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Der Toten gedenken, auch wenn es schwerfällt
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Der Toten gedenken, auch wenn es schwerfällt

Till Martin Wisseler
Ein Beitrag von Till Martin Wisseler, Evangelischer Pfarrer, Langenselbold
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In diesem Jahr hat sich der tragische Absturz des Flugzeugs in den französischen Alpen zum ersten Mal gejährt. Der junge Copilot hatte es damals vermutlich absichtlich abstürzen lassen. Über einhundert Menschen hatten dabei ihr Leben verloren. Zum Jahrestag machten sich die Angehörigen der Getöteten noch einmal auf den Weg zur Unglücksstelle. Dort zu sein, wo es passiert ist, hilft das Unfassbare zu fassen. Dort trösteten sich die Angehörigen, obwohl sie eigentlich untröstlich sind. Immer wieder wird erzählt und erinnert. Nach und nach muss das, was passiert ist, ins Bewusstsein einsickern und irgendwie angenommen werden.

Ich frage mich: Ist auch jemand da, der die Eltern des jungen Copiloten tröstet und auch seine Freunde? Ist jemand da, der an den jungen Copiloten erinnert und seiner gedenkt? Vielleicht empfinden manche diese Frage als Zumutung, aber ich finde es wichtig. Denn es war ein junger Mann, der von seinen Eltern geliebt wurde und von seinen Freunden geschätzt. Ihnen hat er viel bedeutet und jetzt fehlt er in der Gemeinschaft, unwiederbringlich! Außerdem hat er eine Würde, wie alle anderen Menschen auch; das wurde in der letzten Zeit zu oft vergessen, finde ich.

Es hatte sich ja bald nach dem Unglück herausgestellt, dass er an einer Depression litt und deswegen auch schon in einer Klinik behandelt wurde. Schnell war man dabei, seine Erkrankung so darzustellen, als sei sie ganz außergewöhnlich und sogar bedrohlich. Das Entsetzen war groß, besonders in den Medien. Dabei gibt es Untersuchungen, die zeigen, dass 30% der erwachsenen Männer und Frauen an psychischen Erkrankungen leiden, 8% sogar an Depressionen. Da kann man sich schnell ausrechnen, was dieser Prozentsatz für den eigenen Ort bedeutet. Wichtig zu wissen ist: So eine Erkrankung sucht man sich nicht aus, überhaupt keine Erkrankung sucht man sich aus, sie ereignet sich. Ungefragt. – Deswegen finde ich es wichtig, in diesen Wochen auch an den jungen Mann, den Copiloten und seine Eltern und Freunde zu denken. Und ich wünsche mir, dass wir uns nicht darüber entsetzen, sondern uns etwas mehr einfühlen in diese Lebenssituation. Was uns verbindet ist, dass wir alle in einer Welt leben, die unvollkommen ist. Wir sind alle nicht perfekt und wir alle haben eine Würde, die wir uns nicht gegenseitig nehmen dürfen.

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