Die Wirklichkeit in Frage stellen
Lachen-am Tag der unschuldigen Kinder
In Spanien und in vielen Ländern Lateinamerikas wird es heute fröhlich zugehen. Es darf und soll gelacht werden. Das kann – zumindest in kirchlichen Kreisen − verwundern. Denn im Kalender der Kirche erinnert der 28. Dezember an ein schreckliches Ereignis. Der Evangelist Matthäus berichtet, dass der König Herodes kurz nach der Geburt Jesu alle männlichen Säuglinge in Bethlehem umbringen ließ. Er fürchtete, ein Neugeborener werde ihm den Königsthron streitig machen. Denn Maria und Josef können mit dem Jesuskind aus Bethlehem nach Ägypten fliehen. Zur Erinnerung an diese Geschichte nennt man den 28. Dezember auch „Tag der unschuldigen Kinder“.
Just an diesem Tag, der Dia de los Santos Inocentes, dem Tag der Unschuldigen Heiligen, wird in Spanien und Lateinamerika gelacht. Man tut das, was wir hierzulande vom 1. April kennen: einem anderen einen Streich spielen, ihn auf den Leim führen. Man behauptet einfach etwas, was nicht wahr ist und hofft, dass der andere drauf reinfällt. In der Tageszeitung konnte man früher am 1. April nach einem als Meldung getarnten Aprilscherz suchen. Inzwischen sind die Medien mit solchen Meldungen vorsichtiger − verständlich in Zeiten von Fake News. Oft ist nicht mehr klar, was wahr oder unwahr ist.
Mir macht dieser Brauch immer noch Spaß −, ob am 1. April in unseren Breiten oder heute in Spanien und Lateinamerika. Es geht an diesem Tag darum, mit der Wirklichkeit spielerisch umzugehen: Das Vertraute, scheinbar Sichere in Frage zu stellen. Das passt gut zu Weihnachten. Da feiern wir nämlich Jahr für Jahr ein Fest, das Folgendes berichtet: Gott kommt am Rande einer kleinen Stadt, in einem kleinen Land, in einem kleinen Kind zur Welt. Das klingt doch – würden wir es nicht alle Jahre wieder hören – unwahrscheinlich, ja unvernünftig. Man könnte meinen: Ein Scherz, ein ganz seltsamer! Doch für alle, die daran glauben, wird in Jesus der Heiland geboren. Er wird grundlegend das Geschick der Menschheit und der Welt verändern. Von einem Kind ist Weihnachten die Rede, auch heute am „Tag der unschuldigen Heiligen“. Die Wirklichkeit in Frage stellen, den Horizont erweitern, neue Möglichkeiten entdecken. Wer mit Kindern zu tun hat, der weiß: Sie können das meisterlich: Oft unterscheiden sie nicht zwischen Wirklichkeit und Phantasie; nicht selten bringen sie uns mit ihren Fragen in Verlegenheit. Sicheres, Vertrautes gerät da in Bewegung. Das ist gut so: Nur wer das scheinbar Sichere und sich selber in Frage stellen lässt, kann Neues denken, schafft Platz für neues Tun. Wer sich verunsichern lässt, kann auch Distanz zu sich selber gewinnen. Nimm dich nicht zu ernst! Diese Haltung schafft Platz für etwas Menschliches, für Humor. Mein Wunsch zum „Tage der unschuldigen Kinder“: Lassen Sie sich verunsichern, lachen Sie – bleiben Sie menschlich, bleiben sie Kind!