Ihr Suchbegriff
Scheitern
Bildquelle Pixabay

Scheitern

Anne-Katrin Helms
Ein Beitrag von Anne-Katrin Helms, Evangelische Pfarrerin, Erlösergemeinde Frankfurt-Oberrad

Menschen, die sprungbereit voreinander stehen: Sie fletschen mit den Zähnen, sind drauf und dran, aufeinander loszugehen oder tun es schon längst. Wo immer dies in unserer Welt geschieht, sind immer auch Gläubige der drei abrahamitischen Religionen beteiligt. In den arabischen Ländern, in Afrika und auch bei Diskussionen in unserem Land spielen Juden, Christen und Muslime eine entscheidende Rolle. Immer fühlt sich einer überlegen: Juden in Israel, Muslime in arabischen Ländern, Christen im westlichen Europa. Ich bin stärker, sagt der eine. Ich bin aufgeklärter, sagt die andere. Auf mir liegt der Segen Gottes, sagen die dritten.

Wir alle beziehen uns auf Abraham. Er ist unser Vorfahre im Glauben, ganz gleich ob im Judentum, Christentum oder Islam. Allen dreien gilt er als Stammvater des Glaubens. Stärker, erfolgreicher, moderner, frömmer – das sind die Kategorien derer, die gewinnen wollen. Das ist deshalb merkwürdig, weil Abraham überhaupt kein Erfolgstyp ist. Ganz im Gegenteil: Obwohl Abraham alles richtig machte, war sein Leben lange Zeit vom Scheitern geprägt.

Gott hatte ihm gesagt: Geh aus deines Vaters Stadt in ein Land, das ich dir zeigen werde. Ich will dich segnen und du sollst ein Segen sein. Aus dir wird ein großes Volk werden! (Gen 15) Abraham geht los. Er lässt alles hinter sich, verlässt sich auf eine Zukunft, die Gott ihm zeigen will.

Lange ist davon nach menschlichem Ermessen nichts sichtbar. Seine Frau Sara und er irren auf schier unendlicher Wanderschaft umher. Vom versprochenen Land ist nichts in Sicht und auch ein Kind stellt sich nicht ein. Der alte Abraham muss sehr frustriert gewesen sein. Seine Pläne sind gerade dabei, komplett zu scheitern. Die Bibel erzählt, wie er eines Nachts im Zelt liegt. Sein Horizont ist jetzt – zumindest in dieser Situation – nur 1,50 Meter weit. Da fordert Gott ihn auf, sein Zelt zu verlassen und sich die funkelnden Sterne am Himmel anzuschauen. So viele Sterne wie am Himmel sind, so viele Nachkommen wirst du bekommen, versichert ihm Gott. Die Potenz dafür hat er von Gott und nicht von sich aus. Nicht aus eigener Kraft wird Abraham zum Vater vieler Völker und zum Vater des Glaubens. Es ist die Kraft Gottes, die ihn stark macht.

So wurde der große Abraham zu einem demütigen Mann. Wenn wir uns jetzt auf ihn beziehen – Juden, Christen und Muslime -, haben wir überhaupt keinen Grund, auf die eigene Stärke stolz zu sein; geschweige denn, die anderen zu verachten. Also lieber hilfsbereit als sprungbereit, lieber lächeln als Zähne fletschen, lieber aufeinander zugehen als aufeinander losgehen!

Weitere ThemenDas könnte Sie auch interessieren