Saubere Hände
Ich besuche im Krankenhaus auf der Geburtsstation meine Schwiegertochter. Mit meinem Enkelsohn stehen wir vor dem Babybett seines neugeborenen, drei Tage alten Bruders. Schließlich sagte er, indem er auf die kleinen Hände seines Bruders deutet: „Die sind noch so sauber!“
So ist es auch mit dem gerade angefangen neuen Jahr. Es ist noch so sauber. Es ist noch so unabgearbeitet.
Jedes Mal, wenn etwas Neues anfängt, ist es so herrlich unabgearbeitet. Es ist sauber und frisch. Immer, wenn etwas anfängt, eine neue Liebe, ein neues Leben, ein neues Jahr, wohnt dem ein Zauber inne, ist es voller Hoffnung.
Noch ist das Neue nicht voller Schwielen. Noch ist das Neue nicht verdreckt, verletzt, gedemütigt, verzerrt, abgetreten, verschmutzt. Noch ist das Neue nicht abgegriffen. Noch ist es nicht abgearbeitet. Noch hat es sich die Hände nicht schmutzig gemacht.
Viele Anfänge tragen diesen Zauber in sich, diese Zartheit und den Glanz des Neugeborenen. Dieser Glanz färbt ab. Man fängt automatisch an zu lächeln, wenn man so ein kleines Baby friedlich in seinem Bett schlafen sieht.
Martin Luther hat einmal gesagt: Jedes Kind ist ein Versprechen, dass Gott die Hoffnung für die Welt noch nicht aufgegeben hat. Ja, jeder Anfang ist auch ein Versprechen. Im neuen Jahr sind die Wochen und Monate so sauber und unabgearbeitet, wie die Hände eines neugeborenen Kindes. Ich hoffe, auch für das neue Jahr gilt, Gott hat die Hoffnung für diese Welt noch nicht aufgegeben.
Ich glaube daran: Gott hält seine Zusagen. Es schenkt mir die Kraft, mich nicht mit den schlimmen Bildern und Berichten abzufinden, die mich auch am Anfang des neuen Jahrs erreichen. Ich will nicht resignieren, obwohl Missbrauch, Hunger, Vertreibung und Ohnmacht gegenwärtig ist, wenn nicht in der Nähe, dann an anderen Orten der Erde.
Der Blick auf mein gerade geborenes Enkelkind lässt mich hoffen. Ja, er hat so saubere Hände. Aber es ist nicht schlimm, wenn sie später auch mal schmutzig werden. Sie müssen das sogar, wenn ein Mensch etwas bewirken will. Wer anpackt, wo Not am Mann ist, kriegt vielleicht auch mal Schwielen. Gerade von Jesus von Nazareth erzählt man sich, dass er sich die Hände schmutzig gemacht hat, damit es Menschen nicht mehr dreckig geht. Das fordert auch mich heraus, anzupacken und voller Hoffnung nach vorne zu blicken. Denn auch dieses Jahr steckt voller Möglichkeiten.
Der katholische Pfarrer und Dichter Lothar Zenetti hat die Möglichkeiten von Hoffnung, Glaube und Liebe so beschrieben:
Menschen, die aus der Hoffnung leben, sehen weiter.
Menschen, die aus der Liebe leben, sehen tiefer.
Menschen, die aus dem Glauben leben, sehen alles in einem anderen Licht.