Revolverheld: "Lass uns gehen"
hr1 Sonntagsgedanken-Sommerreihe "Mit Popsongs auf Sinnsuche: Aufbruch"
Hallo, hallo
Bist du auch so gelangweilt,
Genervt und gestresst von der Enge der Stadt
Bist du nicht auch längst schon müde
der Straßen, der Menschen, der Massen
Hast du das nicht satt?
Ja, ich habe das satt. Ich bin genervt von der Enge meines kleinen Büros und den vielen Klebezetteln auf meinem Schreibtisch. Die Aufgaben darauf nerven mich und ich bin im Stress. Denn, ich will in den Urlaub. Ein anstrengendes Schuljahr geht zu Ende. Ich war mit vielen Klassen zu Begegnungstagen unterwegs. Projekte wollen weggeheftet werden und so stapeln sich die Aktenordner wie Hochhäuser auf meinem Tisch. Ich will Ordnung machen und dann klingelt pausenlos das Telefon. Klar, jeder will noch schnell das wichtigste klären. Nur, so ich komme nicht weiter. Ich fühle mich hilflos. Ich will hier raus.
Ich kann nicht mehr atmen
Seh kaum noch den Himmel
Die Hochhäuser haben meine Seele verbaut
Bin immer erreichbar und erreiche doch gar nichts
Ich halte es hier nicht mehr aus
Lass uns hier raus
Hinter Hamburg, Berlin oder Köln
Hört der Regen auf Straßen zu füllen
Hör'n wir endlich mal wieder
Das Meer und die Wellen
Lass und gehen, lass uns gehen, lass uns gehen
Aus dem Alltag ausbrechen, die Arbeit hinter sich lassen und hinein in die Weite der Natur. Dieses Bild, das die Band Revolverheld mit ihrem Song „Lass uns gehen“ hier malt, passt für mich jetzt ausgezeichnet. Ich höre da meine Sehnsucht nach Urlaub. Ich will aufbrechen dem Meer und den Wellen entgegen. Die pulsierende Musik drängt mich fast dazu, sofort die Koffer zu packen. Und dann kann ich all das zurücklassen, was der Song im Folgenden negativ mit einer Stadt verbindet. Ich denke an Neonröhren im Büro oder drängelnde Menschen am Bahnhof.
Die Stadt frisst die Ruhe
Mit flackernden Lichtern
Schluckt Tage und Nächte in sich hinein
Gehetzte Gesichter in der drängelnden Masse
Jeder muss überall schnell sein
Zwischen den Zeilen hab ich gelesen
Dass wir beide weg von hier wollen
Wir stecken hier fest
Verschüttet im Regen
Und träumen vom Sommer in Schweden. Lass uns hier raus.
Ja, lass uns hier raus. Nur, wer ist an dieser Stelle das „uns“. Ich höre da meine Frau Patricia und mich. Wir stecken unter der Woche oft im Regen des Familienalltags fest. Die drei Kindern brauchen Beistand bei Hausaufgaben und Lernen. Das dann, mit Haushalt und Arbeit zu meistern, fordert uns viel ab. Meine Frau und ich reden nicht viel über den Wunsch, aus dem Alltag auszubrechen. Aber ganz klar: Zwischen den Zeilen steht da ein großer Appell zum Aufbruch. Und das Ziel dieses Aufbruchs? Unser Sommer ist nicht in Schweden. Nein, es ist seit vierzehn Jahren ein und derselbe Ort an der deutschen Nordseeküste. Auf der Halbinsel Butjadingen kommen wir zur Ruhe. Der erste Tag dort kennt jedes Jahr den selben Moment: Meine Frau und ich laufen zusammen über die Deichkrone, bleiben oben stehen und blicken schweigend, mit einem kleinen, zufriedenen Lächeln auf das Meer hinaus, egal ob gerade Ebbe oder Flut ist. Eine gelöste Stimmung macht sich bei uns beiden breit. Die geht dann auch auf die Kinder über. Sie brechen auf, laufen zum Wasser oder ins Watt und toben über den Spielplatz am Ufer. Die Urlaubsstimmung hat die gesamte Familie erfasst. Diesen Aufbruchsmoment auf der Deichkrone höre und spüre ich jetzt in mir, wenn im Song von Revolverheld das Schlagzeug kräftig einsetzt und ein Chor mit Kinder- und Erwachsenenstimmen den Refrain wiederholt.
Endlich ist Urlaub. Die Familie bricht in unbeschwerte Tage auf. Ja, da gibt es auch Reibereien und Streit. Aber trotzdem leben diese Tage von einer guten Mischung. Da gibt es Momente der Ruhe und Einsamkeit, wenn ich zum Beispiel abends nochmal eine Radtour mache. Dann stehe ich auf der Mole, genieße den Blick auf das Meer und den Abendhimmel und bete zu Gott. Ich danke ihm für diese Zeit und die schöne Natur. Dann gibt es genauso auch Zeiten der Zweisamkeit mit meiner Frau und Erlebnisse mit der gesamten Familie. Es wechseln sich Radfahren und Strandkorb ab. Und wer das Wetter an der Nordsee kennt, der weiß auch, dass da ein Wechsel von Sonne und Regen dazugehört. Kurzum, diese bunte Mischung macht den Urlaub rund. Es fügen sich Dinge gut zusammen. Dieses Zusammen-gehen, so wie es auch im Lied erklingt, ist schön, wohltuend und befreiend. In diesen Momenten merke ich eine Weite im Herzen. Die ist dann wie ein Stück vom Himmel. In diese Augenblicke passt, was der Psalm 31 aus der Bibel auf den Punkt bringt. „Herr, du stellst meine Füße auf weitem Raum“ (1). Ich bin dann immer ganz erlöst und glücklich. Und das geht dann meist nicht nur mir so, sondern auch meiner Frau und meiner Familie. Gerade diese gemeinsam erlebten Himmelsmomente schenken Kraft und prägen sich ein.
Diese himmlischen Momente klingen im Song im Bild vom Meer und den Wellen an. Mehrfach singt Revolverheld-Frontmann Johannes Strate im Refrain da wörtlich: „Hör’n wir endlich mal wieder das Meer und die Wellen, Lass uns gehen“. Im Bild vom Meer und den Wellen eröffnet sich für mich eine himmlische Weite: Da sehe ich ein ruhiges Meer mit leichten Wellen. Da ist sowohl Bewegung und Leben enthalten, als auch Frieden und Unendlichkeit. Da fügt sich eine gute Mischung von allem zusammen. Klar, dass mich an solch einen Ort eine ungeahnt große Sehnsucht hinzieht. Der Song verleiht dieser Sehnsucht Ausdruck und reißt mich deshalb so mit. Die Musik treibt lebendig voran und so habe ich noch mehr Lust, aufzubrechen und diese himmlischen Momente zu suchen. Da passt auch der Titel des Liedes, der ja auch eine Aufforderung zum Aufbruch ist: „Lass uns gehen“
Lass uns gehen, lass uns gehen, lass uns gehen
Lass uns hier raus
Hinter Hamburg, Berlin oder Köln
Lass uns gehen, lass uns gehen, lass uns gehen
Hör'n wir endlich mal wieder
Das Meer und die Wellen
Lass und gehen, lass uns gehen, lass uns gehen
Der Song ist hier zu Ende, nun würde ein neues Lied starten. Der Alltag kehrt also zurück und schlägt wieder andere Töne an. Schön wäre es natürlich, wenn immer Urlaub bleiben könnte. Einst, so denke ich, wird das im Himmel sein. Da schenkt Gott der Seele eine unendliche Weite und das Leben bei ihm bekommt eine neue lebendige Form. Aber diese Jenseits-Vertröstung hilft im Alltag wenig. Jeder Urlaub geht zu Ende und überhaupt, gibt es gewiss jetzt auch Menschen, die gerade keinen Urlaub haben. Was nun? Ich erlaube mir mit einem Kunstgriff, minimal in den Songtext einzugreifen. Die Änderung ist nicht groß, sie betrifft nur ein Wort im letzten Refrain. Statt dem Wort „HINTER Hamburg, Berlin oder Köln“ setze ich das Wort „IN Hamburg, Berlin oder Köln“. So schlägt das Lied nämlich am Ende eine Perspektive zurück in den Alltag. In den Städten lassen sich nämlich auch das Meer und Wellen hören. Natürlich nicht im wortwörtlichen Sinn. Ich denke da an die kleinen himmlischen Momente. Jene Augenblicke, wo alles zusammen passt und jene Weite im Herzen spürbar wird, die mich mit anderen, mit mir und Gott verbindet.
Bei mir, in meinem kleinen Büro in Fulda, funktioniert das zum Beispiel durch ein Bild an der Wand. Dieses Bild zeigt einen abendlichen Blick von der Mole hinaus auf die Nordsee. Wenn mir der Stress des Büroalltags den Blick verbaut, dann schaue ich voller Sehnsucht auf dieses Bild. Sofort breche ich in Gedanken an die Nordsee auf und stehe auf meiner Mole. Dann fällt mir jene Weite ins Herz, wie ich sie im Urlaub immer geschenkt bekomme. So gestärkt, kann ich wieder neu loslegen. Ein weiterer Ort im Alltag, wo ich diese Weite spüre, ist für mich der Fuldaer Dom. Er steht in jeder Mittagspause nach Essen und Kaffee auf meinem Plan. Die Blickrichtung gen Himmel im Inneren des Gebäudes erinnert mich daran, dass Gott meine Füße auf weiten Raum stellt. Ich bete dann immer einen Moment und mache mir dabei klar, dass Gott mich gleich mit hinaus in meinen Alltag begleitet. Und so herrscht dann auf der Türschwelle hinaus aus dem Dom Aufbruchsstimmung: So wie der Songtitel von Revolverheld sagt: „Lass uns gehen“
1) Psalm 31,9