariante – dann doch auch noch ganz ausdrücklich zum Aufbruch-Song. In den letzten beiden Refrains wird aus dem „hide your faces“„Schämt Euch!“ ein „show your faces“„zeigt euer Gesicht!“ Ich übersetze: „Bietet dem Horror von heute die Stirn!“ All ihr Seelenkrüppel! Klar, das klingt heftig, aber genau das ist gemeint, wenn die Hooters hier von Zombies reden… All ihr Seelenkrüppel brecht auf und verändert die Welt!

The Hooters All you Zombies - Englischer Text

Holy Moses met the Pharaoh
Yeah, he tried to set him straight

Looked him in the eye,
"Let my people go!"

Holy Moses on the mountain
High above the golden calf
Went to get the Ten Commandments
Yeah, he's just gonna break 'em in half!

All you zombies hide your faces,
All you people in the street,
All you sittin' in high places,
The pieces gonna fall on you

No one ever spoke to Noah,
They all laughed at him instead
Workin' on his ark,
Workin' all by himself

Only Noah saw it comin',
Forty days and forty nights,
Took his sons and daughters with him,
Yeah, they were the Israelites!

All you zombies hide your faces,
All you people in the street,
All you sittin' in high places,
The rain's gonna fall on you

Holy Father, what's the matter?
Where have all your children gone?
Sittin' in the dark,
Livin' all by themselves,

(You don't have to hide anymore!)
All you zombies show your faces,
All you people in the street,
All you sittin' in high places,
The pieces gonna fall on you!
All you zombies show your faces,
(I see you out there!)
All you people in the street,
(Let's see you!)
All you sittin in high places,
It's all gonna fall on you!

All ihr Zombies (Seelenkrüppel, Seelenlose) - Übersetzung Stefan Herok

Moses beim Pharao!
Oh ja, er will ihm den Kopf zurechtrücken,
schaut ihn eindringlich an: „Lass meine Leute ziehen!"
Moses auf dem Berg! Das „goldene Kalb“ weit unter sich, steigt er hoch hinauf,
empfängt die 10 Gebote, oh je, um sie gleich darauf zornig in Stücke zu hauen!

Schämt euch, ihr fremdgesteuerten Seelenkrüppel (Zombies)!
Egal, ob kleine Leute von der Straße oder „große Tiere“
die Brocken werden auf euch niederprasseln
(Euer Tun wird auf euch zurückfallen, wird sich rächen!)

Niemand hat jemals mit Noah gesprochen
Ausgelacht haben sie ihn
wie er an seiner Arche baut
ganz allein auf sich gestellt
Nur er hatte es kommen sehen
die 40 Tage und Nächte (Regen)
er rette seine Söhne und Töchter.
Oh ja, aus ihnen wurde das Volk Israel!

Schämt euch, ihr fremdgesteuerten Seelenkrüppel (Zombies)!
Egal, ob kleine Leute von der Straße oder „große Tiere“
der Regen wird auf euch niederprasseln
(Euer Tun wird auf euch zurückfallen, wird sich rächen!)

Himmlischer Vater, was ist nur los!
Wohin haben sich deine Kinder verirrt?
Sie sitzen im Dunkeln,
jeder auf sich allein gestellt.

(Ihr dürft euch nicht mehr verstecken!)
All ihr fremdgesteuerten Seelenkrüppel
zeigt endlich euer Gesicht
Kleine Leute von der Straße oder „große Tiere“
stellt euch den Problemen!
Bietet dem Horror die Stirn
(Es wird alles auf euch zurückfallen, wird sich rächen!)

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