In keinem Bett der Welt
Das Bett ist ihre Welt; das Krankenbett. Dort liegt Klara seit fast zehn Jahren. Erst oben im Haus, jetzt unten, mit Blick zur Straße. Wenn sie aus dem Fenster schaut, sieht sie Hoffnung. Das sagt Klara nicht. Ihr Gesicht zeigt es. Bäume, ein paar Vögel, Autos und Fenster der Nachbarhäuser. Irgendein Licht ist immer, sagt Klara. Sie ist nie bitter. Dafür entspannt, freundlich. Und dankbar. Sie könnte bitter sein, das Recht hätte sie, wie man so sagt. Die Krankheit begann nach der Geburt ihres Sohnes. Immer schwächer wurde sie. Erst Krücken, dann Rollstuhl, schließlich ein Sessel und nun das Bett. Klara ist mitte fünfzig und bewegt sich kaum noch. Pfleger sind bei ihr. Auch in der Nacht kommt jemand. Ihr Mann arbeitet, der Sohn kommt manchmal. Wenn er es aushält, seine Mama zu sehen, wie sie im Bett liegt. Alles bitter. Das Leben meint es nicht gut mit Klara.
Sie sieht anders. Irgendein Licht ist immer, sagt Klara und schaut aus dem Fenster. Sie meint das wörtlich. Straßenlaternen, Scheinwerfer der Autos, Lichterketten im Fenster der Nachbarn. Klara sieht Hoffnung, wenn sie Licht sieht. Auch kleines Licht wie Laternen oder Lichterketten. Da ist Leben, denkt sie. Und Leben ist Hoffen. Wo etwas leuchtet, hofft man. Auf Wärme, Gemütlichkeit. Oder auf Wert. Klara liegt dann in ihrem Bett und schaut. Sieht die Hoffnung der anderen. Sie wollen geborgen sein, wie jeder Mensch. Darum hasten sie herum oder sehnen sich nach etwas. Klara wartet. Weil sie nichts anderes kann. Wartet, wo wieder etwas leuchtet. Wenn der Nachbar abends nach Hause kommt, macht er Licht an. So einen Lichtbogen im Fenster. Dann geht Klara das Herz auf. Sie weiß, der Nachbar macht das auch für sie.
Und für die Hoffnung. Die stirbt nicht. Weil Gott uns nicht verlässt. In keinem Bett der Welt.