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hr-fernsehen: Bischofswechsel in Kassel
Bildquelle: medio.tv/Socher

hr-fernsehen: Bischofswechsel in Kassel

Claudia Rudolff
Ein Beitrag von Claudia Rudolff, Rundfunkpfarrerin der Evangelischen Kirche von Kurhessen-Waldeck, Kassel

Evangelischer Festgottesdienst zum Bischofswechsel aus der Martinskirche in Kassel

Am 29. September 2019 fand der Wechsel im Bischofsamt der Evangelischen Kirche von Kurhessen-Waldeck statt: Bischof Prof. Dr. Martin Hein wurde nach 19jähriger Amtszeit verabschiedet und Prof. Dr. Beate Hofmann in ihr Amt eingeführt.

Den Mitschnitt des hr-Fernsehen zum Gottesdienst aus der Evangelischen Kirche St. Martin in Kassel finden sie in der hr-mediathek oder auf youtube.

Mitwirkende im Gottesdienst:

Bischof Dr. Heinrich Bedford-Strohm,  Bischof Dr. Michael Gerber, Fulda  Bischof Prof. Dr. Martin Hein, Bischöfin Prof.  Dr. Beate Hofmann,  Kirchenpräsident Dr. Volker Jung, Darmstadt, Präses Dr. h. c. Annette Kurschus, Bielefeld, Diakonin Kathrin Sundermeier, Bielefeld, Erzbischof Urmas Viilma, Estland, Bischof Job Molwane Ubane, Südafrika, Bischof Ravikumar Niranjan, Indien, Erzpriester Radu Constantin Miron, Köln, Präses Dr. Thomas Dittmann, Pröpstin Sabine Kropf-Brandau, Bad Hersfeld, Landeskirchenrätin Dr. Anne Ruth-Wellert, Pfarrer Dr. Willi Temme, Kassel, Susanne Hensel, Habichtswald, Lara Trümper, Kirchheim.

Musik:

Musikalisch gestaltet wurde der Gottesdienst durch die Kantorei St. Martin, durch das Blechbläserensemble Kassel Brass, durch Werner Kiefer, Saxophon und durch Olaf Pyras (Klangsteine). Verantwortlich für die musikalische Gesamtleitung waren Landeskirchenmusikdirektor Uwe Maibaum und Kirchenmusikdirektor Eckhard Manz.

Kirchliche Leitung:

Die kirchliche Leitung für den Gottesdienst hatte Claudia Rudolff, Rundfunkbeauftragte der EKKW.

 

Predigt von Bischöfin Prof. Dr. Beate Hofmann

Gnade sei mit euch und Friede von dem, der da ist und der da war und der da kommt.

Liebe Gemeinde!

Ich hätte nie gedacht, dass hier, mitten in Deutschland, politisch Engagierte noch einmal Angst um ihr Leben haben müssen. Dass hier, in dieser Kirche, der Sarg von Walter Lübcke stand, der offenbar wegen seiner Überzeugungen hinterrücks erschossen wurde – wer hätte sich das noch vor kurzem vorstellen können? Es erschüttert mich, wie  vieles, was für mich selbstverständlich und gut ist, plötzlich in Zweifel gezogen wird: Demokratie, Europa, freie Meinungsäußerung. Die Welt ist unübersichtlich geworden und vieles verändert sich rasant, nicht nur das Klima.

Und ich frage mich: Was gibt Halt und Sicherheit in solchen Zeiten? Woran orientiere ich mich, wenn alles ins Schwimmen gerät?

Der heutige Predigttext aus dem 1. Petrusbrief gibt darauf eine Antwort. Er richtet sich an Menschen, die in Zeiten der Verunsicherung leben, und sagt, woran sich Christinnen und Christen festhalten können: An der Gnade Gottes, am Glauben und an der Gemeinschaft. Die Gnade Gottes trägt unser Leben.  Der Glaube gestaltet es und die weltweite Gemeinschaft unterstützt uns dabei.

Hören Sie die Worte aus dem 1. Petrusbrief für den heutigen Sonntag:

„Alle aber miteinander bekleidet euch mit Demut; denn Gott widersteht den Hochmütigen, aber den Demütigen gibt er Gnade.

So demütigt euch nun unter die gewaltige Hand Gottes, damit er euch erhöhe zu seiner Zeit.

All eure Sorge werft auf ihn, denn er sorgt für euch.

Seid nüchtern und wacht; denn euer Widersacher, der Teufel, geht umher wie ein brüllender Löwe und sucht, wen er verschlinge.

Dem widersteht, fest im Glauben, und wisst, dass eben dieselben Leiden über eure Brüder und Schwestern in der Welt kommen.

Der Gott aller Gnade aber, der euch berufen hat zu seiner ewigen Herrlichkeit in Christus, der wird euch, die ihr eine kleine Zeit leidet, aufrichten, stärken, kräftigen, gründen.

Ihm sei die Macht in alle Ewigkeit! Amen.“ (1 Petr5,5b-11)

„Gott gibt Gnade“, das ist das Fundament. Gnade, das bedeutet:  Gott sieht mich und Gott sagt „Ja“ zu mir. Ich bin angenommen, ohne Wenn und Aber. Und dadurch bin ich jemand. Gott schenkt mir eine Identität. Das gibt mir Würde und Schönheit.

Und das hat Folgen. Ich muss mir und anderen nicht dauernd beweisen, wie wertvoll ich bin. Ich muss nicht durch Leistung oder Erfolg glänzen, damit ich wahrgenommen werde. Ich bin schon gesehen, allein aus Gnade. Das trägt mein Leben und schenkt mir eine Identität als Christin. Das ist die Basis für alles Tun und Lassen, für Glauben, Hoffen, Lieben.

Doch an diesem Fundament wird gerüttelt. Der Bibeltext beschreibt es mit einem drastischen Bild: „Wie ein brüllender Löwe geht der Teufel umher und sucht Beute.“

Ich glaube nicht an das gehörnte Wesen mit langem Schwanz aus meiner Kinderbibel. Aber ich glaube, dass da Gefahren und Böses lauern. Das Böse lauert in der Versuchung, zu einfache Antworten zu geben, obwohl die Verhältnisse kompliziert sind. Das Böse lauert in der Vorstellung, ich sei etwas Besseres, nur weil ich zufällig hier in Deutschland geboren wurde und meine Haut hell ist.

Es gehört es zu den Grundüberzeugungen der Kirche, dass hier keine Rolle spielt, wo jemand herkommt, welchen Pass er oder sie hat, welche Ausbildung oder welchen Kontostand. „Hier ist nicht Jude noch Grieche, hier ist nicht Sklave noch Freier, hier ist nicht Mann noch Frau, denn ihr seid allesamt einer in Christus Jesus“ sagt z.B. der Apostel Paulus (Gal 3,28). Kirche sein, das gelingt da, wo wir als Menschen aus ganz unterschiedlichen Ländern, Völkern und Lebenssituationen zusammenleben und einander zuhören, wo wir miteinander beten und feiern.

Und dafür müssen wir heute einstehen: Mutig, nüchtern, wachsam.

Dazu hilft uns der Glaube. Wie das aussehen kann, dazu gibt uns der 1. Petrusbrief Anregungen. „Seid nüchtern und wacht“, heißt es da. Der Theologe Karl Barth hat das einmal so übersetzt: Treibt Theologie (und ich ergänze:  leitet Kirche) mit der Zeitung in der einen und der Bibel in der anderen Hand.  Nehmt wahr, was in der Welt los ist, und reflektiert das im Licht des Evangeliums. Dann lasst uns miteinander Wege suchen, wie wir als Christinnen und Christen heute die frohe Botschaft von der Gnade Gottes glaubwürdig bezeugen können.

„Bekleidet euch mit Demut“ heißt es weiter im Petrusbrief zum Leben im Glauben. Demut heißt für mich: die eigenen Grenzen kennen. Demütig sein meint: die eigenen Aufgaben und Möglichkeiten kennen und mutig wahrnehmen, doch sich nicht  überschätzen.

Konkret: Wir haben die Aufgabe, unsere Nächsten zu lieben, die in der Nähe und die in der Ferne. Dazu gehört, Menschen würde- und respektvoll zu behandeln, egal, wo jemand geboren ist, egal, wie gesund, alt oder leistungsstark jemand ist. Dazu gehört, Menschen aus dem Meer zu retten, die auf der Flucht vor Krieg oder Armut sind. Dazu gehört, jemand zu besuchen, der keine Familie mehr hat oder diakonische Einrichtungen zu unterhalten, in denen Menschen gut gepflegt werden. Damit zeigen wir, wie Gott unser Zusammenleben will. Aber, und das ist die Demut darin, wir wissen, dass damit nicht alles Leid und alle Ungerechtigkeit in dieser Welt beendet wird. Das geschieht erst im Reich Gottes.

Demut meint auch: Wir haben die Aufgabe, Kirche umzubauen, vernünftig und nüchtern zu überlegen, welche Arbeitsbereiche wir wo mit welchen Kräften in Zukunft wahrnehmen.  Doch bei aller Reformnotwendigkeit sagt die Demut: An uns hängt nicht das Überleben der Botschaft Christi und auch nicht das Überleben der Kirche. Das ist Gottes Aufgabe. Seine Botschaft hat eine Kraft, die weit über uns hinaus geht. Sie wird weiter wirken, in anderen Formen, an anderen Orten.

Und ein letztes ist mir an der Demut wichtig. Demut ist eine wichtige Tugend im Umgang mit Macht: Macht ist Gestaltungsmacht, ist „etwas machen können“. Bei Macht geht es nicht darum, mich groß und besonders wichtig zu fühlen. Macht haben bedeutet für mich: ich nehme meine Aufgaben verantwortungsvoll wahr und kann dabei auch unterscheiden: Was ist meine Aufgabe, was steht in meiner Macht und was kann und muss ich getrost anderen und vor allem Gott überlassen? Demütig mit Macht umgehen, das bedeutet für mich: Das tun, was mir und uns am sinnvollsten erscheint. Und dabei weiß ich: Es kann die falsche Entscheidung sein, es kann schiefgehen.  Fehler werden passieren, auch mir, auch in diesem Amt. Aber Gott weiß, dass wir nicht vollkommen sind. Und ich hoffe, dass wir das auch untereinander aushalten und uns nicht vorhalten, dass wir nicht perfekt sind. Das erspart nicht das Nachdenken, es nimmt auch nicht die Verantwortung, aber es nimmt die Angst.

Denn wo wir verunsichert sind, haben wir Angst. Und manche, die an dem rütteln, was uns wichtig ist, wollen genau das:  Angst schüren. So dass wir Angst haben, unsere Meinung frei zu äußern. Angst haben, uns zu engagieren und Angst haben, für unsere Überzeugungen, für Geflüchtete, für eine vielfältige, friedliche Gesellschaft einzutreten. In dieses Angstgefühl hinein ruft uns der Predigttext zu: Werft eure Sorgen auf Gott, er sorgt für euch!

Wie sorgt Gott für uns? Hier kommt jetzt die Gemeinschaft ins Spiel.

Gott stellt uns in eine Gemeinschaft. Ausdrücklich verweist der Text aus dem 1. Petrusbrief auf die weltweite Gemeinschaft von Brüdern und Schwestern. Sie ist Leidensgemeinschaft und Glaubensgemeinschaft.  Diese weltweite ökumenische Gemeinschaft, die Geschwister aus Indien oder Südafrika, aus der orthodoxen Kirche in Syrien oder den katholischen Gemeinden um die Ecke erlebe ich als Netz der gegenseitigen Unterstützung und als ein Netz der vielfältigen Ideen, wie wir Glauben leben und weitersagen können. Das ist ein Schatz und es gilt, diese Vielfalt zu nutzen.

Christliche Gemeinschaft, das ist für mich ein Sorgenetz, auch vor Ort. Deshalb wünsche ich mir, dass wir hier in Kurhessen-Waldeck Kirche als so einen Ort erleben und gestalten. Kirche als Sorgenetz, das ist ein Ort, an dem ich still werden und meine Sorgen Gott sagen kann. Kirche als Sorgenetz, da kann ich mit anderen ins Gespräch kommen und erleben, dass mir jemand gut zuhört. Kirche als Sorgenetz, da kann ich vielleicht mit anderen, die auch nicht allein sein wollen, Mittag essen oder eine Aufgabe finden, in der ich meine Gaben sinnvoll einsetzen kann. So wird Kirche Teil eines Netzes, das Halt gibt, gerade da, wo die Sorgenetze dünner werden und die Verunsicherung steigt.

Heute ist Michaelis, Fest der Engel, die begleiten und schützen. Trotz Säkularisierung, Engel sind heutzutage allgegenwärtig. Sie passen in jede Religion oder Weltanschauung. Auch die „religiös unmusikalischen“ Zeitgenossinnen und Zeitgenossen machen ja manchmal solche Engel-Erfahrungen und erleben, dass sie vor Schlimmem bewahrt werden - im Verkehr, bei Unwettern, oder wenn der richtige Mensch im richtigen Moment am richtigen Ort ist. Vielleicht haben Sie das auch schon erlebt.

Ich finde es wunderbar, an Michaelis in das Amt der Bischöfin eingeführt zu werden, begleitet von den Menschen, die für mich manchmal zu Engeln werden, durch ein Telefonat oder eine gute Idee, durch eine Wohltat oder auch durch einen Widerspruch gegen etwas, das ich für gut und sie für falsch halten.

Auch solche Engel sind eine Form der Sorge Gottes für uns.

Und so lasst uns miteinander daran arbeiten, hier in Kassel, in Hanau oder Schmalkalden, in Fulda oder Marburg, im Werra Meißner Kreis, der Rhön, der Schwalm wie im Waldecker Uppland, dass Kirche als Ort erlebt wird, an dem wir Netze der Sorge und Stärkung knüpfen.  Als Ort, wo wir miteinander und mit Gott reden und uns zuhören, wo wir uns ermutigen und stärken im Glauben und erinnern an das, was Halt und Identität in Zeiten der Verunsicherung gibt:

Gnade, Glaube, Gemeinschaft.

Und der Friede Gottes, der weiter ist als all unsere Vernunft, bewahre unsere Herzen und Sinne in Jesus Christus. Amen.

 

Weiterer Service im Internet:

Den Mitschnitt des hr-Fernsehen zum Gottesdienst aus der Evangelischen Kirche St. Martin in Kassel finden sie in der hr-mediathek oder auf youtube.

 

 

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